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Organklage der AfD beim Bundesverfassungsgericht: Sein oder Nichtsein im Zuwanderungsrecht

Organklage der AfD beim Bundesverfassungsgericht: Sein oder Nichtsein im Zuwanderungsrecht

Organklage der AfD beim Bundesverfassungsgericht: Sein oder Nichtsein im Zuwanderungsrecht

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Bundesverfassungsgericht: Soll nach Willen der AfD über Grenzöffnung entscheiden Foto: picture alliance/NurPhoto / dpa /JF-Montage
Organklage der AfD beim Bundesverfassungsgericht
 

Sein oder Nichtsein im Zuwanderungsrecht

Die AfD will mit ihrer Organklage das Bundesverfassungsgericht dazu zwingen, sich endlich mit dem Thema „Grenzöffnung“ zu befassen. War die Bundesregierung 2015 berechtigt, im Alleingang über die ungehinderte Einreise Hunderttausender Flüchtlinge zu entscheiden? Eine Analyse von Alexander Heumann.
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Die AfD-Bundestagsfraktion hat am 14. April 2018 – stellvertretend für den Bundestag – beim Karlsruher Verfassungsgericht eine Organklage gegen die Bundesregierung eingereicht (Az. 2 BvE 1/18). Sie richtet sich gegen die seit Herbst 2015 gültige Anordnung, Asylbewerbern, die über sichere Drittstaaten wie etwa Österreich kommen, die Einreise nach Deutschland zu gestatten.

Das Gericht soll gezwungen werden, sich endlich mit dem Thema „Grenzöffnung“ zu befassen. Denn eine Verweigerung der „Annahme“ der Klage zur Entscheidung – Schicksal diverser Verfassungsbeschwerden von Bürgern – ist beim Organstreit nicht möglich.

Allerdings ist die zu beurteilende Frage hier enger: Es geht „nur“ um Mitwirkungsrechte des Bundestages, also um Gewaltenteilung im Rechtsstaat. Durften beziehungsweise dürfen die Kanzlerin und die Bundesregierung im Alleingang über die Grenzöffnung entscheiden? Die Richtlinienkompetenz des Kanzlers besteht nur im Rahmen von „Gesetz und Recht“ (Artikel 65, 20 III GG), schließlich ist Deutschland kein Führerstaat mehr. „Wesentliche“ Entscheidungen, die weitreichende Auswirkungen auf die allgemeinen Lebensverhältnisse haben, müssen nach ständiger Karlsruher Rechtsprechung vom Parlament getroffen werden.

Fragliche Erfolgsaussichten

An der Wesentlichkeit kann kein Zweifel bestehen. Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, stellte klar: „Kann schon die Entsendung einiger hundert Soldaten nach Mali nur mit Zustimmung des Bundestags erfolgen, dann ist diese erst recht erforderlich, wenn es um die Aufnahme Hunderttausender Flüchtlinge geht.“

Der Staatsrechtler Dietrich Murswiek befand: „Keine Entscheidung seit der Wiedervereinigung wird Deutschland so sehr verändern, wie die Öffnung der Schleusen für über eine Million Flüchtlinge allein im Jahr 2015.“ Ebenso sein Kollege Ulrich Battis: „Die Entscheidung, ob in großem Stil Einwanderung nach Deutschland stattfinden soll, muß der Bundestag treffen.“

Dennoch sind die Erfolgsaussichten der Klage fraglich. Die Zulässigkeit könnte schon daran scheitern, daß die AfD zum Zeitpunkt der Grenzöffnung im Spätsommer 2015 noch nicht als Fraktion im Bundestag vertreten war. Zudem könnte die nur sechsmonatige Klagefrist verstrichen sein. Schon am 18. Januar 2016 antwortete die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage: „Maßnahmen der Zurückweisung an der Grenze um Schutz nachsuchender Drittstaatsangehörige kommen derzeit nicht zur Anwendung.“ Hier wurde der Beschluß offenbart, „Drittstaatangehörigen bei Vorbringen eines Asylbegehrens die Einreise zu gestatten.“

Nicht das Grundgesetz regelt die Grenzöffnung

Aber begann dadurch die Klagefrist zu laufen? Voraussetzung wäre nach dem Bundesverfassungsgerichts-Gesetz, daß die Maßnahme „bekannt geworden“ ist. Auf der Pressekonferenz zur Flüchtlingskrise im September 2015 verkündete der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) lediglich, daß man nun wieder Grenzkontrollen einführe, um den „Kontrollverlust“ zu beenden.

