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Bundestag muß schrumpfen: Geht’s nicht ein bißchen kleiner?

Bundestag muß schrumpfen: Geht’s nicht ein bißchen kleiner?

Bundestag muß schrumpfen: Geht’s nicht ein bißchen kleiner?

Plenarsaal im Bundestag
Plenarsaal im Bundestag
Plenarsaal im Bundestag: Foto: picture alliance/Kay Nietfeld/dpa
Bundestag muß schrumpfen
 

Geht’s nicht ein bißchen kleiner?

Eigentlich sind für den Bundestag weniger als 600 Abgeordnete vorgesehen. Doch in der aktuellen Legislaturperiode sind es mehr als 700 und die Sorge ist groß, daß es nächstes Mal über 800 sein könnten. Das Parlament muß also kleiner werden, darüber sind sich viele einig. Strittig ist aber, wie.
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Ein Gespenst geht um im Berliner Regierungsviertel. Es ist die Horrorvorstellung, dem nächsten Bundestag könnten über 800 Abgeordnete angehören. Derzeit sind es bereits 709 Mitglieder, 111 mehr als das Bundeswahlgesetz vorsieht. Neben der von allen Fraktionen befürworteten Verkleinerung des Parlaments will die AfD zusätzlich die Mitbestimmungsrechte der Wähler stärken. Die Zeit drängt, denn Wahlfragen sind Machtfragen.

Rückblick. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte bis 2017 vergebens mit den seinerzeit vier Fraktionen über eine Schrumpfkur des Bundestags verhandelt. Im vergangenen April mußte Nachfolger Wolfgang Schäuble (CDU) einräumen, daß die Gespräche der nun sechs Fraktionen über eine Reform des Wahlrechts festgefahren sind. Die von ihm geleitete Arbeitsgruppe ging ohne Kompromiß auseinander. Jetzt soll ein neuer, wohl letzter Anlauf genommen werden, um einen „Bläh-Bundestag“ zu verhindern. Kürzlich haben rund hundert Staatsrechtslehrer an das Parlament appelliert, rasch zu reformieren.

Vom jahrzehntelang geltenden Grundsatz, Fragen des Wahlrechts, das „Herz der Demokratie“, im Konsens zu lösen, ist man jetzt demonstrativ abgewichen. Die FDP hat erneut bestes Einvernehmen mit der Linken sowie den Grünen hergestellt und einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorgelegt – ohne Beteiligung der AfD. Für die größte Oppositionsfraktion hat deren Abgeordneter Albrecht Glaser einen Antrag in den Bundestag eingebracht.  

Angst vor größerer Distanz zwischen Bürger und Politik

Zuvor waren Schäubles Vorschläge von seiner eigenen Fraktion schroff zurückgewiesen worden. Er wollte die Wahlkreise von 299 auf 270 verringern und damit vergrößern, um die Zahl der Überhangmandate zu begrenzen. Diese entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt, als ihr dort Sitze nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Diese Überhangmandate machen einen Ausgleich erforderlich, um den Zweitstimmenproporz herzustellen, so daß sie Ausgleichsmandate nach sich ziehen. Mittlerweile ist die Zahl der Abgeordneten von den vorgesehenen 598 auf über 700 gestiegen.

Die Distanz der Bürger zur Politik würde bei einer Vergrößerung der Wahlkreise wachsen, hielt CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus dagegen. Der Wahlkreis sei die „Brücke des Gewählten zur Wahlbevölkerung“. Besser sei es, die Größe des Bundestags bei etwa 630 Mandaten zu deckeln. Ein durchsichtiges Manöver, kritisierten die anderen Fraktionen, profitieren doch die Unionsparteien mit derzeit mehr als 90 Prozent direkt gewählter Abgeordneter am meisten von einer hohen Wahlkreisanzahl.

Und so platzte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann während der parlamentarischen Sommerpause der Kragen. Der SPD-Politiker drohte dem Koalitionspartner Verhandlungen mit FDP, Linken und Grünen an, wenn sich die Union weiter querstelle. Eine „Provokation“, hieß es bei CDU und CSU. Doch derzeit verhält sich die SPD-Fraktion koalitionstreu, ist Oppermanns Alleingang bislang nicht gefolgt.

FDP, Linke und Grüne machen Druck

Jetzt machen FDP, Linke und Grüne mit ihrem Gesetzentwurf Druck. Danach soll die Zahl der Wahlkreise von 299 auf nur noch 250 verringert und die Sitzzahl auf 630 erhöht werden. Diese Kombination werde Überhangmandate weitgehend verhindern, glaubt man in der Dreier-Allianz. Allerdings hatte die Union als die mit Abstand stärkste Fraktion diesen Vorschlag in der Schäuble-Arbeitsgruppe bereits abgelehnt.

Wer nun angesichts des jahrelang beklagten Mißstands und der unübersichtlichen Gemengelage geglaubt hätte, alle Reformvorschläge würden vorurteilsfrei geprüft, verkennt die weniger an Sachlichkeit als an Ausgrenzungsmanövern interessierte Mehrheit im Bundestag. Dabei erweitere der AfD-Antrag den Anspruch des Wählers auf mehr demokratische Teilhabe, hebt Fraktions-Wahlexperte Glaser im Gespräch mit der jungen freiheit hervor. Das personale Element der Verhältniswahl solle gestärkt werden, „indem dem Wähler mehrere Zweitstimmen gegeben werden und damit die Möglichkeit, einzelne Bewerber zu kennzeichnen, mit der Folge, daß die Reihenfolge der Bewerber auf der Landesliste verändert wird“. 

Nach dem AfD-Modell könnte  also ein Wähler den Kandidaten-Vorschlag auf Platz 8 der Landesliste zum Beispiel auf Platz 3 hochstufen, wenn er diesen Bewerber für besonders qualifiziert hält. Der bisherige Listenplatz 3 würde dann heruntergestuft. „Diese freie Listenwahl ist unser demokratietheoretisches Pfund“, ist sich Glaser sicher und verweist auf ähnliche Regelungen im süddeutschen Landtagswahlrecht. Mehr Mitbestimmung der Wähler stärke zudem die Unabhängigkeit des Abgeordneten gegenüber der Parteihierarchie.

AfD plädiert für „freie Listenwahl“

Diese Reihung der Wähler sei „nicht grundsätzlich falsch“, räumte in der auf Antrag der AfD anberaumten Debatte des Bundestags der Abgeordnete Friedrich Straetmanns von der Linken ein. Redner der übrigen Fraktionen vermieden eine Stellungnahme, konzentrierten sich vielmehr auf die Position der AfD zu den Direktmandaten. Glaser denkt an eine Größe von 450 bis zur Regelgröße von maximal 598 Abgeordneten, die Wahlkreise sollen nicht verändert werden. Überhang- und Ausgleichsmandate, der Ausgangspunkt des Problems, würden nicht mehr entstehen, da nur so viele Direktkandidaten zum Zuge kämen wie der Partei nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. 

Daß damit einige Wahlkreise ohne Direktkandidaten auskommen müßten, sei hinzunehmen, denn das Defizit an direkter Demokratie werde ausgeglichen durch die freie Listenwahl. „Irgendwo muß das Wunder geleistet werden“, begründete er seinen Vorschlag.

JF 44/19

Plenarsaal im Bundestag: Foto: picture alliance/Kay Nietfeld/dpa
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