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Wohnungsnot: Verbannung in Bruchbuden

Wohnungsnot: Verbannung in Bruchbuden

Wohnungsnot: Verbannung in Bruchbuden

Ein baufälliges Haus in Brandenburg: In Deutschland grassiert die Wohnungsnot, zur Not sollen es Bruchbuden tun
Ein baufälliges Haus in Brandenburg: In Deutschland grassiert die Wohnungsnot, zur Not sollen es Bruchbuden tun
Ein baufälliges Haus in Brandenburg: In Deutschland grassiert die Wohnungsnot Foto: picture alliance / Patrick Pleul/dpa-Zentralbild
Wohnungsnot
 

Verbannung in Bruchbuden

Der neueste Strohhalm der Bundesregierung beim Thema Wohnungsbaupolitik heißt „Flucht aus der Stadt“. Doch ganz so einfach ist es nicht: Viele Häuser sind nicht in Schuß oder weit abgelegen. Und dann wäre da noch Deutschlands Dauerproblem mit der Digitalisierung.
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Wer verzweifelt ist, greift nach jedem Strohhalm. Und Bauministerin Klara Geywitz hat allen Grund dazu. Das Ziel von 400.000 Neubauwohnungen jährlich aus dem Ampel-Koalitionsvertrag hat sie einkassiert, aber die Schere zwischen der Nachfrage und der Bautätigkeit öffnet sich immer weiter. Seit 2010 ist die Einwohnerzahl Deutschlands um über vier Millionen gestiegen. Der historisch hohe Wanderungssaldo von über 1,4 Millionen im vergangenen Jahr hat den angespannten städtischen Wohnungsmärkten den Rest gegeben. Nichts geht mehr: 0,3 Prozent Leerstand in Münster und 27 Prozent Mietsteigerung in Berlin – in 90 Tagen. Jetzt ist guter Rat teuer.

Das Fatale ist, daß die Baupolitik wegen der jahrelangen Wirkungsverzögerungen ihrer Instrumente kurzfristig nichts bewirken kann. Die großen Versäumnisse der Vergangenheit, die bis in die Merkel-Ära zurückreichen, kann man nicht schnell korrigieren. Und für das aktuelle Branchenumfeld ist das Wort „Stapelkrise“ recht passend: Zinsen, Bau- und Bodenpreise sind so stark angestiegen, daß sich der Mietwohnungsbau vielerorts wegen der Unerschwinglichkeit der kalkulatorisch erforderlichen Mieten nicht mehr lohnt. Der Eigenheimneubau bleibt Besser- und Spitzenverdienern vorbehalten.

Nur 400.000 bezugsbereite Wohnungen in der Provinz

Der neueste Strohhalm heißt „Flucht aus der Stadt“. Die SPD-Ministerin will mehr Menschen zum Umzug aufs Land bewegen. Außerhalb der Metropolen stünden 1,7 Millionen Wohnungen leer. Ist das die ersehnte Rettung für die städtischen Wohnungsmärkte? Auf solche Zahlen kommt man nur, wenn man auch die Bruchbuden mitzählt und die zwischenzeitliche Belegung von 200.000 Wohnungen durch ukrainische Flüchtlinge nicht berücksichtigt. Mehr als die Hälfte der leerstehenden Wohnungen ist „nicht marktaktiv“, also nicht sofort beziehbar.

Nur 600.000 Wohnungen stehen tatsächlich zur Verfügung, davon 400.000 „janz weit draußen“, also nicht in den Städten und ihrem Umland. Die bezugsbereite Wohnungsreserve in der Provinz entspricht nur einem Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Die restliche Leerstandsreserve müßte erst einmal aufwendig saniert werden.

Leider „befindet sich der überwiegende Teil dieser Wohnungen in ländlichen Regionen“, hat auch Klara Geywitz erkannt. Gelinge es aber, das Leben dort attraktiver zu machen, würden sich mehr dafür entscheiden und den Wohnungsmarkt entlasten. Man reibt sich die Augen. Da sind sie wieder, die „gleichwertigen Lebensverhältnisse“, die sich trotz Palaverns in Gremien einfach nicht einstellen wollen.

Plötzlich soll es blitzschnell gehen

Die Bürger haben die abgehängten Regionen verlassen, weil sie ihnen zu wenige Lebenschancen bieten. Die wirkliche Welt ist eben von zunehmender räumlicher Polarisierung geprägt. Das betrifft auch die Demographie, die Arbeitsmärkte, die Einkommen, die soziale Lage, die Bildungschancen und die Versorgung mit harter und weicher Infrastruktur. Gleiche Lebensverhältnisse kann es nie geben, und jede kleine Abflachung des Gefälles bei den Lebenschancen ist schon ein Erfolg.

