BERLIN. Nach der Ankündigung von Gazprom, deutlich weniger Gas nach Deutschland zu liefern, hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Deutschen auf schwere Zeiten eingestimmt. „Wir sind in einer ernsten Situation. Es wird auch Zeit, daß das alle verstehen“, sagte er am Montag in den ARD-„Tagesthemen“.
Es hänge nun alles davon ab, 15 bis 20 Prozent Gas zu sparen um durch den Winter zu kommen. Andernfalls sei es möglich, daß Industrie, Haushalte und geschützte Infrastruktur wie Krankenhäuser nicht mehr ausreichend mit Gas beliefert werden können. „Das gilt es, mit allen Kräften zu vermeiden“, betonte Habeck. „Putin hat das Gas, aber wir haben die Kraft.“
Vorwürfe gegen Gazprom
Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin warf er vor, ein „perfides Spiel“ zu treiben. „Es gibt keine technischen Gründe für die Lieferkürzungen. Die Turbine steht zur Auslieferung an Rußland bereit.“ Gazprom habe laut dem Grünen-Politiker nicht „den Mumm“ zu sagen: „Wir sind in einer wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung mit euch.“
Der russische Staatskonzern hatte am Montag angekündigt, die Lieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 von 40 Prozent der maximalen Auslastung auf 20 Prozent zu senken. Grund sei die Wartung einer weiteren Turbine. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) reagierte unterdessen gelassen auf den drohenden Gas-Notstand. „Wir werden ohne Putins Gas auskommen. Punkt“, schrieb die Politikerin auf Twitter.
Wir werden ohne Putins Gas auskommen. Punkt.
— Katrin Göring-Eckardt (@GoeringEckardt) July 25, 2022
Kretschmann warnt vor Spaltung der Gesellschaft
Bereits vor der Ankündigung von Gazprom hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vor einer Spaltung der Gesellschaft gewarnt, sollte es zu einer Gasmangel-Lage im Winter kommen. „Wenn wir in eine Gasnotlage reinlaufen, werden die Fliehkräfte groß sein. Größer als bei Corona, und dieses Problem haben wir ja noch zusätzlich an der Backe“, sagte der Grünen-Politiker am Montag anläßlich des „Krisengipfels Gas“ in Stuttgart.
„Die Gefahr gravierender Liefereinschränkungen oder -ausfälle infolge der erpresserischen Politik des russischen Präsidenten könnte zu einer der schwersten Wirtschaftskrisen des Landes mit erheblichen Folgen für unsere soziale Sicherheit und unseren inneren Frieden führen.“ Damit die nächsten Monate nicht zur Zerreißprobe für unsere Gesellschaft würden, müßten jetzt alle zusammenrücken und gemeinsam Verantwortung übernehmen, betonte der Ministerpräsident. Daher werde es in den nächsten Monaten vor allem darum gehen, „daß wir uns in den wesentlichen Punkten nicht auseinanderdividieren lassen“. Kretschmann mahnte: „Dabei ist auch unser Patriotismus gefragt.“
Fünf-Punkte-Plan gegen den Gasmangel vorgestellt
Die grün-schwarze Landesregierung stellte deswegen einen Fünf-Punkte-Plan vor, um Energie zu sparen. Dieser sieht unter anderem vor, „die maximale beheizte Raumtemperatur in den Büros der Landesverwaltung grundsätzlich auf das gesetzliche Minimum“ zu begrenzen. Außerdem solle Warmwasser „nur dort, wo es notwendig ist“ verwendet werden. Duschen im Dienstgebäude sollen mit wassersparenden Duschköpfen ausgestattet werden. Klimaanlagen würden „abgesehen von extremen Hitzetagen“ grundsätzlich abgeschaltet. Zudem sieht der Plan vor, Dienstreisen nach Möglichkeit mit der Bahn anzutreten und vermehrt Fahrgemeinschaften zu bilden.
Kretschmann bat den Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller (Grüne), zu erklären, nach welchen Kriterien das Gas im Fall einer Notlage verteilt werde. Vor allem die Industrie im Südwesten wolle wissen, „ob gewährleistet ist, daß der Süden dabei nicht benachteiligt wird“. Es seien hier „große Ängste“ im Spiel. Eine solche Benachteiligung müsse auf jeden Fall vermieden werden, verlangte Kretschmann. Müller war bei dem Gipfel per Video zugeschaltet.
Bundesnetzagentur prophezeit harten Winter / Unternehmen besorgt
Das von Bundeswirtschaftsminister Habeck ausgegebene Ziel eines Gasspeicher-Füllstands von 90 oder 95 Prozent zum 1. November hält Müller für unrealistisch. Bliebe es dabei, daß durch die Gaspipeline Nord Stream 1 rund 40 Prozent der Lieferkapazität fließe, seien im besten Fall 80 bis 85 Prozent zu erreichen, sagte er. Derzeit liege der Füllstand bei 66 Prozent. Er gab auch zu bedenken, daß die Füllstände in vielen Nachbarländern niedriger seien.
Der Fokus der Bundesregierung und der Netzagentur liege darauf, 20 Prozent Gas einzusparen, um sich für den Winter vorzubereiten. „Wir liegen im Moment bei etwa 14 Prozent Einsparung. Ohne zusätzliche Anstrengung kommen wir da im Winter nicht hin“, sagte Müller.
Auch viele Unternehmen bereiten die drastisch steigenden Gaspreise Kopfzerbrechen. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) fürchten 63 Prozent der Betriebe um ihre Wettbewerbsfähigkeit. 16 Prozent der Unternehmen gaben an, ihre Produktion aufgrund der hohen Energiepreise einzuschränken. „Das sind alarmierende Zahlen. Sie zeigen, wie stark dauerhaft hohe Energiepreise eine Belastung unseres Standortes sind“ sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. (ho/st)