MÜNCHEN. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat für Dienstag eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses von CSU und Freien Wählern einberufen. Dabei soll sich Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger nach Willen des Christsozialen erneut umfassend zu einem als antisemitisch kritisierten Flugblatt äußern, das vor rund 35 Jahren in seiner Schultasche gefunden wurde.
„Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen. Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten“, sagte der Chef der Bayerischen Staatskanzlei, Florian Herrmann (CSU), der Nachrichtenagentur dpa. „Wir erwarten, daß dies zeitnah geschieht.
Die Vorwürfe sind zu ernst, als daß sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet läßt“, betonte Herrmann. Da es um das „Ansehen Bayerns“ gehe, müsse sich Aiwanger auch „persönlich und umfassend erklären“. Eine schriftliche Stellungnahme reiche nicht aus, unterstrich der Staatskanzlei-Chef.
Es geht um ein 35 Jahre altes Flugblatt
Hintergrund ist ein Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ), in dem mehrere Personen anonym behauptet hatten, Aiwanger habe 1988 als 17jähriger ein Schriftstück verteilt oder hergestellt, in dem unter der Frage „Wer ist der größte Vaterlandsverräter?“ zu einem angeblichen „Bundeswettbewerb“ aufgerufen wurde. Bewerber sollten sich der Schrift zufolge „im Konzentrationslager Dachau zu einem Vorstellungsgespräch“ melden.
Zu den Preisen zählten ein „Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz“, ein „kostenloser Genickschuß“ sowie „ein lebenslänglicher Aufenthalt im Massengrab“. Die anonymen Zeugen sagten der SZ, der heutige Freie Wähler-Chef sei „als Schüler für eine rechtsextreme Gesinnung bekannt“ gewesen und habe geprahlt, vor dem Spiegel Hitler-Reden einstudiert und „Mein Kampf“ gelesen zu haben.
Aiwanger wies Anschuldigungen zurück
Aiwanger hatte die Anschuldigungen zurückgewiesen und von einer „Schmutzkampagne“ gegen ihn gesprochen. Er habe „so etwas nicht produziert“. Etwas später hatte sich der Bruder Aiwangers, Helmut, zu Wort gemeldet und eingestanden, daß er für das Flugblatt verantwortlich gewesen sei. Hintergrund sei massiver Schulfrust sowie Streit mit der linken Lehrerschaft gewesen.
SPD und Grüne im Landtag hatte diese Erklärung nicht ausgereicht, sie forderten einen Rücktritt des Freie-Wähler-Chefs, der derzeit bayerischer Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident des Freistaats ist.
Söder-Lob von der SPD
Lob für die Einberufung der Krisensitzung durch Söder kam dann auch von der SPD. „Ich danke dem Ministerpräsidenten, daß er unserem Wunsch nach einer Sondersitzung folgt, auch wenn diese zunächst nur im Koalitionsausschuß stattfindet“, schrieb der SPD-Spitzenkandidat für die kommende Landtagswahl, Florian von Brunn, auf dem Kurznachrichtendienst X. „Unser Land und der Wirtschaftsstandort Bayern darf keinen Tag länger mit diesem menschenverachtenden Flugblatt in Zusammenhang gebracht werden. Bayerns Bürgerinnern und Bürger haben es verdient, daß die Politiker sich uneingeschränkt um die zentralen Herausforderungen unserer Zeit kümmern können.“
Ich danke dem Ministerpräsidenten, dass er unserem Wunsch nach einer Sondersitzung folgt, auch wenn diese zunächst nur im Koalitionsausschuss stattfindet. Unser Land und der Wirtschaftsstandort Bayern darf keinen Tag länger mit diesem menschenverachtenden Flugblatt in…
— Florian von Brunn (@FlorianvonBrunn) August 28, 2023
Die Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Schulze ergänzte: „Schon alleine der Anschein von Antisemitismus in unserer Staatsregierung schadet dem Ansehen Bayerns. Es ist jetzt die Pflicht Markus Söders, weiteren Schaden von Bayern abzuwenden.“ (ho)