Was man in Jahrzehnten nicht geschafft hat, soll jetzt blitzschnell gehen: Der ÖPNV werde mit dem 49-Euro-Deutschlandticket verbessert. Es fehlt dafür aber die nötige Verkehrsinfrastruktur auf dem Land. Stillgelegte Bahnstrecken sollen reaktiviert werden. Das geht nur, wenn daraus nicht schon Wander- oder Radwege wurden. Während die Politik von der Verkehrsverlagerung auf die Schiene faselte, wurden seit der Bahnreform 5.400 Kilometer des deutschen Schienennetzes stillgelegt.

Ist ein dörfliches Homeoffice-Idyll realistisch?

Trotz erzwungener Telearbeit in der Corona-Krise sind die Pendelzeiten in die Zentren nur für wenige Arbeitnehmer nebensächlich. Das reine Homeoffice ist wegen der Auswirkungen auf die Betriebsgemeinschaft und die Arbeitsproduktivität für viele Branchen ungeeignet: Der Heizungsbau-meister kann Robert Habecks Wärmepumpen und Solarpanele nicht virtuell einbauen. Abgesehen davon nimmt das „Digital Cottage“ in Deutschland nur ganz langsam Gestalt an. Ende 2021 hatten nur sieben Prozent der deutschen Haushalte einen Glasfaseranschluß. Die OECD-Länder kommen im Schnitt auf 35, Spanien auf 80 Prozent. Leider liegen die wenigen schnellen Leitungen in den Metropolräumen und nicht in der deutschen Provinz.

Der politische Machbarkeitswahn grassiert dennoch weiter. Kann die digitale Infrastruktur jetzt auf die Schnelle für das dörfliche Homeoffice-Idyll ertüchtigt werden? Bis auf die Regierungsverantwortlichen glaubt wohl niemand daran. Nein, die Nutzung der Leerstände auf dem Land ist kein Patentrezept gegen die Wohnungsnot der großen Städte. Die Aufwertung der vernachlässigten Provinz erfordert gewaltige staatliche Investitionen. Selbst wenn sich dafür trotz Klimarettung und Aufrüstung die Mittel finden, würde es Jahrzehnte dauern, bis sich eine spürbare Verbesserung der Lebensverhältnisse einstellt.

Verwaltung der Wohnungsnot mit den Mitteln der Zwangswirtschaft

Die Ablenkungsaktion der Bauministerin verschleiert Ursache und Wirkung. Die städtische Wohnungsnot ist nicht die Folge einer Landflucht. Sie ist in erster Linie auf die Außenwanderung zurückzuführen. Die sieben größten Städte in Deutschland haben seit Jahren einen negativen Binnenwanderungssaldo, wobei viele Haushalte in das billigere Umland abgewandert sind. In den Großstädten herrscht ein gnadenloser Wettbewerb zwischen Einheimischen und Zuwanderern um die letzten freien Wohnungen. Mit den Mitteln der Regionalpolitik kann man daran auf kurze und mittlere Sicht nichts ändern. Bis das Landleben wieder eine realistische Option für gestreßte Städter wird, fließt noch viel Wasser den Rhein hinunter.

Realistisch erscheint jetzt die Verwaltung der Wohnungsnot mit den aus der Kriegs- und Nachkriegszeit bekannten Mitteln der Zwangswirtschaft. Zuerst kommen Preiskontrollen und Kündigungsverbote, dann die Wohnraumbewirtschaftung, und am Ende könnte der erzwungene Wohnungstausch stehen.

Derzeit sind das noch Gedankenspiele, aber der Focus hat bereits getitelt: „Wenn Rentner umziehen, würde das die Wohnungsnot lindern“. So weit hat es das Versagen der Wohnungspolitik gebracht. Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und ihr Bauminister Paul Lücke haben 16 Jahre gebraucht, um nach dem Krieg die schlimmste Wohnungsnot zu beseitigen. Genauso lange hat Angela Merkel bei guter Ausgangslage für den völligen Ruin der Wohnungsmärkte gebraucht. Verdient die Altkanzlerin dafür das Großkreuz in besonderer Ausfertigung?

JF 15/23

Ein baufälliges Haus in Brandenburg: In Deutschland grassiert die Wohnungsnot Foto: picture alliance / Patrick Pleul/dpa-Zentralbild
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