Die Straßen sind mit bunter Kreide bemalt. Regenbogenfarbene Girlanden hängen in den Bäumen. „Wollen Sie auch zum Fest der Vielfalt?“ fragt ein Familienvater den Reporter der JUNGEN FREIHEIT. Wie bitte, wohin? Das klingt so gar nicht nach der AfD, die in dem hessischen Fünfhundertseelenort Gundernhausen, in der Nähe von Darmstadt, zu einer Wahlkampfveranstaltung geladen hat.
Erst wenige Schritte später klären sich Irritation und Verwunderung auf. Trillerpfeifen, Antifa-Fahnen, Punkmusik auf der einen, Polizisten auf der anderen Seite. Linksradikale haben einen Zufahrtsweg zur Veranstaltung der Partei blockiert, ein schwarzes Transparent mit dem Logo der Gewerkschaft IG Metall ausgebreitet. „Gegen Faschos im Betrieb“ steht darauf. „Wollen Sie zur AfD-Veranstaltung?“ fragen die Blockierer in Blockwartmanier jeden Passanten auf dem Weg zur Bürgerhaushalle. „Presse? Welches Medium?“ geht die Ausforschung weiter.
Auf die im Gegenzug gestellte Frage, wer sie denn seien, winden sich die sogenannten „Aktivisten“. „Wir sind alle, der ganze Ort“, antwortet eine ältere Frau verbal vernebelnd. Neben den kreidebunten Straßen stehen vereinzelt Plakate ohne Impressum. „Wir stehen für Diversität“ und „Wir stehen für Gleichberechtigung“ heißt es da. Direkt daneben kleben Antifa-Parolen an den Laternenmasten. Wahlkampfalltag für AfD.
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Jüngst ein Farbanschlag
Vor der Bürgerhaushalle des Örtchens steht Robert Lambrou. Der 56jährige ist hessischer Landes- sowie Fraktionsvorsitzender der AfD und Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl, die am Sonntag stattfindet (siehe Interview Seite 3). Gerade erst hat er seine Rede beendet. „Diesmal war die Veranstaltung nur schwach besucht“, sagt er.
Die Straßenblockaden hätten sicher so manchen davon abgehalten, zu kommen. Vor einigen Tagen sei es besser gelaufen. „Da kamen über tausend Leute, die Polizei hatte die Zuwege freigehalten“, schildert er. In den vergangenen vier Wochen habe es sechs Attacken auf die AfD gegeben. Jüngst einen Farbanschlag auf das Auto eines AfD-Politikers.
Drinnen im Saal, der eigentlich eine Turnhalle ist, stehen Stühle eng aufgereiht vor der Bühne. Nur zwei Drittel davon sind besetzt. Ausschließlich AfD-Mitglieder oder Sympathisanten. Lambrou erscheint im dunkelblauen Anzug, dazu eine dunkelrote Krawatte, weißes Hemd. Unter den Arm einen blauen Ordner geklemmt, schlendert er durch die Reihen, schüttelt die Hände seiner Parteifreunde.
„In eine Ecke gedrängt, in die sie nicht gehören“
Gleich zu Beginn seiner Rede geht er auf die Blockierer ein. „Das da draußen sind Menschen, die sich nicht demokratisch verhalten“, kritisiert er. Bürger würden „in eine Ecke gedrängt, in die sie nicht gehören.“ Besonders die Asylkrise bewegt seine Zuhörer (siehe JF 41/23). „Was wir brauchen, ist ein Ende der Massenmigration“, ruft Lambrou in den Saal. Eine Aussage, für die er den stärksten Beifall erhält. Draußen vor der Halle folgt für ihn der schwierigere Part.
Das Gespräch mit den Pressevertretern. Spitzenkandidat Lambrou spricht mit ruhiger Stimme, bleibt sachlich. Kurze, prägnante Antworten. „Aber manchmal muß man auch die Kunst des sprachlichen Wegwieselns beherrschen, wenn Journalisten versuchen, einen in eine Reuse zu drängen, in die man nicht hinein möchte“, verrät der gebürtige Westfale später im Dialog mit der JUNGEN FREIHEIT.
Besuch in seinem Wiesbadener Fraktionsbüro. Ein schlicht und zweckmäßig eingerichteter Raum. Keine Bilder an den Wänden, stattdessen ein großer Terminplaner. Der Schreibtisch aufgeräumt, kein Zettelsalat. Neben Computer, Kugelschreibern, einem Taschenrechner, dem Telefon und einer Sammelmappe springt nur eine Glocke ins Auge, die nicht nach Arbeit aussieht. Ein Irrtum. „Die ist für die Eröffnung unserer Fraktionssitzungen“, klärt Lambrou, Vorsitzender der aktuell 14 AfD-Vertreter im Landesparlament, auf. Im Gegensatz zu manch anderem in der Partei gehören schrille und schräge Töne nicht zu seinem rhetorischen Repertoire.
Mit Kissen und Decken im Auto
Akribische Vorbereitung auf Presseinterviews, schnelle Erreichbarkeit für Journalisten und prägnante, pointierte Antworten scheinen sein Erfolgsrezept zu sein. „Als Landesvorsitzender ist man Führungskraft und muß sich bewähren. Wer im politischen Geschäft Fehler macht, ist zu Recht schnell weg vom Fenster.“ Die Meßlatte legt er auch für sich selbst sehr hoch. Vielleicht zu hoch?
