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Prozeßbeginn Anfang November: Der Attentäter von Magdeburg würde es wohl wieder tun

Prozeßbeginn Anfang November: Der Attentäter von Magdeburg würde es wohl wieder tun

Prozeßbeginn Anfang November: Der Attentäter von Magdeburg würde es wohl wieder tun

Das Bild zeigt einen bewaffneten Polizisten kurz nach dem Attentat von Magdeburg.
Das Bild zeigt einen bewaffneten Polizisten kurz nach dem Attentat von Magdeburg.
Ein bewaffneter Polizist kurz nach dem Attentat vom Magdeburger Weihnachtsmarkt: Mutmaßlicher Täter zeigt keine Reue. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ebrahim Noroozi
Prozeßbeginn Anfang November
 

Der Attentäter von Magdeburg würde es wohl wieder tun

Anfang November beginnt der Prozeß gegen den mutmaßlichen Attentäter vom Magdeburger Weihnachtsmarkt, Taleb al-Abdulmohsen. Mehrere Sicherheitsbehörden hatten den psychisch Auffälligen im Visier, passiert ist nichts.
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Es ist ein typischer Freitagabend in der Adventszeit. Wie in jeder größeren Stadt hierzulande kommen auch am 20. Dezember vergangenen Jahres in Magdeburg zahlreiche Menschen zusammen, um bei einem Glühwein oder Kinderpunsch, einer Portion Schmalzgebäck oder gebrannten Mandeln das Wochenende einzuläuten. Vielleicht erholt sich der eine oder die andere auch vom Streß beim Geschenkekaufen so kurz vor Heiligabend.

Doch als um kurz nach 19 Uhr der aus Saudi-Arabien stammende Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Taleb al-Abdulmohsen seinen gemieteten BMW am Alten Rathaus auf den Gehweg lenkt und das Gaspedal des 340 PS starken Wagens bis zum Anschlag durchdrückt, wird aus der vorweihnachtlichen Gemütlichkeit das pure Grauen.

Knapp 500 Meter rast al-Abdulmohsen mit fast 50 Stundenkilometern zwischen den Buden über den Weihnachtsmarkt, durch eine Zufahrt, die eigentlich für Rettungsfahrzeuge vorgesehen ist; wie ein „Schneepflug“, so berichten Zeugen später. Der schwere schwarze Wagen schleift die arglosen Opfer mit und begräbt sie teilweise unter sich. Eine Minute und vier Sekunden dauert das Massaker, das als einer der schwersten Anschläge in die deutsche Nachkriegsgeschichte eingeht. Sechs Menschen sterben, 309 Menschen werden verletzt teilweise lebensgefährlich. Jüngstes unter den Todesopfern ist der neunjähriger André aus dem niedersächsischen Landkreis Wolfenbüttel.

Generalbundesanwalt übernimmt den Fall nicht

Anfang November nun soll der Prozeß gegen al-Abdulmohsen beginnen. Die sachsen-anhaltische Generalstaatsanwaltschaft in Naumburg klagt den 51jährigen vor dem Landgericht Magdeburg nicht nur wegen Mordes in mehreren Fällen, sondern auch wegen versuchten Mordes in Hunderten Fällen an, da der Täter auf insgesamt 338 Personen zusteuerte. Weil die psychische Konstitution des Angeklagten und sein Motiv angesichts einer „Bandbreite an politischen Äußerungen“ unklar sei, hat Generalbundesanwalt Jens Rommel den Fall nicht an sich gezogen.

Bislang hat die Kammer 147 Nebenkläger zugelassen, weitere können  noch hinzukommen. Wie viele Zeugen und Sachverständige hinzugezogen werden, steht noch nicht fest, genauso wie die Zahl der Vehandlungstage. Eigens für den Prozeß gegen den Weihnachtsmarkt-Attentäter wurde in Magdeburg eine temporäre Leichtbauhalle errichtet. Sie befindet sich auf einem etwa einen Hektar großen Areal am Jerichower Platz im Osten der Elbestadt. An der Stelle befand sich zwischen 2015 und 2016 ein Flüchtlingszelt, das allerdings nie genutzt und daher bald wieder abgebaut worden war.

Den provisorischen Bau, dessen zentraler Saal 2.000 Quadratmeter groß ist und Platz für rund 700 Personen bietet, hat das Land bei einer Spezialfirma gemietet – wie teuer das Ganze am Ende wird, steht noch nicht fest. Technik und Sicherheitsvorkehrungen schlagen ebenso zu Buche wie eine vorherige Untersuchung auf mögliche Kampfmittelrückstände im Boden. Die Mietkosten stünden nicht im Vordergrund, es gehe „um die Menschen, die hier teilnehmen wollen“, betonte Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) Ende September nach Fertigstellung des Gebäudes. Es sei rechtsstaatliche Pflicht, das Verfahren professionell und rechtssicher zu führen, ist die Ministerin überzeugt: „Das sind wir den Geschädigten des Anschlags schuldig.“

Der Verfassungsschutz hatte ihn auf dem Schirm

Schon länger findet wenige Kilometer entfernt die politische Aufarbeitung statt – mit einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß im Landtag von Sachsen-Anhalt. Dabei geht es neben möglichen Mängeln im Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarkts auch um die Vorgeschichte des Attentäters. Denn seit seiner Ersteinreise im März 2006 nach Hamburg sammelte der Saudi 105 Vorgänge bei diversen deutschen Sicherheitsbehörden, wie aus einem vertraulichen Dokument des Bundeskriminalamts (BKA) hervorgeh, aus dem die JUNGE FREIHEIT an dieser Stelle bereits ausführlich berichtet hatte (JF 5/25).

