BERLIN. Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat davor gewarnt, die Auswirkungen der Corona-Krise werfe die Emanzipation der Frauen um Jahrzehnte zurück. „Die unausgesprochene Erwartung beim Schließen von Schulen und Kitas war offenbar: Die Mütter bleiben zu Hause, kümmern sich um die Kinder und kochen noch schön, hat doch früher auch so funktioniert. Es ist echt ein dramatischer Rückfall in die Rollenmuster der fünfziger, sechziger Jahre“, beklagte Baerbock im Interview mit dem Berufsnetzwerk LinkedIn.
Es müsse deshalb sichergestellt werden, daß Frauen wieder arbeiten könnten wie vor der Corona-Krise. Kinderbetreuung sei keine Privatsache. Sie habe zu Beginn des Shutdowns darauf gepocht, daß vorrangig die Voraussetzungen für die Wiedereröffnung von Kindergärten und Schulen geschaffen würden, betonte die Grünen-Chefin.
„Konkret geht es um Testkapazitäten und Schutzmaterial an Kitas und Grundschulen. Und bitte mit so viel Vehemenz, mit der auch über die Öffnung der Bundesliga gesprochen wurde. Ziel muß sein, daß jedes Kind in Deutschland in den nächsten Wochen zumindest stundenweise oder tageweise noch in Kleingruppen in seine Kita oder Schule zurückkehren kann.“
Forderung nach Frauenquote
Eine Rückkehr zu den Verhältnissen von vor der Krise reiche nach Ansicht Baerbocks jedoch nicht aus. Nötig sei auch die Einführung strikter Frauenquoten in Führungspositionen. „Im Bundestag sind etwa ein Drittel Frauen. Was aber vor allem daran liegt, daß manche Fraktionen wie meine oder auch die Linke eine harte Quotenregelung haben. Sonst sähe es auch im Bundestag übel aus. Ohne vernünftige Frauenquoten für Führungspositionen wird es auch in der Wirtschaft nicht gehen. Freiwillige Selbstverpflichtungen reichen nicht.“
Nach wie vor gebe es eine „strukturelle Diskriminierung“ von Frauen in der Gesellschaft, kritisierte die Grünen-Politikerin. „Man sieht es genau in dieser Krisenzeit: Im Zweifel wird die Kinderbetreuung bei den Frauen abgeladen. Wir sehen das auch in Ländern, die Quoten haben oder bei der Gleichstellung weiter sind, daß die in dieser Krisensituation die Familien- und Bildungspolitik stärker auf dem Schirm haben als die Bundesregierung.“
Baerbock warnte zudem, wegen der Corona-Krise den Klimawandel außer acht zu lassen. Die Klimakrise habe sich schließlich dadurch noch nicht erledigt. „Wir müssen die Klimakrise mit der gleichen Entschlossenheit bekämpfen wie die Corona-Krise, aber natürlich mit anderen Mitteln, zu allererst mit einem klimaneutralen Wiederaufbau der Wirtschaft.“
Einhaltung der Klimaziele als Bedingung für Staatshilfen
Dies bedeute, wenn der Staat großen Unternehmen Milliardenhilfen gebe, müßten sich diese auch zur Einhaltung der Klimaziele verpflichten. Als Beispiel nannte sie die Stahlbranche. „Wenn man sie fördert, dann so, daß die Stahlproduktion klimaneutral wird. Das gleiche muß auch für die Automobilindustrie gelten.“
Zugleich müsse klar sein, daß die Unternehmen, die Milliardenhilfen erhielten, keine Dividenden oder Boni auszahlen dürften. Dies gelte insbesondere für die Automobilbranche. „Und eine Abwrackprämie für Benziner oder Diesel halte ich für falsch. Sie verschärft nur die Strukturkrise“, ergänzte Baerbock. Die frühere Abwrackprämie habe gezeigt, daß sie nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch nicht nachhaltig wirke. „Daher würde ich den Fokus insgesamt anders setzen: Die staatliche Unterstützung müßte darauf gelenkt werden, die Produktionsstätten umzubauen, damit dort saubere Autos vom Band rollen.“ (krk)