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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

Gedenkveranstaltung 17. Juni 1953: „Vergessen ist Verrat“

Gedenkveranstaltung 17. Juni 1953: „Vergessen ist Verrat“

Gedenkveranstaltung 17. Juni 1953: „Vergessen ist Verrat“

Gedenken an den Volkaufstand des 17. Juni 1953 in der DDR
Gedenken an den Volkaufstand des 17. Juni 1953 in der DDR
Gedenken an den Volkaufstand des 17. Juni 1953 in der DDR in Berlin Foto: Lutz Dietrich
Gedenkveranstaltung 17. Juni 1953
 

„Vergessen ist Verrat“

Auch in diesem Jahr gedenken zahlreiche Deutsche der Toten des 17. Juni 1953 in der DDR. An diesem Tag forderten die Bürger Demokratie, Pressefreiheit und bessere Lebensbedingungen. Das sozialistische Regime reagierte mit Schüssen. Der Bundesvorsitzende der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“, Hugo Diederich, spricht von einem „Vermächtnis“, das es zu wahren gelte.
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Der Sommer ist endgültig in Berlin angekommen. Strahlender Sonnenschein, babyblauer Himmel, nicht eine Wolke in Sicht. Schöne Voraussetzungen für einen bedeutenden Anlaß: Der Volksaufstand des 17. Juni 1953 jährt sich am Freitag, und die „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“ (VOS) hat zu einer Gedenkveranstaltung geladen. Rund 50 Gäste versammeln sich am Steinplatz in Berlin vor einem mit Blumen und Kränzen geschmückten symbolischen Grabstein. „Den Opfern des Stalinismus“ steht darauf geschrieben.

Am 17. Juni 1953 waren in über 700 Regionen der „Deutschen Demokratischen Republik“ (DDR) Menschen auf die Straße gegangen, um ihren Unmut gegenüber der Regierung kundzutun. Nachdem ein Jahr zuvor, 1952, die Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) den massiven Machtausbau des Staates und weitere Enteignungen von Bauern und kleinen Handels- und Gewerbebetrieben beschlossen hatte, herrschte in Teilen der Bevölkerung Wut gegenüber den Verantwortlichen.

Die DDR reagierte mit Enteignungen auf Mißstände

Die Wirtschaftspolitik der SED hatte zur allgemeinen Verarmung beigetragen. Weil die politische Führung um jeden Preis die Schwerindustrie ausbauen wollte, mußte sie in anderen Bereichen sparen. Mittel für die Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie waren knapp, auch die Versorgung der Bevölkerung war beeinträchtigt. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde vielerorts der Strom abgeschaltet, um den Bedarf der Industrie decken zu können. Anfang der 1950er Jahre waren bereits zwei Drittel der Industrieproduktion in staatlicher Hand, jedoch konnte die schwache Wirtschaftsentwicklung der sozialistischen Diktatur die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht decken.

Auch um die Kaufkraft der Bürger stand es nicht gut. Die Regierung versuchte, diese Entwicklungen mit noch mehr Enteignungen und Steuererhöhungen zu bekämpfen. Im Frühjahr 1953 hatte sich die ökonomische Situation zu einer Ernährungskrise verschlimmert. Grundnahrungsmittel wurden noch bis 1958 mit Lebensmittelkarten rationiert, und die Preise lagen deutlich über dem Niveau der Bundesrepublik. Eine Tafel Schokolade beispielsweise kostete im Westen 50 Pfennig, im Osten acht Mark. Den DDR-Bürgern stand nur die halbe Menge an Fleisch und Fett im Vergleich zur Vorkriegszeit zur Verfügung. Selbst Gemüse und Obst waren chronisch knapp. Vor den Geschäften entstanden lange Warteschlangen. Massive Fluchtbewegungen gen Westen, im Volksmund oft spöttisch „mit den Füßen abstimmen“ genannt, staatlich verordnete Lohnkürzungen sowie die hohe Anzahl an Strafgefangenen in der DDR schürten die Wut der Demonstranten und erhöhten den Druck auf das Regime.

