BERLIN/POTSDAM. Frauke Brosius-Gersdorf zieht ihre Kandidatur für das Amt einer Richterin am Bundesverfassungsgericht zurück. Das erklärte die Potsdamer Professorin am Donnerstag in einer schriftlichen Erklärung, die das juristische Fachportal LTO im Wortlaut veröffentlichte. „Nach reiflicher Überlegung stehe ich für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung“, heißt es darin.
Brosius-Gersdorf war von den Sozialdemokraten für das Amt als Bundesverfassungsrichterin nominiert worden. Nach kritischer Berichterstattung, auch der JUNGEN FREIHEIT, über ihre Positionen unter anderem zum Thema Abtreibung nahm allerdings der Widerstand in der Unionsfraktion zu. Letztlich mußten Union und SPD einen bereits anberaumten Wahlgang am 11. Juli kurzfristig absagen. Die SPD zog den Vorschlag allerdings bis jetzt nicht zurück.
Brosius-Gersdorf übt massive Kritik an der Union
Brosius-Gersdorf führt nun aus, ihr sei aus der Unionsfraktion in den letzten Tagen und Wochen „sehr deutlich“ signalisiert worden, daß ihre Wahl ausgeschlossen sei. „Teile der CDU/CSU-Fraktion lehnen meine Wahl kategorisch ab.“ Die Juristin wirft den Christdemokraten vor, daß es ihnen „nicht gelungen“ sei, „sich mit meinen Themen und Thesen inhaltlich auseinanderzusetzen“. Durch ihre Nichtwahl werde ihre wissenschaftliche Freiheit „sanktioniert“, klagt Brosius-Gersdorf.
Ein Durchhalten mache aber nur Sinne, wenn es eine reelle Wahlchance gebe. Es müsse verhindert werden, „daß sich der Koalitionsstreit wegen der Richterwahl zuspitzt und eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind“. Mit diesem Argument hatte Brosius-Gersdorf bereits im Juli während eines Auftrittes in der Sendung von Markus Lanz angedeutet, daß ein Rückzug für sie in Betracht komme.
Brosius-Gersdorf ohrfeigt FAZ-Journalisten
Die 54jährige gibt darüber hinaus an, die beiden anderen Richterkandidaten, Ann-Katrin Kaufhold und Günter Spinner, schützen zu wollen. Diese wurden von SPD und Union für weitere Posten am Bundesverfassungsgericht nominiert. Auch die Wahl Kaufholds und Spinners war abgesetzt worden, als der Streit um ihre Kollegin im Juli eskalierte.
Zugleich betont Brosius-Gersdorf ihre Kritik an Teilen der Presse. Sie wirft einigen Journalisten vor, „’Speerspitze‘ eines ehrabschneidenden Journalismus“ gewesen zu sein. Aus den Formulierungen geht hervor, daß Brosius-Gersdorf damit Vertreter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung meint, auch wenn sie das Blatt nicht explizit benennt.
Neu und bedrohlich sei, daß Desinformationskampagnen in Sozialen Netzwerken zum Parlament durchgebrochen seien, führt sie weiter aus. Von Abgeordneten der Union, die für bürgerliche Werte wie Anstand stünden, müsse man erwarten, daß ungeprüfte Behauptungen nicht Grundlage ihrer Entscheidung seien. Über die SPD-Bundestagsfraktion schreibt Brosius-Gersdorf, daß diese „uneingeschränkt vor und hinter mir“ gestanden habe. Auch von Grünen und Linken habe sie „großen Zuspruch“ erhalten.
„Schämt Euch allesamt!“
Der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Sebastian Münzenmaier zeigte sich am Donnerstag in einer ersten Reaktion erfreut über Brosius-Gersdorfs Rückzug. „Eine späte Einsicht ist immer noch besser als gar keine Einsicht“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Der Vorgang zeige, daß „der berechtigte Druck von rechts wirkt“. Zugleich forderte Münzenmaier CDU und CSU auf, auch die Richterkandidatin Kaufhold abzulehnen.
Dagegen reagiert die andere Seite des politischen Spektrums entsetzt. „Da hat die CDU/CDU ganze Arbeit geleistet eine renommierte Juristin niederzumachen“, schrieb der Linken-Bundestagsabgeordnete Luigi Pantisano bei X. „Schämt Euch allesamt!“ Die Union lasse sich von Rechtsextremisten treiben. Die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff sprach von einem „schwarzen Tag für die Koalition und die Demokratie“. Weitere Reaktionen lesen Sie hier.
Das hat die CDU/CDU ganze Arbeit geleistet eine renommierte Juristin niederzumachen. Schämt Euch allesamt! Ihr lasst Euch von Rechtsextremisten treiben. Dabei müsste dieser Versager Spahn zurücktreten, statt Frau Brosius Gersdorf. Und die SPD? Peinlich! pic.twitter.com/038T1CpU42
— Luigi Pantisano (@LuigiPantisano) August 7, 2025
Brosius-Gersdorf hatte in ihrer rechtswissenschaftlichen Tätigkeit immer wieder deutlich linke Positionen zu umstrittenen gesellschaftspolitischen Themen eingenommen. So stellte sie die Menschenwürde Ungeborener in Frage, plädierte dafür, Rechtsreferendarinnen das Kopftuchtragen zu erlauben, und machte sich für eine verpflichtende Frauenquote bei Parlamentswahlen stark. Damit positionierte sie sich wiederholt in Widerspruch zu bisheriger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung. (ser)