Seine Anordnung, jedem, der das Zauberwort „Asyl“ ausspricht, den Grenzübertritt zu gestatten, verschwieg er aber. Diese Maßnahme wird – sieht man von der schriftlichen Beantwortung der parlamentarischen Anfrage ab – bis heute nur mündlich hinter den Kulissen kommuniziert. „Bekannt werden“ bedeutet etwas anderes.

Eine weitere Hürde: Die ‘Grenzöffnung’ müßte nicht gegen irgendeine Rechtsnorm, sondern gerade gegen eine (konkret zu benennende Norm) des Grundgesetzes verstoßen. Das Grundgesetz regelt im Artikel 16a, wer sich auf das Asylrecht berufen kann, nicht jedoch, ob Asylbewerber nach Deutschland einreisen dürfen. Letzteres ist im Asylgesetz geregelt. Das Gericht könnte sich also auf einen Standpunkt stellen, den bereits sein Präsident, Andreas Voßkuhle, bei einer Podiumsdiskussion vom 27. September 2017 eingenommen hat: Die Flüchtlingskrise hätte nichts mit dem Grundgesetz zu tun („Aber es sind nicht die Fragen des deutschen Grundgesetzes, die wir dann klären müssen“).

Voßkuhle ist auch Vorsitzender des zweiten Karlsruher Senates, der über die Organklage der AfD zu entscheiden hat. Er behauptete an gleicher Stelle, „Obergrenzen“ beim Asylrecht seien „mit dem UN-Flüchtlingsrecht nicht vereinbar. Diese Leute sind immer ausgenommen, denn die haben den Anspruch [gemeint ist: auf Einreise], auch jetzt schon.“ Wenn, dann müsse das Völkerrecht geändert werden. Aufgrund solcher flüchtlingsaffinen – und rechtsirrigen – Verlautbarungen entsteht der Eindruck der Befangenheit, die eine Mitwirkung bei der Entscheidung ausschließen müßte.

Dublin-Verordnung läßt Ausnahmen zu

Nach dem deutschen Asylgesetz ist Asylbewerben die Einreise zu verweigern, wenn sie aus „sicheren Drittstaaten“, insbesondere aus EU-Staaten, einreisen oder „Anhaltspunkte“ dafür vorliegen, daß ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Von der Einreiseverweigerung ist aber in zwei Fällen abzusehen: Erstens „soweit“ die Bundesrepublik nach der Dublin-Verordnung zuständig ist. Zweitens, wenn das Bundesinnenministerium es aus humanitären oder politischen Gründen angeordnet hat. Auf welche der beiden in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen die Grenzöffnung gestützt wird, teilt die Bundesregierung bis heute nicht mit.

Klar ist aber: Die Grenzöffnung würde keinen Verstoß gegen Mitwirkungsrechte des Bundestages bedeuten, soweit Deutschland ohnehin nach der Dublin-Verordnung zuständig wäre (Fall 2) und schon deswegen Asylbewerber einreisen lassen müßte. Der Migrationsexperte Daniel Thym behauptet genau dies in einem Gastbeitrag in der tageszeitung. Das Bundesverfassungsgericht wird das zu prüfen haben.

Nach der Dublin-Verordnung sind zwar grundsätzlich die EU-Außenstaaten für die Asylverfahren zuständig. Ausnahmsweise kann aber auch Deutschland zuständig sein. Zum Beispiel, wenn bereits Verwandte des Asylbewerbers hier leben. Oder wenn das eigentlich zuständige Land Mängel im Asylsystem aufweist, so daß die Gefahr unmenschlicher Behandlung droht, wie das einige deutsche Gerichte Griechenland, Italien oder Ungarn bescheinigt haben.