„Die Linken sind nicht da!“

Die Berliner Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Kirstin Bauch (Grüne), hält an diesem Tag die Eröffnungsrede. Sie spricht lobend über den Heldenmut der Mitteldeutschen, die damals an den Protesten teilnahmen und dafür viele persönliche Opfer brachten. „Viele mutige Menschen haben in freier Entscheidung zusammengefunden und solidarisch gekämpft“, sagt sie mit Blick auf die Ereignisse.  Sie begrüßt anwesende Lokalpolitiker der SPD, FDP und der CDU. „Die Linken sind nicht da“, ruft ein Zuschauer höhnisch aus der Menge.

Gedenkstein für die Toten des Volksaufstandes
Gedenkstein für die Toten des Volksaufstandes
Foto: Lutz Dietrich

Anschließend tritt die erste Bundesbeauftragte für die Opfer der SED-Diktatur, Evelyn Zupke, ans Mikrofon. Zunächst spricht sie über den Krieg in der Ukraine und über das Leid der Zivilbevölkerung. Für sie ist klar: Wer den Volksaufstand des 17. Juni gutheißt, muß den Drang nach Freiheit der Ukrainer, aber auch jenen der oppositionellen Russen unterstützen. Wer sich auf der Seite der Demokratie wähne, dürfe nicht mit Autokraten und Kriegstreibern sympathisieren. Anschließend spricht sie über die Brutalität der DDR. Die Geschichtsschreibung ist sich bezüglich der Opferzahlen des Aufstandes nicht einig, doch gilt eine Todeszahl von über 30 durch die sowjetischen Panzer und weitere 20 Hinrichtungen von Dissidenten als belegt. Über 15.000 Festnahmen und mehr als 1.500 Verurteilungen zeigen klar, was man in Ost-Berlin von politisch Andersdenkenden hielt. Einige Historiker sprechen sogar von dreistelligen Todeszahlen. „Es ist klar, hinter jeder dieser Zahlen stecken Menschen“, gibt Zupke zu bedenken.

Als nächstes spricht der Historiker Jens Schöne. Er schildert die anfängliche Hoffnung auf eine friedliche Lösung von seiten der demonstrierenden Bürger. „Sie werden es nicht wagen, auf uns zu schießen“, habe man in den ersten Stunden des Aufstandes immer wieder unter den Oppositionellen gehört. Leider sollten sie nicht recht behalten. Besonders tragisch ist die Geschichte von Werner Sendsitzky. Ein schaulustiger Westberliner Junge, der auf einem Dach gestanden und das Treiben auf den Straßen beobachtet hatte, wurde durch einen Zufallstreffer aus der Waffe eines Volkspolizisten tödlich verwundet. Der Täter konnte nie ermittelt werden. Der 17. Juni 1953 war sein 16. Geburtstag.

„Mein Mann war 11 Jahre im Knast!“

Der letzte Redner des Tages ist der Bundesvorsitzende der VOS, Hugo Diederich. Er verweist auf die immense Zahl sowjetischer Truppen auf deutschem Boden zwischen 1949 und 1989: 8,5 Millionen Soldaten bildeten den weltweiten Höchststand an ausländischen Soldaten, die über Jahrzehnte in fremden Gebieten stationiert waren. Die Demonstranten des 17. Juni seien für Güter auf die Straße gegangen, die für damalige Westdeutsche selbstverständlich gewesen seien: würdige Lebensbedingungen, Demokratie und Pressefreiheit.

Den Helden jener Tage seien wir es schuldig, die Demokratie immer und überall vor Angriffen zu verteidigen. „Wir haben ein Vermächtnis“, betont Diederich. Eine Frau im Publikum überkommt es für einen Moment, und sie ruft „Mein Mann war elf Jahre im Knast!“. Im persönlichen Gespräch mit Zeitzeugen wird das Trauma der Überlebenden auch dreißig Jahre später noch einmal spürbar. „Ich kenne niemanden, der nicht heute noch darunter leidet. Vergessen ist Verrat“, sagt André Rohloff von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus. Am Ende der Veranstaltung erfolgt ein stilles Gedenken, anschließend singen alle Anwesenden die deutsche Nationalhymne und gehen ihrer Wege.

Gedenken an den Volkaufstand des 17. Juni 1953 in der DDR in Berlin Foto: Lutz Dietrich
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