Zwischen April 2013 und seiner Tat im Dezember 2024 beschäftigte al-Abdulmohsen Behörden aus sieben Bundesländern – Bayern, Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt – sowie zahlreiche Bundesbehörden vom BKA bis zum Bundesnachrichtendienst (BND), dem Verfassungsschutz und Kanzleramt. Dabei ging es früh schon um den Verdacht der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten. Im Januar 2014 etwa soll er „gegenüber einer Mitarbeiterin des Ordnungsamtes Stralsund in aggressiver und drohender Weise geäußert haben, daß er Handlungen/Taten mit ‘internationaler Beachtung’ ausführen“ wolle.

Auch der Verfassungsschutz wurde auf den Mann, der nach seinem Medizinstudium im saudischen Riad die Ausbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Hamburg, Bochum, Hannover und Stralsund fortsetzte, aufmerksam. So habe al-Abdulmohsen dem saudi-arabischen Botschafter gedroht, er „werde eine Armee gründen und das saudi-arabische Volk von der Königsfamilie befreien“, heißt es in der Chronologie des BKA. Auffallend war, daß der spätere Attentäter sich bereits in seinem Heimatland vom Islam abgewendet haben will.

Magdeburg-Attentäter hat einen gefährlichen Freund

Seit März 2020 arbeitete al-Abdulmohsen im Maßregelvollzug in Bernburg. Dort fiel er durch wirre Mails und Unzuverlässigkeit auf. Seine Tätigkeit und sein Einsatz hätten, wie es in einer Untersuchung des Arbeitgebers nach dem Anschlag hieß, „nicht dem durchschnittlichen Leistungsniveau“ entsprochen. Ihm sei demzufolge „bis zuletzt keine psychotherapeutische Behandlung zugetraut“ worden. Im Januar 2025 habe man prüfen wollen, ihm zu kündigen.

Thema im Landtag war jüngst auch ein brisanter Vorgang, den Recherchen des MDR ans Licht gebracht hatten. Die Journalisten hatten einen Bekannten von al-Abdulmohsen vor die Kamera bekommen, der dessen grausame Amokfahrt offen unterstützte. Ahmad A., der in Thüringen lebte und nun in Niedersachsen wohnen soll, bedauerte sogar, daß es nicht noch mehr Opfer gegeben habe. Zudem habe ihn der spätere Attentäter von Magdeburg beraten, wie er an ein Visum für Deutschland komme.

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Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) mußte bei einer Befragung im Landtag zugeben, daß ihren Behörden keine Erkenntnisse darüber vorliegen, „welchen Personen Taleb al-Abdulmohsen eine Asylberatung hat zukommen lassen“. Immerhin eines konnte die Ministerin sicher mitteilen: Ahmad A., der angedroht hatte, das sachsen-anhaltische Halberstadt niederzubrennen, sei ein „Betretungsverbot“ für die Stadt „nicht nur ausgesprochen, sondern auch schriftlich übergeben worden“.

AfD unterstellt Landesregierung mangelndes Interesse

Mit dem Fortschritt der Aufklärung politischer Verantwortlichkeiten ist die oppositionelle AfD im Landtag nicht zufrieden. Sie wirft den Koalitionsfraktionen vor, sie täten alles, um die Landesregierung zu schützen. „Eine echte und ehrliche Aufarbeitung des Versagens landeseigener Behörden wird dadurch verhindert“, beklagt der innenpolitische Sprecher der Fraktion und Obmann im Untersuchungsausschuß, Matthias Büttner, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Statt Verantwortung zu übernehmen, werde weiterhin nach anderen Schuldigen gesucht.

„Zunächst wurde die Stadt Magdeburg mit ihrem Sicherheitskonzept in den Mittelpunkt gerückt, jetzt wird die Aufmerksamkeit auf eine Zeit gelenkt, in der der Täter noch gar nicht in Sachsen-Anhalt war“, beklagt Büttner, der zugleich stellvertretender Ausschußvorsitzender ist. „Die regierungstragenden Fraktionen spielen bewußt auf Zeit. Dadurch wird eine echte Aufklärung, die das Versagen der Landesregierung belegen würde, in dieser Legislaturperiode kaum noch möglich sein“, ist sich der Abgeordnete sicher. Spätestens im Sommer kommenden Jahres, kurz vor der Landtagswahl, muß der Untersuchungsausschuß seinen Abschlußbericht vorlegen.

Die Teilnehmer und Beobachter des bald beginnenden Prozesses in Magdeburg indes werden mit einem sicher nicht rechnen dürfen: mit einer Äußerung der Reue durch den Angeklagten. Denn Taleb al-Abdulmohsen hatte bereits im März aus der Untersuchungshaft heraus in einem Brief an die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg angekündigt, seine Amokfahrt wiederholen zu wollen. Würde man ihn in einer Zeitmaschine zum 20. Dezember 2024 zurückschicken, würde er den Weihnachtsmarkt erneut angreifen.

Aus der JF-Ausgabe 44/25.

Ein bewaffneter Polizist kurz nach dem Attentat vom Magdeburger Weihnachtsmarkt: Mutmaßlicher Täter zeigt keine Reue. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Ebrahim Noroozi
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