Wo beginnt das Hoheitsgebiet?

Daher halten Thym & Co. Deutschland allen Ernstes für verpflichtet, jeden Asylbewerber einreisen zu lassen, um vorgelagerte „Zuständigkeitsfeststellungsverfahren“ durchführen zu können. Stelle sich die Unzuständigkeit heraus, gälte es eben, binnen der zur Verfügung stehenden kurzen Frist von sechs Monaten ein Dublin-„Überstellungsverfahren“ in die zuständige Staaten zu bewerkstelligen.

Welcher Staat „Zuständigkeitsfeststellungsverfahren“ bei an Grenzübergängen gestellten Asylanträgen durchführen muß, ist in der Dublin-Verordnung geregelt (Artikel 20 Absastz vier): Wenn ein Asylbewerber seinen Antrag bei den Behörden eines Mitgliedstaats stellt, während er sich noch „im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält“, bleibt letzterer zuständig für die „Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats“.

Wo aber beginnt deutsches Hoheitsgebiet an Grenzübergängen? Für Flughäfen hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß man sich mit Ankunft im Transitbereich schon auf deutschem Staatsgebiet befindet, obwohl „über die Gewährung der Einreise erst noch zu entscheiden ist“ (Rz 119). Hierauf beruft sich Asylrechts-Experte Thym.

Asylantrag begründet keine Einreise

An gleicher Stelle hatte das Gericht aber betont, daß ein Asylantrag „weder nach Völkerrecht noch nach deutschem Recht einen Anspruch auf Einreise“ begründet. Das war 1996. Da gab es die Dublin-III-Verordnung der EU noch nicht. Aber die Begründung der EU-Kommission zur Vorgängernorm („Dublin-II“) lautet: „Der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Asylsuchende befindet, ist verpflichtet, das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchzuführen, auch wenn [er] seinen Antrag bei (…) einem anderen Mitgliedstaat, beispielsweise an der Grenze stellt.“

Dennoch beharren Thym und andere auf ihrem Standpunkt. Er läuft darauf hinaus, eine Zuständigkeit für Asylverfahren schon dadurch zu begründen, daß jemand sprichwörtlich einen Fuß über die Grenze setzt. Damit würde man Außen- und Transitländer für das rechtswidrige Durchwinken von Asylanten zu anderen Dublin-Staaten belohnen.

Das wäre absurd, urteilten die vier namhaften Juristen Alexander Peukert, Christian Hillgruber, Ulrich Foerste und Holm Putzke in der FAZ vom 9. Februar 2016. Dieses systematische Verständnis der Dublin-VO spricht eindeutig gegen Thyms Rechtsauffassung. Nach alledem ist zum Beispiel an der bayrisch-österreichischen Grenze nicht Deutschland, sondern Österreich für das „Zuständigkeitsfeststellungsverfahren“ zuständig. Deutschland darf also Einreisen aus Österreich verweigern.

Große Mehrheit des Bundestags lehnt Grenzkontrollen ab

Diese in epischer Breite geführte Debatte ist ohnehin nur insoweit interessant, als Grenzkontrollen überhaupt stattfinden. Der Schengener Grenzkodex erlaubt systematische Grenzkontrollen aber nur für längstens zwei Jahre. Diese Galgenfrist ist im Herbst 2017 verstrichen. Dementsprechend drohte der EU-„Migrations-Kommissar“ jüngst, deutsche Grenzkontrollen nicht mehr lange zu akzeptieren.

Da rollt ein EU-rechtliches Problem auf Deutschland zu, über das niemand spricht. Ohnehin sind Grenzkontrollen zwar unerläßliche, aber keine hinreichende Bedingung, um der schleichenden Unterwanderung der Deutschen entgegenzuwirken. Das veranlaßte die AfD ja zu ihrer Organklage. Was wird nun damit?

