Am Anfang steht ein Antrag zur „Mecklenburgischen Kleinseenplatte Touristik GmbH“ in der Stadtvertretung der 3.500-Seelen-Gemeinde in Mirow. Am Ende steht ein kleines Politbeben innerhalb der FDP, bei dem die Basis der Partei in Mecklenburg-Vorpommern die landespolitische Karriere eines wichtigen Intimus des mächtigen Parteichefs Christian Lindner vorerst beerdigt. Aber der Reihe nach.
Im Juni beantragen AfD und FDP gemeinsam im Kommunalparlament der Kleinstadt an der Seenplatte, daß sie gerne mehr Informationen darüber hätten, ob das oben erwähnte Unternehmen aufgelöst werden soll. Ein Thema, das nur wenige Bürger interessiert und kaum für Aufsehen gesorgt hätte, wenn eben nicht AfD und FDP den Antrag gemeinsam eingebracht hätten.
FDP-Mann verlangt die kommunale Brandmauer
Und eigentlich hätte auch das kaum jemanden interessieret, gäbe es da nicht Moritz Harrer. Zu diesem Zeitpunkt war Harrer noch im Landesvorstand der FDP in Mecklenburg-Vorpommern und hatte etwas geschafft, was sich viele FDP-Nachwuchspolitiker wünschen: eine Anstellung im Bundestagsbüro von Christian Lindner. Der Bundesfinanzminister und FDP-Vorsitzende ist nebenberuflich nämlich auch noch Mitglied des Deutschen Bundestags. Für dessen Büro-Team wurde Harrer im November als „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ eingestellt. Genau genommen ist er für die „Online-Kommunikation“ des Abgeordneten Lindner zuständig. Ein Job, für den ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Chef nötig ist.
Seine Karriere war bis dahin eher unspektakulär verlaufen. Zuvor war er Fachreferent für Digitales in der Landtagsfraktion in Schwerin. Gerade einmal fünf Abgeordnete stellt die Fraktion dort und ist zusammen mit der gleichgroßen Parlamentsgruppe der Grünen die kleinste der im Landtag vertretenen Parteien.
Scharfe Kritik an der AfD
Harrer aber, so schildern es Mitglieder der Partei der JUNGEN FREIHEIT, ist ehrgeizig und will mehr. Im April dieses Jahres wird er zu einem der stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt. Daß ausgerechnet in seinem Bundesland AfD und FDP auf kommunaler Ebene zusammenarbeiten, paßt dem Jungpolitiker nicht. Hat er Angst um seine politische Karriere im fernen Berlin? Harrer jedenfalls bringt noch im Juni, kurz nachdem die örtliche Tageszeitung Nordkurier eher beiläufig und ohne Skandalisierung über den AfD-FDP-Antrag berichtet hatte, eine Beschlußempfehlung in den Landesvorstand ein. Das Papier liegt der JF vor und trägt den Titel „Eine echte Brandmauer gegen die AfD“.
Es ist auch eine Reaktion auf einen anderen Fall, auf einen anderen innerparteilichen Gegenspieler: Paul Bressel. Bressel ist im Kreisvorstand des mächtigen FDP-Kreisverbandes Schwerin. Als die Stadt einen neuen Oberbürgermeister wählt, stehen sich im Juni in der Stichwahl zwei Kandidaten gegenüber. Amtsinhahaber Rico Badenschier und der AfD-Landeschef Leif-Erik Holm. Trotz massivem Druck weigert Bressel sich, eine Wahlempfehumg für den SPD-Mann abzugeben – und trifft damit die Stimmung der lokalen Liberalen.
Um es noch einmal für die @FDP_MV in aller Deutlichkeit zu sagen: Es gibt und wird auch in Zukunft nie irgendeine Grundlage für eine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Kein Liberaler wird sich für einen Kandidaten aussprechen, dessen Partei für Rassismus und Autoritarismus steht.
— Moritz Harrer (@Moritz_Harrer) June 7, 2023
Auch deshalb brachte Harrer den Antrag auf den Weg. Konkret heiß es im „Brandmauer“-Papier: „Aus Sicht der Freien Demokraten ist jede Demokratin und jeder Demokrat dazu verpflichtet, gegen antidemokratische und antiliberale Bewegungen aktiv und klar Stellung zu beziehen.“ Die AfD sei eine solche Bewegung. „Eine Zusammenarbeit mit ihr ist daher aus Sicht der Freien Demokraten in keiner Form und auf keiner Ebene möglich.“
Konkret fordert das Papier:
- Es gibt keine Form der Kooperation zwischen Parteimitgliedern, Funktions- und Mandatsträgern.
