Auf dem Nachttisch steht eine Wagenfeld-Lampe, oder ihre Nachbildung. So genau ist das im schummrigen Licht nicht zu erkennen. Ein älterer Mann, er nennt sich „Wolf“, liegt im Bett auf dem Rücken. Er ist sexuell sichtlich stimuliert. Er klimpert auf dem Handy herum. Sein jüngerer Gatte, er heißt Tadzio und trägt Netzhemd, schwarze Kniestrümpfe und ein Halsband, beugt sich über ihn.
Klappe! Neue Einstellung: Tadzio liegt auf dem Rücken, schiebt sich Crystal Meth in den Anus. Zwei Szenen aus einem Film mit dem holperigen Titel: „Chemsex – warum einige Schwule auf Drogen Sex haben“. Verantwortlich für die halbe Stunde zeichnet das „Y-Kollektiv“. Dieses wiederum gehört zum Jugendprogramm „Funk“ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF. Zielgruppe sind 14 bis 29jährige. Eine Dokumentation, die mehr als nur eine Frage aufwirft.
Polizei prüft Ermittlungen
„Reporter Nico Schmolke und Philipp Katzer waren eine Nacht lang bei einer Chemsex-Party dabei, von der wohlüberlegten Vorbereitung bis zum kompletten Kontrollverlust“, heißt es in der Filmbeschreibung auf YouTube. Und weiter im Text: „Sie begleiten Tadzio, der als einer der ersten Männer in Deutschland mit seinem Partner Wolf offen Einblick in seine Chemsex-Welt gibt.“ Die Doku ist vom Juni 2021. Also genau ein Jahr schon im Netz. Vor laufender Kamera werden die Protagonisten Koks, Christel Meth und andere harte Drogen zu sich nehmen. „Diese Drogen sind in Deutschland verboten“, heißt es aufklärerisch aus dem Off. Also alles gut? Vielleicht nicht.
Ein Jahr nach der Veröffentlichung interessiert sich nämlich die Berliner Polizei für die Drogenparty vor laufender Kamera. „Mit jetzigem Stand wird seitens der örtlich zuständigen Direktion der Polizei Berlin geprüft, ob und inwiefern den im Beitrag gezeigten Handlungen ein Straftatbestand zu Grunde liegt“, teilt die Pressestelle der Berliner Polizei auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. Verweist aber zugleich darauf, daß der reine Konsum illegaler Drogen nicht strafbar sei. Der Besitz, so steht im Betäubungsmittelgesetz, allerdings schon. Paragraph 29 sieht dafür eine „Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren“ vor, alternativ kann auch eine Geldstrafe fällig werden. Kann man überhaupt Drogen konsumieren, ohne diese zu besitzen?
Hauptakteur ist kein Unbekannter
Tadzio, der Hauptdarsteller in dem Streifen, ist ein asketisch aussehender Typ, kurze Haare, Bart und tiefe Nasolabialfalten. Er doziert von einer klimagerechteren Welt. Auf Podiumsdiskussionen trägt er Hemden mit Sprüchen wie „Homosexueller Linksextremist“. Stramm am Hals sitzt ein Lederriemen oder zur Abwechslung eine Metallkette mit Schloß auf dem „Slave“ (dt.: Sklave) eingraviert ist. Tadzio lebt in Berlin. Die TV-Reportage suggeriert, offen und tabulos über das Thema Drogen und Sex zu berichten. Doch so tabulos, wie die Sendung vorgibt zu sein, ist sie nicht. Verschwiegen wird Tadzios voller Name und was er denn so genau macht, außer „Klimaktivist“ zu sein.
Eine Eingabe bei Google bringt schnell Klarheit. Der Mann, der gerade noch über die angeblichen Vorteile vom Konsum härtester Drogen beim Sex doziert, heißt vollständig Tadzio Müller und ist 1976 in Frankfurt am Main geboren. Nach eigener Auskunft stammt er aus dem „gehobenen Bürgertum“. Sein Vater sei früher bei „Baker & McKenzie“ Partner gewesen und er sitze in einer Eigentumswohnung, die mit dessen „Blutgeld“ gekauft worden sei. Und: Der Sex-Aufklärer und selbsternannte Linksextremist war bis 2021 Referent für Klimagerechtigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Für die linke taz ist er ein „Klimaaktivist der ersten Stunde“.
Im Visier des Verfassungsschutzes
Das könnte der Verfassungsschutz ein wenig anders sehen. Denn Müller hat die Bewegung „Ende Gelände“ mit aufgebaut. Und die stuft die Sicherheitsbehörde als von Linksextremisten unterwandert ein. Mit von der Partie ist unter anderem die Interventionistische Linke. Die gesamte Berliner Ende-Gelände-Truppe, bestehend aus 30 Mann im Jahr 2018/19, wurde vom Berliner Verfassungsschutz als linksextremistisch eingeordnet.