Große Fehler sind ihm im Wahlkampf bisher erspart geblieben, wenngleich auch er „mal stärkere, mal schwächere Auftritte“ habe, wie er einräumt. Der Wahlkampf fordere einem alles ab, der Termindruck sei enorm. „Einmal konnte ich von einer Veranstaltung nicht mehr zurückfahren, ich war einfach fertig.“ Lambrou lenkte seinen Dienstwagen auf einen Parkplatz, kramte Kissen und Decke hervor und verbrachte die Nacht im Auto. Einen Chauffeur will er nicht, selbst wenn ihm als Fraktionschef eigentlich einer zusteht. „Ich will meine Bodenständigkeit nicht verlieren“, so die Begründung.
Dem 56jährigen müßten sogar politische Gegner das Image einer rechtsbürgerlichen AfD abkaufen. Sohn einer deutschen Mutter und eines eingewanderten griechischen Vaters. Eine griechische Staatsangehörigkeit, die er neben der deutschen beanspruchen könnte, lehnt er ab. In den neunziger Jahren war der Diplom-Kaufmann noch Mitglied bei den Sozialdemokraten. Niemand, der mit nationalistischen Sprüchen auf die Pauke haut. Auch der hessische Landesverband ist unter seiner Führung bisher weitgehend frei von Streit und Eskapaden geblieben.
„Gewalt gegen Sachen halte ich in diesem Fall für legitim“
Wäre die Hessen-AfD mit einem solchen Kurs am Ende sogar koalitionsfähig? Eine Frage, die an den Infoständen der Grünen für blankes Entsetzen sorgt. „Das wäre eine Katastrophe“, meint eine ältere Frau, die für die Öko-Partei Wahlzettel in der Wiesbadener Fußgängerzone verteilt. Konfrontiert mit dem jüngsten Farbanschlag auf das Auto eines AfD-Politikers meint sie: „Gewalt ist nie eine Lösung, aber gegen Nazis muß man Zivilcourage zeigen.“
Also doch ein Billigen von Gewalt? „Gewalt gegen Sachen halte ich in diesem Fall für legitim“, meint die Grüne, die sich darüber beklagt, „daß auch wir von AfD-Anhängern angepöbelt werden.“ Das politische Klima habe sich verändert, sagt sie und bedauert, daß „kaum noch einer an unseren Infostand kommt und mit uns spricht“.
Ein Umstand, der sich bei der AfD gegenwärtig ändere, meint Robert Lambrou, der mit seiner Partei gerade einmal 50 Meter von der Öko-Partei entfernt steht. Immer wieder bleiben Menschen am AfD-Pavillon stehen, führen Gespräche mit den Politikern. „Früher haben die Leute einen Bogen um uns gemacht, niemand wollte mit uns gesehen werden. Jetzt sagen immer mehr aus Trotz, es sei ihnen egal.“
Niemand beachtet die Omas
Vor dem Pavillon laufen auch die „Omas gegen Rechts“ umher, haben sich Plakate vor den Bauch und auf den Rücken gebunden. Darauf zu sehen: eine durchgestrichene AfD, versehen mit Sprüchen wie „Vielfalt statt Einfalt“, „Menschenrechte statt rechte Menschen“ oder „Klimawandel ist keine Glaubensfrage.“ Sie laufen die Fußgängerzone rauf und runter, doch kaum einer spricht sie an, kaum einer scheint sie zu beachten.
Unterdessen zeigt ein AfD-Mitglied der JF am Infostand stolz seinen kleinen Waffenschein. „Aber meine Waffe habe ich heute nicht dabei“, scherzt er. Die aber brauche er „zum Schutz“. „Mit einem Teil der AfD-Sympathisanten kann man ja durchaus diskutieren“, meint etwa eine Jungsozialistin am Stand der SPD. Andere hingegen würden „komplett in einer Blase leben, die kann man nicht mehr erreichen“, ist sie überzeugt.
Auch die Sozialdemokraten würden mit Beschimpfungen überzogen, Plakate mit unflätigen Sprüchen beschmiert. Insgeheim hoffe man auf eine Regierungsbeteiligung in einer Koalition mit der CDU. „Für das Land wäre das besser als Schwarz-Grün“, ist auch Robert Lambrou überzeugt, der sogar eine schwarz-blaue Koalition nicht für vollkommen ausgeschlossen hält.
Die Brandmauer steht in Hessen
Hört man sich an den Ständen der CDU um, so ist jedoch beides unrealistisch. „Die hessische SPD ist schwierig, bei allen ideologischen Gegensätzen bekommen wir mit den Grünen verläßlicher die Themen abgearbeitet“, meint eine junge CDU-Funktionärin am Wiesbadener Infostand der Partei. Wäre eine gemäßigte AfD trotz Brandmauer eine Option? „Ich würde das hier in Hessen nicht machen“, sagt sie.
Aber: „Im Osten könnte es nach den Wahlen mangels Optionen und anderer Mehrheiten zwangsläufig dazu kommen.“ Auch damit nicht ein anderes Bündnis wahr werden könne. „Ich bin mir sicher, daß Sahra Wagenknecht Ende des Jahres ihre neue Partei gründen wird. Dann könnte es im Osten Mehrheitsbündnisse von Links- und Rechtsradikalen geben. Das wäre für die Demokratie brandgefährlich.“