Was für ein Paukenschlag: Die Bild-Zeitung hat eine ihrer kritischsten Journalistinnen verloren. Weil „Axel Springer“-Chef Mathias Döpfner vor der „unterträglichen Tyrannei“ (und) „radikalen Ideologie … der woken Bewegung“ eingeknickt sei, hat Politikredakteurin und Bestellerautorin Judith Sevinç Basad „schockiert“ ihre Trennung von Bild bekanntgegeben.
Damit zählt ausgerechnet das „Aushängeschild“ des Blattes gegen die „Wokeness“ – wie man Basad wohl bezeichnen kann – den Springer Verlag genau deswegen an. In einem offenen Brief an den Vorstandsvorsitzenden gibt sie ihre Beweggründe bekannt. Demnach leugne Mathias Döpfner die Existenz zweier biologischer Geschlechter und mache kritische Stimmen „in bester Manier der Cancel Culture“ mundtot. Der Verlag, der sonst gegen „die übelsten Diktatoren der Welt“ schieße, lasse sich plötzlich „von der inhaltslosen Propaganda einer woken Minderheit in die Knie zwingen“. Selbst dessen eigenen Journalisten, die sich gegen das „bizarre Schauspiel“ wehrten, würden als „Menschenfeinde“ verhöhnt.
Bild-Chefredakteur Boie verhöhnt Basad auf Twitter
Basads Schilderungen zufolge ging der Verlag gar so weit, einen ihrer Artikel zu verhindern, der von dem Appell mehrerer Wissenschaftler handelte, die Risiken einer medikamentösen Behandlung von Transsexuellen zu bedenken. Kurz zuvor war ein Text zu dem Thema bereits in der Welt erschienen und hatte einen „Shitstorm“ ausgelöst. „Mir wurde gesagt, daß ich den Wissenschaftler-Aufruf kritisieren sollte, ansonsten würde der Artikel nicht erscheinen“, so Basad. „De facto wurde also von mir verlangt, daß ich genau das negativ darstelle, für was ich seit Jahren mit vollem Idealismus kämpfe: vor den Gefahren des woken Aktivismus zu warnen.“
Bild-Chefredakteur Johannes Boie verhöhnte sie daraufhin auf Twitter: „Stimmt, Judith, wir sind jetzt links! Döpfner rief eben nochmal an und hat mir das befohlen“. Außerdem wies die Vorwürfe zurück: „Auf Deinen Artikelvorschlag hatte ich ja ‘Do it!’ geantwortet – schade, daß der Text nicht hielt, was Dein Vorschlag versprochen hatte.“ Woraufhin Basad antwortete: „Lieber Johannes, ich verstehe den ironisch-arroganten und herablassenden Ton nicht. Es geht um ein ernstes Anliegen. Was ich öffentlich geschrieben habe, kann ich belegen. Ich hätte mir bei meiner aufrichtig gemeinten Kritik einen respektvolleren Umgang erhofft.“
2021 stürmte Basad die Spiegel-Bestsellerliste
Fast scheint das Ganze für die Mittdreißigerin eine traumatische Erfahrung zu sein – glaubte sie bislang doch voller „Stolz … Teil einer Redaktion zu sein, die mit großer Entschlossenheit freiheitsfeindliche Ideologen furchtlos benennt, beschreibt und analysiert“. Geht es dabei um Wokeness, weiß Basad wovon sie spricht: Denn im vergangenen Jahr stürmte sie mit ihrem Buch „Schäm dich! Wie Ideologinnen und Ideologen bestimmen, was gut und böse ist“ die Spiegel-Bestsellerliste.
Ende der achtziger Jahre in Oberfranken geboren, wuchs die Tochter einer Deutschen und eines Türken, die einen Blumenladen betrieben, nahe Bayreuth auf. In Frankreich machte sie Abitur, studierte Germanistik, Philosophie, Deutsche Literatur und Politologie erst in Stuttgart, dann in Berlin. Dort beschäftigte sie sich mit Geschlechterfragen und griff 2017 in einem Beitrag für den Berliner Tagesspiegel Wolfgang Kubicki als „FDP-Chefchauvinist“ an. Doch Basad vertiefte sich auch in die häßlichen Wurzeln der Linksidentitären, schrieb ihre Masterarbeit zu totalitären Tendenzen in der queerfeministischen Bewegung. Zweitgutachter war Jörg Baberowski, der seit Jahren im Visier linksradikaler Studenten ist, die versuchen, ihn zum Schweigen zu bringen. Basad rief die Aktion „Studenten für Demokratie und Meinungsfreiheit“ ins Leben und verteidigte den Historiker. Außerdem arbeitete sie für die von der Frauenrechtlerin Seyran Ateş in Berlin gegründete Ibn Rushd-Goethe Moschee, die einen „progressiven und inklusiven Islam“ vertritt.
Sehnsucht nach Unterwerfung und Buße
Danach volontierte Basad bei der Neuen Zürcher Zeitung, schrieb für die FAZ, die Welt, hatte eine Kolumne im Cicero und kam 2021 zur Bild-Zeitung. Sie schreibt aus dem Blickwinkel eines, wie sie es nennt, „liberalen Feminismus“. So beruft sich Basad auf Simone de Beauvoir und fordert die Streichung des Paragraphen 218, lehnt andererseits aber die #MeToo-Kampagne ab und wehrt sich dagegen, daß Frauen pauschal zu Opfern einer strukturell frauenfeindlichen Gesellschaft erklärt und damit entmündigt würden, wie es der neue woke Feminismus propagiert. Auch die „Elitendiskussion“ ums Gendern, hinter der Basad eine „obsessive Feindschaft gegenüber Männlichkeit“ ausmacht, lehnt sie ab. Und bei der „antirassistischen“ Bewegung sieht sie – deren Familie selbst „Rassismus“ erlebt habe – ihrerseits rassistische Argumentationen, spricht gar von „institutionalisiertem Rassismus gegen Weiße“.
Eine „wirklich gefährliche, ausgeklügelte totalitäre Ideologie, die Menschen in Kollektive, Stereotype und Gruppen zu pressen versucht“, nennt sie die Wokeness und macht als Triebkräfte dahinter „Wohlstandsverwahrlosung“ und die „Sehnsucht nach Unterwerfung, Buße und Läuterung“ aus. Die Frage ist, wo sich Judith Sevinç Basad künftig Gehör verschaffen wird, nun da all dies offenbar auch beim Springer-Verlag um sich greift. Für dessen Zukunft zieht sie eine düstere Bilanz: „Ich weiß wirklich nicht genau, in welche Richtung Springer gerade steuert, welche neuen Ideale von ‘Vielfalt und Freiheit’ in der Unternehmenskultur zukünftig etabliert werden sollen.“
Jf 26/22