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Auf Leben und Tod

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Am späten Abend des Ostersonntag erhielt die US-Amerikanerin Terri Schiavo die letzte Kommunion. Seit Wochen steht das bewegende Schicksal der Komapatientin im Licht der Öffentlichkeit. Der Ehemann, der die Einstellung der künstlichen Ernährung der seit 15 Jahren im Wachkoma lebenden Frau gerichtlich erstritten hatte, löste sich am Bett mit ihren mit ihm verfeindeten gläubigen Eltern ab, die gemeinsam mit Lebensrechtsinitiativen gegen die Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen stritten und nun einen Mord anklagen. Der Fall Schiavo ist zu einem Politikum geworden. Die Hoffnung der Eltern, daß Jeb Bush, der Gouverneur von Florida, die Vormundschaft für ihre Tochter erwirken könnte, hat sich schnell zerschlagen. Auch diese Initiative wurde von einem Gericht abgewiesen. Zuletzt erklärte Bush, er sehe keine Möglichkeit mehr, eine Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung Terri Schiavos zu erreichen. Der Bruder von Präsident Bush betonte gegenüber dem Fernsehsender CNN, daß er nicht gegen eine gerichtliche Anordnung verstoßen könne. So kann etwas geschehen, was in Deutschland – noch – undenkbar erscheint, nämlich daß ein Wachkomapatient durch Entzug der Magensonde und der künstlichen Ernährung langsam zum Sterben verurteilt wird. Ist bereits dieser Vorgang ethisch problematisch genug, so gilt dies erst recht für die Rolle des Ehemanns von Terri Schiavo. Georg Paul Hefty warf in einem Kommentar für die FAZ diese Frage auf: „Mit welchem Recht steht einem Ehemann, der sich nachweislich von seiner Ehefrau losgesagt hat und für eine andere Frau entschieden hat, die rechtliche Vertretung (…) in einer Frage auf Leben und Tod zu?“ Das Rechtssystem der USA läßt derartig problematische Betreuungs- und Vormundschaftsregelungen zu, wie der Gang der Rechtsstreitigkeiten im Fall Schiavo zeigt. Es spricht einem in einer neuen Beziehung lebenden Ehepartner das Recht zu, über Leben und Tod zu entscheiden. Dessen Motive könnten im konkreten Fall zweifelhaft erscheinen. Warum hat Michael Schiavo nicht gleich, nachdem seine Ehefrau im Alter von 26 Jahren ins Koma gefallen ist, auf den angeblichen Willen seiner Frau verwiesen? Warum hat er etliche Jahre verstreichen lassen? Richtig ist aber auch: Der Fall Terri Schiavo wurde so häufig wie kein anderer ähnlich gelagerter Fall in der US-Geschichte vor Gericht verhandelt und entschieden. Michael Schiavo erhielt in über 20 Gerichtsverhandlungen der letzten sieben Jahren 20 Mal recht. Die wichtigste Frage aber lautet: Ist eine Situation denkbar, in der der Grundsatz, daß die Erhaltung des Lebens „absoluten Vorrang“ hat, relativiert werden muß? Wie schnell eine vorschnelle positive Beantwortung einer derartigen Frage hochproblematische gesellschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, zeigt das Thema Abtreibung. Auch hier waren es anfänglich „Grenzfälle“, die zu einer Lockerung der Bestimmungen führten. Heute konstatieren wir jährlich – und ganz legal – Hunderttausende von Abtreibungen in Deutschland. Von einem Schutz des ungeborenen Lebens kann längst keine Rede mehr sein. In den stets liberalen Niederlanden (und in Belgien) ist die Tötung schwerstkranker oder sterbender Menschen unter bestimmten Bedingungen bereits möglich. Daß derartige Liberalisierungen, wie sie dort Usus sind, über kurz oder lang auch in Deutschland umgesetzt werden, zeigt die Geschichte der Legalisierung der Abtreibung. Die Befürworter einer aktiven Sterbehilfe sprechen von „humanem Sterben“ – ein Argument, das im Hinblick auf Terri Schiavo einiges für sich hat. Ohne medizinische Betreuung und Pflege wäre Schiavo, die mit 26 Jahren nach einem Herzinfarkt in ein Wachkoma fiel, längst tot. Allerdings: Kreislaufregulation und Schlaf-Wach-Rhythmus sind bei Wachkomapatienten erhalten. Zeitweise öffnen sie sogar die Augen. Festzuhalten bleibt aber: Sowohl Koma als auch Wachkoma sind Ausdruck einer schweren Hirnschädigung. Eine reelle Chance, daß Terri Schiavo aus ihrem Wachkoma mit leichten Hirnschädigungen wieder aufgewacht wäre, bestand wohl nicht. Ist es vor diesem Hintergrund nicht „humaner“, sie sterben zu lassen? Wer diese Frage mit Ja beantwortet, muß sich bewußt sein, daß derartig extreme Fälle als Türöffner genutzt werden können, um gesellschaftliche Tabugrenzen aufzuweichen, die zu einem ethischen Dammbruch führen können. Sicher: Ein Abbruch der Ernährung, wie im Fall Schiavo geschehen, wäre nach deutschem Recht nur denkbar, wenn eine Patientenverfügung in schriftlicher Form vorläge. Eine Patientenverfügung fixiert den Willen eines Menschen für den Fall, daß er sein Selbstbestimmungsrecht in Fragen der Gesundheit nicht mehr ausüben kann. Die Reichweite derartiger Patientenverfügungen hat der Bundesgerichtshof 2003 überdies auf Fälle eingeschränkt, „in denen das Grundleiden einen irreversiblen und tödlichen Verlauf genommen hat“. Selbst dann aber, wenn bei einem möglichen Wachkoma-Fall der Abbruch der Ernährung angeordnet worden ist, darf ein Arzt dieser Verfügung nicht ohne weiteres folgen. Ein Vorstoß von Justizministerin Brigitte Zypries, die in einem Gesetzentwurf dem Patientenwillen gegenüber einer künstlichen Lebensverlängerung Vorrang einräumen wollte, ist an der Mehrheitsmeinung in der parteiübergreifenden Ethik-Kommission des Bundestags gescheitert. Das Patiententestament sollte nach dem Willen von Zypries auch für Wachkoma- und Demenzpatienten gelten, deren Erkrankung nicht zwangsläufig zum Tod führt. Wäre Zypries erfolgreich gewesen, hätte ihre Gesetzesinitiative eine signifikante Änderung der Rechtslage in Deutschland bedeutet. Die Rechtslage im Hinblick auf Patientenverfügungen bleibt damit vorerst weiter unklar. Es steht aber zu befürchten, daß irgendwann eine „pragmatische“ Lösung gefunden wird. Hierbei dürften nicht nur Kostenargumente eine Rolle spielen, sondern auch der veränderte Umgang mit dem Sterben in „fortgeschrittenen Industriegesellschaften“. Der Möglichkeit der Patientenverfügung folgt vielleicht schon bald der gesellschaftliche sanfte Druck auf alle älteren Menschen, daß jeder eine solche zu unterzeichnen habe – auch angesichts der hohen Kosten der Intensivmedizin. Das Sterben im Kreise der Familie oder der Angehörigen ist mittlerweile die Ausnahme. Der Tod in Alten- und Pflegeheimen oder in Krankenhäusern auf der Intensivstation, von technischen Geräten umgeben, die das Leben so lange wie möglich verlängern, ist die Regel geworden. Man kann es auch so sehen: Der Tod wird aus unserer Erfahrungswelt klinisch sauber ausgeklammert.

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