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Jahresbericht für 2024: Verfassungsschutz sieht Rekordzahl an „Extremisten“

Jahresbericht für 2024: Verfassungsschutz sieht Rekordzahl an „Extremisten“

Jahresbericht für 2024: Verfassungsschutz sieht Rekordzahl an „Extremisten“

Bundesminister des Innern Alexander Dobrindt, bei einer Bundespressekonferenz im Haus der Bundespressekonferenz zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes am 10.06.2025 in Berlin.
Bundesminister des Innern Alexander Dobrindt, bei einer Bundespressekonferenz im Haus der Bundespressekonferenz zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes am 10.06.2025 in Berlin.
Dobrindt stellt den Verfassungsschutzbericht vor. Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern
Jahresbericht für 2024
 

Verfassungsschutz sieht Rekordzahl an „Extremisten“

Mehr Islamisten, mehr Linksextremisten, mehr Rechtsextremisten und mehr Antisemitismus: Der Verfassungsschutz zeichnet in seinem Jahresbericht 2024 ein dunkles Bild der Bundesrepublik. Woher die Gewalt kommt und was über die AfD geschrieben wird.
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BERLIN. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat einen Anstieg von Extremisten in Deutschland beklagt. Insgesamt schätzt der Inlandsgeheimdienst laut seinem Jahresbericht für 2024, daß 176.080 Menschen in der Bundesrepublik extremistisch seien. 2023 ging die Behörde noch von etwa 163.000 Personen aus.

Insbesondere beim „rechtsextremistischen Personenpotential“ sieht das Bundesamt einen starken Anstieg. Hier stieg das Personenpotential von 40.600 auf 50.250 Personen an. Grund dafür sind die steigenden Mitgliederzahlen der AfD, die vom Bundesamt als rechtsextremistische Bestrebung eingeschätzt wird.

Rechtsextremes Personenpotential laut Verfassungsschutz. Grafik: Verfassungsschutz

Der linksextremen Szene ordnet die Behörde 38.000 Personen zu, rund 1.000 mehr als noch im Jahr zuvor. Als gewaltbereit gelten dabei 11.200 Personen, der autonomen Szene werden 8.600 zugerechnet.

Linksextremes Personenpotential laut Verfassungsschutz. Grafik: Verfassungsschutz

Auch die Zahl der Islamisten nahm laut der Behörde zu. Sie stieg von 27.200 auf rund 28.200 Personen. Darunter auch 11.000 Salafisten. Zu den Anhängern des Islamischen Staates liegen dem Verfassungsschutz keine gesicherten Zahlen vor.

Islamistisches Personenpotential laut Verfassungsschutz. Grafik: Verfassungsschutz

Mehr Reichsbürger und Auslands-Extremisten

Zugenommen hat laut der dem Innenministerium unterstehenden Behörde auch die Zahl der Reichsbürger (2023: 25.000 / 2024: 26.000) sowie der Extremisten, die einer ausländischen Ideologie anhängen. Hierzu zählen 32.500 Personen (plus etwa 2.000) und Organisationen wie die kurdische PKK, die Grauen Wölfe und säkulare propalästinensische Extremisten.

Bei der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ sieht der Geheimdienst ein Personenpotential von rund 1.500 (2023: 1.600). Ihnen wirft der Verfassungsschutz vor, „demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen verächtlich“ zu machen und dazu aufzurufen, „behördliche oder gerichtliche Anordnungen und Entscheidungen zu ignorieren“. Geschaffen wurde diese Kategorie in der Corona-Zeit, um vermeintlich extremistische Maßnahmenkritiker ins Visier nehmen zu können.

Dobrindt betont starken Staat

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) warnte bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes in Berlin, die verfassungsmäßige Ordnung Deutschlands sei „fast täglich Angriffen“ ausgesetzt. Dobrindt weiter:

„Extremisten stellen das Existenzrecht Israels in Frage und rufen zur Gewalt gegen Juden und Jüdinnen in unserem Land auf. Islamisten gehen aus religiöser Verblendung mit Messern auf Menschen auf offener Straße los. Rechtsterroristen planen den Umsturz unseres freiheitlich demokratischen Systems. Wir wehren uns mit allen Mitteln gegen die Feinde unserer Demokratie.“

Den Verfassungsschutz bezeichnete der Innenminister als „unverzichtbar“. Er sei ein „effektives Frühwarnsystem und wichtiger Schutzwall gegen Demokratiefeinde aller Art“.

Deutlich mehr Propagandadelikte

Die Zahl der politisch motivierten Straftaten in Deutschland nahm laut dem Bericht 2024 deutlich zu. Insgesamt wurden 84.172 Delikte registriert – ein Anstieg um rund 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr (2023: 60.028). Davon entfielen 31.229 Fälle (37,1 Prozent) auf Propagandadelikte und 4.107 auf politisch motivierte Gewalttaten (4,9 Prozent).

Den größten Teil machten Straftaten aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität von rechts aus. Hier wurden 42.788 Delikte erfaßt (2023: 28.945). Der Anstieg entfällt fast vollständig auf sogenannte Propagandadelikte. Sie nahmen von rund 15.000 im Jahr 2023 auf mehr als 24.000 zu. Bei den rechtsextremen Straftaten machen sie annähernd 63 Prozent aller Taten aus. Dabei gilt, daß etwa jedes von der Polizei entdeckte Hakenkreuz automatisch als rechte Straftat eingeordnet wird, auch wenn kein Täter ermittelt werden kann oder dieser gar kein Rechtsextremist ist.

