BONN. Der Staatsrechtler Christian Funck hat der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf eine ideologisch motivierte Umdeutung der Menschenwürdegarantie vorgeworfen. In einem Beitrag für die katholische Tagespost kritisiert der wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität Bonn, Brosius-Gersdorf stelle die Geltung der Menschenwürde vor der Geburt nicht aus juristischer Notwendigkeit, sondern mit politischer Absicht infrage. Die These eines „verfassungsrechtlichen Dilemmas“ sei konstruiert.
Die von der SPD nominierte Juristin hatte ihre Wahl in den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts zuletzt nicht durchsetzen können. Ausschlaggebend war ihre Mitwirkung an der Kommission zur Neuregelung des Paragraph 218 sowie ein Festschriftbeitrag für Horst Dreier, in dem sie die These vertrat, die Menschenwürde gelte „gute Gründe“ zufolge erst ab Geburt. Den verfassungsrechtlich etablierten Schutz des Lebens ab Nidation wies sie darin als „biologistisch-naturalistischen Fehlschluß“ zurück.
Menschenwürde erlaubt differenzierte Rechtsgüterabwägung
Funck widerspricht dieser Sicht scharf. Die Berufung auf ein Dilemma diene nur dazu, das Lebensrecht des Ungeborenen zu relativieren. Es stimme nicht, daß ein Schwangerschaftsabbruch bei Anerkennung pränataler Menschenwürde unter allen Umständen unzulässig sei. Vielmehr lasse sich auch beim geborenen Menschen ein tödlicher Eingriff beispielsweise im Falle einer Notwehr rechtfertigen oder im Falle eines Notstands entschuldigen.
Zudem sei Brosius-Gersdorfs Argumentation widersprüchlich, da Brosius-Gersdorf davon ausgeht, daß ein Schwangerschaftsabbruch auch bei Annahme einer vorgeburtlichen Geltung der Menschenwürde die Würde des Kindes regelmäßig gar nicht verletzen würde. Brosius-Gersdorf gehe es um eine Abschwächung des vorgeburtlichen Lebensschutzes, um so zumindest in der Frühphase der Schwangerschaft eine von ihr vorausgesetzte Rechtmäßigkeit indikationsloser Abtreibungen begründen zu können.
Ausgrenzende Logik gefährdet auch geborene Schwache
In der Konsequenz gefährde ein solches Verständnis nicht nur den Schutz ungeborenen Lebens, sondern könne auch auf geborene Menschen ausgeweitet werden. Sobald die Menschenwürde an Bedingungen wie Entwicklungsstand, Selbständigkeit oder soziale Nützlichkeit geknüpft werde, gerate ihr absoluter Charakter ins Wanken. Der von Brosius-Gersdorf propagierte Ansatz öffne laut Funck einer Relativierung der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes Tür und Tor.
Die Menschenwürdegarantie sei, so Funck unter Verweis auf den ehemaligen Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, als Reaktion auf die NS-Verbrechen ins Grundgesetz aufgenommen worden. Sie dürfe weder relativiert noch taktisch uminterpretiert werden. Brosius-Gersdorfs Position sei daher nicht Ausdruck verfassungsrechtlicher Redlichkeit, sondern Teil einer ideologischen Strategie zur Schwächung des Lebensschutzes. (sv)
Anmerkung der Redaktion: Einzelne Formulierungen dieser Meldung wurden nach Hinweisen juristisch präzisiert – insbesondere zur Position Brosius-Gersdorfs bei der Geltung der Menschenwürde vor der Geburt und zur rechtlichen Einordnung von Ausnahmetatbeständen.