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Buchvorstellung von Boris Palmer: „So viele Rassisten gibt es gar nicht bei uns“

Buchvorstellung von Boris Palmer: „So viele Rassisten gibt es gar nicht bei uns“

Buchvorstellung von Boris Palmer: „So viele Rassisten gibt es gar nicht bei uns“

Palmer:Klöckner
Palmer:Klöckner
Der Tübinger Oberbürgermeister, Boris Palmer (Grüne), stellt an der Seite von Julia Klöckner (CDU) in Berlin sein neues Buch vor Foto: picture alliance/ dpa
Buchvorstellung von Boris Palmer
 

„So viele Rassisten gibt es gar nicht bei uns“

Der streitbare Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hat am Donnerstag in Berlin an der Seite der stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden, Julia Klöckner, sein Buch vorgestellt. Darin bilanziert er seine Erlebnisse als Stadtchef im Umgang mit der Einwanderungskrise seit 2015. Seiner Partei will er auch weiterhin die Treue halten.
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Nein, stellt Boris Palmer klar, er denke nicht über einen Wechsel seiner Parteimitgliedschaft nach. Auch wenn manche Kritiker Tübingens grünem Oberbürgermeister in jüngster Zeit eine gewisse Nähe zur AfD unterstellen oder er selbst gerade vor der Berliner Hauptstadtpresse Seit an Seit mit Julia Klöckner sitzt, der rheinland-pfälzischen CDU-Vorsitzenden. Aber es geht an diesem Donnerstagvormittag auch nicht um Palmers Parteibuch, sondern um sein Buch „Wir können nicht allen helfen – Ein Grüner über Integration und die Grenzen der Belastbarkeit“.

Der Titel ist eigentlich eine Binsenweisheit, im Zusammenhang mit der Asylkrise hat er das Potential zur Provokation. Das sagt viel aus über die Stimmungslage im Land. Christdemokratin Klöckner, die die Vorstellung des Buches übernommen hat, merkt hier gleich sanfte Kritik an: der Titel passe nicht besonders gut zum Inhalt, denn schließlich gehe es bei Palmer ja gar nicht vorrangig ums Nicht-Helfen, sondern ums Helfen. Aber diese Abweichung sei wohl dem Marketing geschuldet…

Scharfer Gegenwind von rechts und links

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Tatsächlich berichtet Palmer auf den gut 250 Seiten viel von seiner Arbeit an der Spitze einer Kommune, die mit den Folgen der Entscheidungen aus dem Herbst 2015 klar kommen mußte. Er hat seine Erfahrungen gebündelt und seine Erlebnisse geschildert; seine Bilanz mündet in Thesen und Feststellungen, die er zur Debatte stellt. Seine Bestandsaufnahme könne als repräsentativ verstanden werden, selbst wenn man einige Besonderheiten berücksichtigt; etwa daß die Universitätsstadt Tübingen „besonders liberal, besonders grün und Wohnraum besonders knapp sei“, wie Palmer hinzufügt.

Der grüne Stadtchef schildert dabei, wie er frühzeitig scharfen Gegenwind zu spüren bekommt – von rechts wie von links. Seine Idee, notfalls Wohnraum unter Verweis auf das Grundgesetz („Eigentum verpflichtet“) oder das Polizeirecht zu requirieren, wird mit geharnischten Briefen und E-Mails beantwortet. „Ich wurde wahlweise als Nazi oder Kommunist beschimpft“, schreibt Palmer. Dieser Streit um Wohnraum habe ihm gezeigt, „daß es rechts wie links viele Menschen gibt, die auf die Herausforderung der Flüchtlingskrise mit Abwehr reagiert haben.“ Rechts habe es wenig Bereitschaft gegeben, den angekommenen Migranten zu helfen, links fehlte die Bereitschaft, an den Grenzen das zu tun, was eine Überforderung unseres Landes verhindere.

Deswegen sei eine verbale Abrüstung notwendig, meint Palmer und plädiert für Mäßigung im Tonfall. Das gelte für die, die jegliche Hilfeleistung als „Gutmenschentum“ verhöhnen genauso wie für die Gegenseite: „Es besteht kein Bedarf, ständig neue Nazis zu ernennen. So viele Rassisten gibt es gar nicht bei uns.“ Es bringe überhaupt nichts, ständig zu moralisieren. „Politik muß pragmatisch sein, und das sollte man auch so kommunizieren“, ist sich der Oberbürgermeister sicher. Und: „Man sollte im Wahlkampf nicht anders über Flüchtlinge reden wie davor oder danach.“

„Vernachlässigung unter dem Deckmantel der Großherzigkeit“

Der Bundeskanzlerin wirft er in diesem Zusammenhang vor, sie habe die Debatte unnötig emotional aufgeladen. Vieles in der Flüchtlingspolitik sei in Wirklichkeit jedoch „Vernachlässigung unter dem Deckmantel der Großherzigkeit“, kritisierte Palmer. Vehement fordert er aus seiner Erfahrung heraus ein besseres Anreizsystem. Es sei nicht nachvollziehbar, daß es im Asylverfahren keinen Unterschied macht, ob jemand sich um Integration bemüht oder nicht.

„Wer sich anstrengt, soll bessere Chancen beim Bleiberecht haben.“ Er plädiert für die Möglichkeit des „Spurwechsels“ vom Asyl- zu einem Einwanderungsverfahren. So könnte man für Integrationswillige einen Anreiz schaffen und gleichzeitig den Betrieben helfen, die unter Flüchtlingen Arbeitskräfte gefunden hätten. „Die untätigen jungen Männer sind doch bei uns das Problem“, meint der Grünen-Politiker.

Hier widerspricht ihm Julia Klöckner, die darin die Gefahr eines weiteren falschen Anreizes wittert: „Asyl- und Einwanderungsrecht müssen klar getrennt werden“, betont die CDU-Frau. Palmer bedauert jedoch, häufig würden die Falschen abgeschoben, während andere – etwa weil sie ihre Dokumente vernichtet haben, faktisch ein Bleiberecht erzwingen. Damit begünstige der deutsche Staat die, die unehrlich sind. Wenn man die jedoch nicht bestrafen könne, müsse man wenigstens die Ehrlichen belohnen.

Dank an die Grünen

Daß er für seine Thesen in Sachen Asylpolitik aus den eigenen Reihen scharf angegangen wird, preist Palmer in seine Arbeit als Politiker ein. „Solche Reflexe sind ja nicht auf mich beschränkt“, gibt er zu Bedenken. Er bekomme auch viel positive Resonanz. Vor allem von der kommunalen Basis. „Aber das sind meist Menschen ohne Zugang zu den Medien“, schränkt er die Wirkung dieser Bestätigung ein. „Andererseits muß ich meine Partei auch einmal loben, daß sie solche Querköpfe wie mich oder Christian Ströbele aushält“, gibt sich der Autor versöhnlich. Julia Klöckner resümierte bei der Präsentation: „Zum Skandal taugt dieses Buch nicht.“ Das stimmt. Im Prinzip. Aber wohl nicht in Deutschland.

Der Tübinger Oberbürgermeister, Boris Palmer (Grüne), stellt an der Seite von Julia Klöckner (CDU) in Berlin sein neues Buch vor Foto: picture alliance/ dpa
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