In der AfD zieht die Debatte über die richtige Politik gegenüber Rußland immer weitere Kreise. Auslöser der aktuellen Diskussionen sind die angekündigte Reise mehrerer AfD-Parlamentarier zu einer Konferenz ins russische Sotschi sowie öffentliche Äußerungen von Parteichef Tino Chrupalla am Dienstag bei Markus Lanz. In der Talksendung hatte er darauf bestanden, daß von Rußland derzeit „keine Gefahr für Deutschland“ ausgehe. In einem Wortwechsel mit dem Moderator sagte er außerdem, daß „natürlich“ auch Polen „eine Gefahr für Deutschland werden“ könne.
Der Brandenburger AfD-Bundestagsabgeordnete und Verteidigungspolitiker Hannes Gnauck ging am Donnerstag auf Distanz zu Chrupallas Aussagen. „In Sabotageakten, Spionage, Desinformation, Cyberangriffen und auch in sehr riskanten und feindseligen Aktivitäten im Ostseeraum zeigt sich, wie angespannt und volatil die derzeitige Lage ist“, betonte er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Diese Vorfälle müssen klar benannt werden.“
Auch sein Kollege Rüdiger Lucassen aus Nordrhein-Westfalen unterstrich gegenüber der JF, daß Rußland „nach allem, was wir wissen“, Schaden an Deutschlands kritischer Infrastruktur anrichte. „Diese Bedrohung muß Deutschland abwehren können.“ Zugleich machte er klar, er teile nicht „den Alarmismus der Bundesregierung, daß Rußland in die direkte militärische Konfrontation mit Deutschland gehen könnte“. Der hessische Verteidigungspolitiker Jan Nolte sieht es ebenso: Rußland setze Mittel der hybriden Kriegsführung gegen Deutschland ein, „da dürfen wir uns keine Illusionen machen“. An einen militärischen Angriff Rußlands glaubt er allerdings nicht. Chrupalla sprach am Donnerstag im ZDF-„Morgenmagazin“ von „Kriegshysterie“, die in Deutschland betrieben werde.
Weidel will „die Illusionen nehmen“
Klare Rückendeckung erhält der Parteichef vom Bundestagsabgeordneten Matthias Moosdorf aus Sachsen: „Derzeit gibt es eine Hysterie – aber keine Bedrohungslage“, sagte er der JF. Gleichzeitig geht Moosdorf, der im vergangenen Jahr eine Honorarprofessur an einer Moskauer Musikhochschule angenommen hatte, auf Distanz zu Co-Fraktionschefin Alice Weidel. Die hatte am Dienstag und erneut am Mittwoch deutliche Kritik an der geplanten Reise mehrerer AfD-Parlamentarier, darunter des Brandenburger Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré und des sächsischen Landeschefs Jörg Urban, zu einer Konferenz in Sotschi geübt (die JF berichtete).
„So sehr ich die Hintergründe von einzelnen Abgeordneten nachvollziehen kann: Sie werden kein relevantes Gewicht in Friedensverhandlungen haben“, mahnte Weidel am Mittwoch gegenüber Compact-TV. „Und die Illusionen, die müssen einfach genommen werden. Und darum muß man auch nicht in einen Skiort fahren. Sondern man kann auch gerne zu Hause bleiben und hier parlamentarische Arbeit machen.“ Die AfD sei „noch nicht mal Regierungspartei“.
Moosdorf findet „eine solche Aussage einfach völlig daneben“. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Markus Frohnmaier, der als Weidel-Vertrauter gilt, betont dagegen: „Ich glaube, niemand hatte je den Eindruck, daß AfD-Abgeordnete im Rahmen einer Rußlandreise plötzlich eine Friedenskonferenz mit Präsident Putin und Präsident Selenskyj eröffnen würden“, sagte er der JF. Man solle „jede Gelegenheit nutzen, um Dialogmöglichkeiten nicht abreißen zu lassen“.
Lucassen schießt gegen Rußland-Reisende
Der bayerische Verteidigungspolitiker Gerold Otten schloß sich der Einschätzung der Fraktionschefin an. „Aufgabe der AfD sollte es sein, für einen Dialog mit Rußland zu werben, allerdings nicht durch Reisen nach Rußland zu Veranstaltungen, die durch die russische Seite ständig zu Propagandazwecken mißbraucht werden!“, mahnte er gegenüber der JF.