- Es gibt keine gemeinsamen Zählgemeinschaften oder Fraktionen.
- Es gibt keine gemeinsamen parlamentarischen Initiativen.
- Es gibt keine Zustimmung zu parlamentarischen Initiativen.
- Es gibt keine Wahl von AfD-Vertretern in führende Positionen in denKommunalvertretungen oder des Landtages.
- Es gibt keine Unterstützung von AfD-Kandidaten bei öffentlichen Wahlen.
- Explizite Unterstützung des/der demokratischen Nicht-AfD-Kandidaten/in beiöffentlichen Wahlen unter Beteiligung eines AfD-Bewerbers.
- Es gibt keine Zustimmung zur Entsendung von Mitgliedern der Jugendorganisation der AfD, der Jungen Alternative, in Gremien der Kommunalvertretungen oder des Landtages.
FDP-Landesvorstand bügelt ab
Harrer selbst ist bis heute noch im Vorstand des Kreisverbandes Greifswald gelistet – also kommunalpolitisch aktiv. Und Kommunalpolitik hat ihre ganz eigenen, pragmatischen Regeln. Anders als im politischen Berlin geht es meist um die „kleinen Themen“, bei denen die Parteizugehörigkeit wenig zählt. Man kennt sich vor Ort eben.
Das Ergebnis: Der Antrag bekommt keine Mehrheit. Eine kommunalpolitische Brandmauer per Vorstandsbeschluß zur AfD ist damit vom Tisch. Eine bittere Niederlage. Insbesondere weil der Harrer-Antrag noch vor der Abstimmung seinen Weg in die Schweriner Volkszeitung gefunden hatte. „Die Brandmauer nach rechts soll jetzt auch Zähne bekommen“, zitierte ihn das Blatt. Sollte da etwa medialer Druck aufgebaut werden? Viele FDP-Mitglieder sind empört. Und zwar so nachhaltig, daß sie zum Landesparteitag der FDP Anfang November einen Abwahlantrag gegen den Lindner-Angestellten einbringen – schon das ist eine Abstrafung.
Abwahlantrag auf dem Parteitag
Der Antrag liegt der JUNGEN FREIHEIT vor. Darin heißt es: „Der FDP-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern beschließt auf Grundlage des Paragraph 14 Abs. 4 der Satzung des FDP-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern die Abwahl von Moritz Harrer als stellvertretenden Landesvorsitzenden der FDP M-V.“ Die Begründung solle mündlich erfolgen. Muß sie allerdings gar nicht.
Die Wut über Harrer ist nämlich so groß, daß eine Mehrheit sicher scheint. Christian Lindner hin, Christian Lindner her. Harrer tritt zurück, will seine drohende Demontage durch die Mitglieder offenbar nicht auch noch in der Öffentlichkeit zelebriert sehen. Bereits zuvor fällt er bei der Wahl der Delegierten für den EU-Parteitag der Liberalen deutlich durch. 33 Stimmen von 110 Stimmen. Der Wink mit dem Zaunpfahl ist deutlich. Harrers innerparteilicher Konkurrent dagegen, der Schweriner Bressel, gewinnt. Er wird zum Spitzenkandidat der Landes-FDP gewählt. Dafür mußte er nicht mal anwesend sein. Er ließ sich aus Bali zuschalten, im Hoodi. Verlierer ist der Chef der Jungen Liberalen, Niklas Wagner. Ein Vertrauter Harrers und Unterstützer des „Brandmauer“-Antrags.
Der Fall erreicht die FDP-Bundestagsfraktion
Es ist auch eine öffentliche Niederlage Lindners, der ja bereits dazu aufrief, im Notfall lieber die Linkspartei zu wählen als die AfD. Doch Harrers innerparteiliche Gegner lassen nicht locker. Eine Mail an alle Mitglieder der FDP-Bundestagsfraktion wird verfaßt. Darin wird den Abgeordneten der gesamte Fall geschildert. Auch die Behauptung, Harrer selbst habe „interne Dokumente einer Landesvorstandssitzung an die Presse durchgestochen“.
Die Mail, die der JF vorliegt, endet mit den Worten: „Man möchte meinen, daß sowohl Außenwirkung als auch Vertrauenswürdigkeit für Mitarbeiter von Abgeordneten des Hohen Hauses von besonderer Relevanz ist.“ Der Abgeordnete hier heißt Christian Lindner und ist Parteichef.
Und was ist mit der „Mecklenburgischen Kleinseenplatte Touristik GmbH“? Sie befindet sich bereits in Auflösung.