Mehr Gewaltdelikte

Der linksextremen Szene wurden 9.971 Taten zugeordnet (2023: 7.777). Zudem registrierten die Behörden 1.877 Delikte mit religiös-ideologischem Hintergrund (2023: 1.458) und 7.343 mit ausländisch-ideologischem Hintergrund (2023: 5.170). Weitere 22.193 Fälle konnten keinem klaren Phänomenbereich zugewiesen werden.

Insgesamt wurden 57.701 Straftaten (68,6 Prozent) als extremistisch eingestuft, darunter 2.976 Gewaltdelikte. Den größten Anteil daran hatten erneut rechtsextremistisch motivierte Taten mit 37.835 Fällen (2023: 25.660), gefolgt von 5.857 linksextremistischen (2023: 4.248), 1.694 religiös-ideologisch motivierten (2023: 1.250) und 4.534 ausländisch-ideologisch motivierten Taten (2023: 3.092). 7.781 extremistische Delikte wurden unter der Kategorie „Sonstige Zuordnung“ erfaßt.

Sonderkapitel Antisemitismus

Erneut widmete sich der Verfassungsschutz in einem Sonderkapitel dem Themenbereich „Auswirkungen des Nahostkonflikts und Antisemitismus“. Darin stellen die Verfassungsschützer fest, daß Antisemitismus und Israelfeindschaft seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verstärkt „Brückennarrative zwischen unterschiedlichen und an sich unvereinbaren Einstellungen“ sein können.

Der Bericht verweist auf das hohe Mobilisierungspotential des Nahostkonflikts im Islamismus. So hätten Gruppierungen, die der Hizb ut-Tahrir nahestünden, das Thema 2024 für öffentliche Veranstaltungen genutzt. Als Beispiel für einen Akteur des auslandsbezogenen Extremismus nennen die Verfassungsschützer „Young Struggle“. Die Jugendorganisation der türkischen „Marxistischen Leninistischen Kommunistischen Partei“ engagiere sich besonders bei Demonstrationen.

Linksextreme und Islamisten kooperieren zunehmend

Auch mit Blick auf den deutschen Linksextremismus merken die Verfassungsschützer an, daß die Situation im Nahen Osten 2024 für Teile der Szene „einen Schwerpunkt ihrer Agitation“ gebildet haben. Bei israelfeindlichen Demonstrationen an Universitäten hätten Linksextremisten „als Scharfmacher und Mobilisierungstreiber“ fungiert. Akteure aus dem säkularen propalästinensischen Extremismus bildeten eine „Scharnierfunktion zwischen Islamisten und Linksextremisten“.

In der rechtsextremen Szene beobachteten die Verfassungsschützer derweil 2024 „keine hervorgehobene Stellung“ der Nahost-Problematik. Sie werfen Rechtsextremen allerdings vor, die Lage für die Propagierung „von migrationsfeindlichen Positionen“ zu instrumentalisieren. Zudem werden einzelne israelfeindliche Gruppierungen benannt, etwa die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“.

Insgesamt notiert der Bericht eine „gestiegene abstrakte Gefährdung insbesondere für Juden und Israelis sowie deren Einrichtungen“. Allerdings merkt er zugleich an, daß der gezielte Einsatz von Gewalt gegen Juden „nur vereinzelt“ festgestellt werden konnte. Er analysiert zudem, daß Extremisten bei israelfeindlichen Proteste zunächst einen eher kleinen Teil der Demonstranten gestellt hätten. Mittlerweile seien sie aber vor allem in Berlin „deutlich stärker extremistisch durchsetzt“.

Vorwürfe gegen die AfD

Ausführlich beschäftigt sich der Verfassungsschutz auch mit der AfD. Die größte Oppositionsfraktion im Bundestag wird im Jahresbericht noch als „Verdachtsfall“ geführt, da das Amt die Einordnung der AfD als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“ derzeit ruhen läßt, bis das Kölner Verwaltungsgericht über einen Eilantrag der Partei gegen die Einstufung entschieden hat.

Die AfD stellt laut Verfassungsschutz „mit Blick auf ihre politischen und gesellschaftlichen Wirkungen und die Mitgliederzahlen den maßgebenden Akteur innerhalb des rechtsextremistischen beziehungsweise rechtsextremismusverdächtigen Parteienspektrums dar“.

Flügel taucht nicht mehr auf

Weiter heißt es zur Partei: „In den Verlautbarungen der AfD und ihrer Repräsentanten kommt vielfach ein ethnisch-abstammungsmäßig geprägtes Volksverständnis zum Ausdruck, das im Widerspruch zum Volksverständnis des Grundgesetzes steht.“ Insbesondere Asylsuchenden und Migranten aus islamischen Ländern würden „oftmals verallgemeinernd eine kulturelle Inkompatibilität sowie ein ausgeprägter Hang zur Kriminalität unterstellt“, empört sich das Amt.

Äußerungen der AfD wiesen zudem „Diffamierungen und Verunglimpfungen politischer Gegner, aber auch des Staates und seiner Repräsentanten in Gänze auf“. Diese hätten nicht eine Auseinandersetzung in der Sache, „sondern eine generelle Herabwürdigung und Verächtlichmachung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland zum Ziel“. Nicht mehr gesondert aufgeführt wird der aufgelöste „Flügel“ der Partei. (ho/ser)

Dobrindt stellt den Verfassungsschutzbericht vor. Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern
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