Bestenfalls stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß die Bundesregierung Mitwirkungsrechte des Bundestages mißachtet. Und dann? Hierüber braucht man sich keinen Illusionen hinzugeben. Denn dieses Szenario wurde jüngst schon durchgespielt: Im März 2018 lehnte eine große Mehrheit der Abgeordneten (544 von 631 abgegebenen Stimmen) eine Gesetzesvorlage der AfD ab, deutsche Grenzen umfassend zu kontrollieren und Asylbewerber aus sicheren Drittstaaten an der Einreise zu hindern.

Neue Verschlimmbesserungen der Dublin-Verordnung drohen

Während der Bundestagsdebatte wurde mehrfach die „europarechtliche Überlagerung“ des Grundgesetzes betont. Hierauf hatte schon de Maizière auf besagter Pressekonferenz im Herbst 2015 hingewiesen. Gemeint ist, daß Deutschland zu offenen Grenzen verpflichtet sei. Schon im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es: „Wir bekennen uns strikt (…) zu den aus dem Recht der EU resultierenden Verpflichtungen zur Bearbeitung jedes Asylantrags“.

Man berief sich auch triumphal auf neue Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts. Die Bundesrichter behaupten nämlich seit März 2017 (Az. 1 C 17.16) unter Berufung auf eine EU-Richtlinie (2013/32), EU-Staaten könnten keine „sichere Drittstaaten“ sein – also das exakte Gegenteil von dem, was im Grundgesetz steht.

Die meisten Bürger haben wohl noch nicht realisiert, daß EU-Recht selbst nationalen Verfassungen vorgeht und welches Damoklesschwert dies – vor allem perspektivisch – bedeutet. Deutschland kann auch im Rahmen des „gemeinsamen europäischen Asylsystems“ beim Erlaß von EU-Gesetzen überstimmt werden. Neue Verschlimmbesserungen der Dublin-Verordnung drohen, insbesondere zwecks „solidarischer“ Verteilung der Migranten auf alle EU-Staaten. Doch Afrika und die islamischen Länder sind ein Faß ohne Boden.

Regierung darf sich kein neues Volk zusammenstellen

Gibt es juristische rote Linien? Grundsätzlich schon. Drei wurden vom Bundesverfassungsgericht markiert: Zum einen muß sich die EU – eigentlich eine Selbstverständlichkeit – ihrerseits an die Europa-Verträge halten; sie darf ihre Befugnisse nicht überschreiten. Jedoch zeigen Karlsruher Entscheidungen zu den rechtswidrigen Machenschaften der Europäischen Zentralbank – angeblich um den „Euro zu retten“ und die Inflation auf 2 Prozent zu steigern –, daß unsere Verfassungshüter ihr Versprechen, notfalls zu intervenieren, nicht einlösen.

Zweitens muß sich die EU an den alten demokratischen Grundsatz der „Subsidiarität“ halten, wie sich schon aus EU-Vertrag (Artikel 5) und Grundgesetz (Artikel 23) ergibt: Was mit Blick auf europäische Ziele ebenso gut national oder regional entschieden werden kann, soll die EU nicht regeln. Aber auch hier überläßt Karlsruhe dem zentralistischen Eifer des Europäischen Gerichtshofs das letzte Wort bei der Vertragsauslegung.

Schließlich muß die unabänderliche Verfassungsidentität gewahrt bleiben. Insbesondere darf das Demokratieprinzip „nicht berührt“ werden, wie es im Grundgesetz (Artikel 79) heißt. Sein Kern liegt in der Volkssouveränität: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ (Artikel 20). Vom deutschen Volk wohlgemerkt.

Daher darf sich die Bundesregierung nicht „from top to bottom“ qua Zuwanderungs- oder Einbürgerungspolitik ein neues, etwa multiethnisches oder mehrheitlich islamisches Volk zusammenstellen. Das ist sogar dem Parlament verwehrt. Aber dort ist diese Einsicht – wie oben erläutert – ebenso wenig vorhanden wie beim Bundesverfassungsgericht.

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Alexander Heumann, Jahrgang 1962, ist Fachanwalt für Familienrecht in Düsseldorf. Der Volljurist studierte Betriebswirtschaftslehre und Rechtswissenschaften in Berlin, Mannheim und zuletzt Heidelberg.

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