BERLIN. Die Ernennung des Linken-Abgeordneten Gregor Gysi zum Alterspräsidenten des nun doch zusammentreten dürfenden neugewählten Bundestages ist auf Kritik bei der AfD gestoßen. Ihr Abgeordneter Alexander Gauland ist mit 84 Jahren der lebensälteste Parlamentarier. Der noch zu DDR-Zeiten zum SED-Chef aufgestiegene 77jährige folgt dahinter.
Die AfD stört sich nicht nur an der Ausgrenzung, sondern auch daran, daß der „ehemalige Stasispitzel IM Notar“ das Parlament eröffnen dürfe. So drückte sich die Abgeordnete Beatrix von Storch aus. Am Dienstag tritt der bereits am 23. Februar gewählte Bundestag das erste Mal zusammen.
Hintergrund: 1998 hatte der Wahlausschuß des Bundestages nach einer ausführlichen Prüfung „eine inoffizielle Tätigkeit des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik als erwiesen festgestellt“. So steht es im bis heute abrufbaren Bericht des Bundestages.
AfD will gegen Gysi Protest zeigen
Von Storch kritisierte außerdem, es sei „ein Unding, daß der AfD zustehende Rechte“ beseitigt würden und statt Alexander Gauland nun Gysi den Bundestag eröffne. Die anderen Parteien hatten aber bereits 2017, als die AfD das erste Mal in den Bundestag einzog und mit Wilhelm von Gottberg den Alterspräsidenten hätte stellen sollen, die Geschäftsordnung geändert. Seitdem werden nicht mehr – wie seit 1949 üblich – die Lebensjahre, sondern die Zugehörigkeitsjahre zum Bundestag als Kriterium genommen.
Gysi zog 1990 das erste Mal für die SED-PDS in den Bundestag ein. 2002 gab er sein Mandat zurück, um unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Berliner Wirtschaftssenator zu werden. Von dem Amt trat er jedoch schnell zurück und erlangte 2005 als Spitzenkandidat erneut die Zugehörigkeit zum Bundestag, dem er seitdem wieder angehört.
Während die Union trotz der Stasi-Vergangenheit Gysis keine Einwände gegen dessen Alterspräsidentschaft erhebt, überlegt sich die AfD einen Protest. Auf der Fraktionssitzung am Dienstagmorgen werden laut einem RND-Bericht verschiedene Wege beraten, wie die auf 152 Abgeordnete verdoppelte und nun zweitgrößte Fraktion ihren Unmut gegen Gysi zeigen werde.
Applaudiert die Union Gysi stehend?
Nach 1994 ist es das zweite Mal in der Geschichte des wiedervereinigten Deutschlands, daß ein Abgeordneter der umbenannten SED Alterspräsident wird. Damals protestierte die Union scharf gegen den 81jährigen Stefan Heym, der nur deswegen auf der PDS-Liste kandiderte, damit die Fraktion den Alterspräsidenten stellen konnte. Auf die Idee, deswegen die Geschäftsordnung zu ändern, kam vor 21 Jahren indes niemand.
Die CDU/CSU-Abgeordneten blieben nach der Rede sitzen und rührten keine Hand, was seinerzeit als unerhörter Bruch der ungeschriebenen Regeln des Parlaments galt. Ob sie diesmal Gysi stehenden Applaus spenden, wird der Dienstag zeigen. Eine solche Ehre wurde dem Ex-SED-Chef nicht einmal in der Volkskammer zuteil. Dem DDR-Parlament gehörte er bis zu dessen Auflösung 1990 an. (fh)