Von der Heerstraße über die Siegessäule bis zum Brandenburger Tor erstreckt sich an diesem Dienstag eine lange Kolonne von Traktoren. Wieder einmal sind Teile des Berliner Verkehrs lahmgelegt. Schon wieder Freitag? Nein, diesmal sind es keine Klimaaktivisten, die um ihre Zukunft bangen. Aus allen Ecken Deutschlands sind Bauern angereist, die ihren Unmut über die Umwelt- und Agrarpolitik der Bundesregierung demonstrieren wollen.
Am Platz des 18. März herrscht reger Betrieb. Der Geruch von gebratenen Würstchen und Eiern steigt in die Nase. Ein Ehepaar verteilt frische Äpfel. Auf und neben den Traktoren sitzen, stehen und rauchen die wütenden Landwirte. Wir sind nicht die Buhmänner der Nation, so mögen viele der Demonstranten denken. Vom Traktordach aus ist der Platz gut überschaubar. Unten herrscht dichtes Gedränge. Die Polizei wird später 8.600 Traktoren zählen, die Veranstalter von bis zu 40.000 Teilnehmern sprechen.
Eine Touristin fragt im Vorbeigehen, was der Menschenauflauf bedeutet. „The german Landwirte go on the Barrikaden“, antwortet ein rotbackiger Mann lachend. Hinter dem Brandenburger Tor ist eine Bühne aufgebaut. Hier werden Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) später dem Aufruf „Landwirte laden zu Tisch“ folgen und versuchen, ihre politischen Konzepte anzupreisen.
Die Hauptstadt ist nicht zufällig als Protestort gewählt. „Wenn Bauern nach Berlin fahren, läuft etwas falsch“, sagt einer der Redner. Normalerweise komme man hier nur hin, um sich kulturell zu vergnügen oder sich über Union zu freuen und Hertha aufzuregen. Aber der derzeitige politische „Irrsinn“ sei Grund genug für einen weiteren Besuch dieser Art, scheint sich der Mann sicher zu sein. „Wir sehen uns wieder.“
Ein Lichtermeer schwappt auf #Berlin zu. Unter jedem Licht ist ein #Traktor Hunderte #Bauern allein aus #MV fahren zu den Protesten in die Hauptstadt. #Traktorensternfahrt #Bauernproteste #B96 pic.twitter.com/PArltm8NAY
— Nordkurier (@Nordkurier) November 26, 2019
Hauptaggressor ist Agrarpaket der Regierung
Hauptaggressor ist das im September beschlossene Agrarpaket. Deutsche Bauern müßten unter immer strengeren Auflagen entsprechend teurer produzieren, während importierte Ware zu Spottpreisen gekauft werden könne, werfen die Landwirte der Politik vor. Das raube den Landwirten die Lebensgrundlage.
„Ist der Landwirt ruiniert, wird dein Essen importiert“, steht passend dazu auf einem Plakat. Ihre Arbeit werde von Politik und Gesellschaft nicht wertgeschätzt und Entscheidungen würden über ihre Köpfe hinweg getroffen. Unter dem Motto „Land schafft Verbindung“ sollen Politiker und Großstädter auf die Anliegen der Landwirte aufmerksam gemacht werden.
Gelbe Westen und grüne Westen, Flaggen aus Thüringen, Hessen, Niedersachsen und Brandenburg schwingen unterm Berliner Triumphtor. „Die Politiker haben einen Eid geschworen, dem deutschen Volk zu dienen. Gehören wir denn nicht zum deutschen Volk?“, ruft ein Vater von vier Kindern aus Oldenburg ins Mikrophon. Das Mißtrauen gegenüber der Politik ist förmlich spürbar.
„Sie säen nicht, sie pflegen nicht, sie düngen nicht und sie ernten nicht. Aber wissen alles besser“, witzelt ein Plakat über Svenja Schulze und Anton Hofreiter (Grüne). „Acht Traktoren blockieren die Einfahrt zum Präsidialamt. Die Verantwortlichen sollen sie wegfahren“, bittet ein Sprecher der Kundgebung, begleitet von leisem Gelächter, durch den Lautsprecher. Als dann Schulze die Bühne betritt, herrscht Stille. Weniger aus Ehrfurcht, mehr aus Provokation.
Schweigen für Schulze, Applaus für Lindner
„Wir wissen, wie wichtig ihr seid“, sagt die Umweltministerin. Es gelte, zusammen mit den Landwirten gute Lösungen zu finden. Ohne Vorschriften gehe aber auch nichts voran, mahnt Schulze. Die Bemühungen der Ministerin werden mit Schweigen quittiert. Hier beißt sie wohl auf Granit. Auch ihr Nachredner Friedrich Ostendorff (Grüne) vermag mit seinem Appell, „widerstehen Sie dem Populismus“, keine wohlwollende Stimmung beim Publikum zu erzeugen.
Auch am Hohenzollerndamm: Rückfahrt von Teilnehmern der großen #Bauerndemo in Berlin #Bauernproteste #Bauern pic.twitter.com/Ujllm1vySF
— Dieter Stein (@Dieter_Stein) November 26, 2019
„Frau Schulze, Sie ducken sich weg. Ihr Auftritt hatte nichts mit Respekt zu tun“, ruft eine Milchbäuerin aus Nordrhein-Westfalen ins Mikrophon. Sie fühlt sich mißverstanden. „Wir wollen Wertschätzung und Lösungen, die unsere Tradition über die Generationen sichern können.“ Ein anderer pflichtet ihr unter großem Applaus bei: „Wir wollen nicht mehr Geld, wir wollen von unserer Arbeit leben können.“
FDP-Chef Christian Lindner hingegen kann punkten. „Mir kommt es vor, als würden Politiker den Ernst der Lage nicht verstehen, in dem sich die Landwirte befinden.“ Es brauche wieder mehr Rationalität, Vernunft und Wissenschaft. Er bleibt der einzige Politiker des Tages, der Applaus bekommt. Klöckner betritt die Bühne. Abermals schweigen. Wohl etwas neidisch auf ihren FDP-Kollegen sagt sie: „Ich weiß, die FDP kann abräumen, wenn sie was verspricht, was gegen EU-Recht verstößt.“
Sie fordert einen landesweiten Dialog zwischen Landwirten und Politikern. Im Zweifel sei ihr auch der Naturschutz wichtiger als der Emissionsschutz. Sie sei selber auf dem Land groß geworden und kenne die Arbeit eines Landwirts. Auch eine Mistgabel hatte sie schon einmal in der Hand, antwortet sie einem Zwischenrufer. Ab und zu klatschen auch bei ihr ein paar wenige. Hauptsächlich jedoch bleibt die Menge demonstrativ ruhig und pfeift nur unliebsame Aussagen aus. Trotz dem Ernst des Anlasses erscheinen die Traktorfahrer nicht verbittert. „Sie will uns mit unseren eigenen Mitteln schlagen“, meint ein Thüringer zu seinem Nachbarn.
Die von „Fridays for Future“ bekannten drei „F“ sind auch hier zu finden, wenn auch in abgeänderter Form. „No Farmers, no Food, no Future“, heißt die auf Schildern geschriebene Botschaft. Ein Mann trägt auf seinem Rücken den Schriftzug „Farming for Future. Not only on Fridays“.
Am Abend verlassen zahlreiche Traktorfahrer die Stadt wie sie am morgen gekommen sind: hupend und im Konvoi. Nicht unwahrscheinlich, daß die hupenden Kolonnen bald schon wieder aus allen Ecken Deutschlands in Richtung Hauptstadt anrollen.