Deutliche Worte findet auch sein Kollege Lucassen. Er fordert, daß die Kontakte nach Rußland „alleinig in der Hand der Partei- und Fraktionsvorsitzenden“ liegen müßten. „Politik ist kein Spielfeld, auf dem man politische Lustreisen unternimmt, um sich nachher auf Facebook zu produzieren.“ Einzelne vermischten „immer noch private Sympathien, persönliche Sozialisation und einen sturen ‘Dagegen-Kurs‘“.
Auch der bayerische Abgeordnete Rainer Kraft, bekannt als Unterstützer der Ukraine, übt scharfzüngige Kritik an den Reiseplänen einiger Kollegen: „Die beteiligten Abgeordneten müssen sich natürlich fragen lassen, warum sie sich, wie so mancher SPD-Grande, für fremde Interessen zum Werkzeug machen lassen oder größte ethnische Säuberung der Weltgeschichte als Befreiung feiern“, unterstrich er gegenüber der JF. Das Konzept Deeskalation sei „vollumfänglich durch Rußlands Größenwahn gescheitert“.
Soll das Verfahren geändert werden oder nicht?
Kotré, einer der AfD-Reisenden, verteidigte sich indes am Donnerstag auf JF-Nachfrage: „Ich mache mit meinen Kollegen das, was die Bundesregierung machen sollte und einige SPD-Politiker auch tun: Gespräche führen statt Mauern aufzubauen.“ Sein Fraktionskollege Rainer Rothfuß, der bereits im vergangenen Jahr den Vizechef des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, getroffen und auch jetzt wieder nach Rußland hatte reisen wollen, hat seine Teilnahme indes abgesagt, wie Weidel bereits am Dienstag angab.
Die Fraktionschefin stört sich auch an dem Verfahren, das zur Genehmigung der Reisen führte. Der von Frohnmaier geleitete Arbeitskreis Außen der Fraktion hatte sein Okay gegeben. Das sei „recht unglücklich“ gewesen, kritisierte Weidel und forderte, neu über die Regeln für die Genehmigung entsprechender Reisen zu diskutieren. „Denn so sollten wir nicht weitermachen. Das können wir uns nicht leisten.“
Abgeordnete wie Lucassen unterstützen Weidel in diesem Punkt. Doch Arbeitskreischef Frohnmaier sieht für eine Änderung der Regeln in der Fraktion keinen Bedarf, wie er am Donnerstag sagte. „Die bestehenden Verfahren funktionieren gut.“ Lediglich auf Parteiebene brauche es eine Reform der Reiserichtlinien. Moosdorf verweist derweil auf die Freiheit des Mandats, die es zu respektieren gelte. Eine straffere Kontrolle von Kontakten durch die Fraktion lehnt er ab.
AfD sieht „bewußtes Agendasetting der Union“
Schadet die aktuelle Debatte der AfD? Frohnmaier sieht wie auch andere Abgeordnete in der Diskussion jedenfalls ein „bewußtes ‘Agendasetting‘ der Union und der öffentlich-rechtlichen Medien“. Die CDU habe verabredet, die AfD „als rußlandhörige Vaterlandsverräter zu brandmarken“. Verteidigungspolitiker Gnauck verweist darauf, daß aktuell zahlreiche innenpolitische Herausforderungen im Vordergrund stehen sollen. Kontroverse Punkte solle man offen ansprechen, allerdings „ohne einzelne Personen zu stigmatisieren“.
Sein Kollege Lucassen fordert die Partei dazu auf, ihre Position zu sortieren und auf eine Ebene zu bringen, „die der stärksten Partei in Deutschland angemessen ist“. In der Rußlandpolitik habe sich die AfD „noch nicht professionalisiert“. Auf der anderen Seite unterstreicht Moosdorf, das Verhältnis zu den Großmächten gehöre schon immer zu den Fragen, auf die es verschiedene Sichten gebe. Irgendwann müßten „dann Dinge eben auch mal ausdiskutiert werden“.
Derweil versucht die Parteiführung die Wogen zu glätten. Die Bundesgeschäftsstelle versendete am Donnerstag ohne Hinweis auf den Kontext eine gemeinsame, aber betont schlichte Stellungnahme Chrupallas und Weidels: „Wir werden als Bundessprecher der Alternative für Deutschland auch zukünftig gemeinsam Politik für Deutschland und seine Bürger machen“, heißt es darin. „Dafür pflegen wir die guten Beziehungen zu unseren europäischen und internationalen Partnern.“