Wollten die Öffentlich-Rechtlichen diese Informationen ihren jugendlichen Zuschauern nicht zumuten? Die Werbung für diesen Streifen klingt eben nur lüstern: „Der Film zeigt die Ekstase, genauso wie die Gefahr von Chemsex. Es ist ein Einblick in eine Szene, den es so in Deutschland noch nicht gegeben hat.“
Selbsternannte „BDSM-Hure“
Im Zuge der Reportage entsteht der Eindruck, daß es in der Redaktion kontroverse Diskussionen über Sinn und Unsinn des Zeigens dieses Beinahe-Hardcore-Pornos gegeben haben dürfte. Es scheint nachgearbeitet worden zu sein. Die „Funk“-Jungjournalisten trafen sich also Monate später wieder mit Tadzio und seinem Ehemann Wolf. Das Paar hatte sich angeblich, so sagen sie, getrennt. Keine schwülstigen Bettszenen mehr. Freie Natur, es ist trübe und windig. Und nun will man nur noch darüber aufklären, warum es wichtig ist, darüber aufzuklären. Dazu wird dann auch noch der Psychologe Urs Gamsavar von der Aids-Hilfe ins Boot geholt, der bemerkt, daß immer mehr Männer, in Sachen Chemsex Beratung wünschen.
Nun, Tadzio plante, das berichtete die taz im Dezember 2020, ab März 2021, also mit Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, als „BDSM-Hure“ seine Brötchen verdienen. BDSM steht für Bondage/Sado-Maso. In einem Interview sagte er, daß die Arbeit als „Sexworker“ für ihn auch „wirklich politisch relevant“ sei und ein Bruch mit der Normalität, die die Welt zerstöre. Nun wolle er mithelfen, die Hurenbewegung zu organisieren. Unter dem Text sind die Kommentare bisher noch lesbar. Dort schreibt ein Leser: „Tadzio Müller ist kein Sexworker.“ Ein anderer behauptet aus einem Tweet von Müller zu zitieren: „Manchmal haben mein Mann und ich Bock, von jemanden durchgeknallt zu werden… Dann buchen wir einen Escort.“
Mutiges #Comingout!
Manchmal haben mein Mann @canislupusb & ich Bock, von jemandem Durchgeknallt zu werden, dem wir ansagen können, wie das zu Laufen hat, ohne, dass wir uns dafür wie Egoisten fühlen müssen. Dann buchen wir einen #Escort.#IvePaidForSex #IchZahlFür6 https://t.co/6VfVGsOCrD
— Tadzio Mueller (@MuellerTadzio) August 12, 2020
Merkwürdige YouTube-Auftritte
Eine Prostituierte schreibt, sie fände hyperpriviligierte Leute wie Müller unglaublich peinlich. Und ein Leser bemerkt, daß Tadzio Müller in erster Linie wohl ein Problem mit seinem Vater habe und seine weiteren Aktivitäten daraus folgern. Für einiges Aufsehen sorgte Müllers Auftritt im März bei einem Klimastammtisch radikaler Linksextremisten in Frankfurt. Zwei Stunden lang referiert er dort über seine radikalen Thesen.
Auffällig: Die Körperhaltung. Kaum ein Moment vergeht, ohne, daß er nicht hektisch gestikuliert, sich in die Haare faßt, von einem Thema zum nächsten springt. „Herausfordernd“ nennt eine der Moderatoren das auffällige Verhalten. In den Kommentaren unter dem YouTube-Beitrag heißt es unter anderem: „Der Typ ist so auf Crystal Meth. Jeder der Methheads kennt, merkt das sofort“, „Das Meth kickt gut“ oder „Oida is der druff, wie kann man nur so viel scheiße labern“.
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Drohung mit „Grüner RAF“
Müller ist seit Jahren eine treibende Kraft radikaler Linksextremisten und macht aus seiner Gewaltaffinität kein Geheimnis. Im Spiegel drohte er Ende 2021 unverhohlen mit einer „grünen RAF“, sollte die Bundesregierung beim Thema Klimaschutz nicht spuren. Voll des Lobes ist er natürlich auch für die radikalen Klimaschützer von der „Letzten Generation“, die seit Wochen den Verkehr in deutschen Städten mit Blockaden lahmlegen, Farbanschläge verüben oder kritische Infrastruktur, wie etwa Pipelines, sabotieren wollen. All das erfahren die jugendlichen Zuschauer bei „Funk“ nicht.
Überhaupt nimmt man Kritik an der Tatsache, daß die Zielgruppe der ab 14jährigen ganz offen mit harten Sexpraktiken und dem analen Einführen von Crystal Meth konfrontiert wird, überaus gelassen. „Der Drogenmißbrauch der Protagonisten und die daraus resultierenden Gefahren werden thematisiert und stets auch als solche benannt“, teilt eine Sprecherin von „Radio Bremen“ auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit. Der norddeutsche Sender ist innerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender für die „Funk“-Formate zuständig.
Öffentlich-Rechtliche sehen keine Probleme
Die Sprecherin verweist auf Passagen, in denen auf die Gefahr solcher Drogen aufmerksam gemacht werde: „Durch die beschriebene Auseinandersetzung mit dem Drogenkonsum und deren Einordnung ist der Beitrag nicht jugendgefährdend. Ansonsten wäre er auch nicht von der Jugendschutzbeauftragten von Radio Bremen freigegeben worden.“ Ob 14jährige nun eher auf einen Berater der Aids-Hilfe hören oder dem gleichwertig zu Wort kommenden Tadzio Müller, der von der „Ekstase“ schwärmt, dürfte so manches Elternteil interessieren.
„Die Reportage bietet einen authentischen und glaubwürdigen Blick in einen gesellschaftlich relevanten Mikrokosmos, wir hören den Protagonisten zu, lassen sie zu Wort kommen, aber lassen die Aussagen nicht ohne Kontext und Einordnung stehen“, lobt Radio Bremen den Beitrag. „Im besten Fall stärkt dies das Problembewußtsein bei den Zuschauern.“ Und im Schlimmsten?