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Marc Jongen, ESN Fraktion

Reportage: „Refugees welcome“ – aber nicht bei uns

Reportage: „Refugees welcome“ – aber nicht bei uns

Reportage: „Refugees welcome“ – aber nicht bei uns

Wagenburg Neukölln
Wagenburg Neukölln
Hinterer Zugang zum Wagenburg-Gelände Foto: JF
Reportage
 

„Refugees welcome“ – aber nicht bei uns

Linke stehen meist in vorderster Reihe, wenn es darum geht, Asylsuchende willkommen zu heißen. Sind sie allerdings selbst von den Konsequenzen der Asylwelle betroffen, verwandelt sich ihre Solidarität schnell in Ablehnung. Die JF hat sich eine linke Wagenburg in Berlin angeschaut, deren Bewohner sich weigern, ihr Gelände mit Asylbewerbern zu teilen.
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Ein Mädchen kurvt langsam auf dem schmalen Trampelpfad in Richtung Wagenburg. Abgesehen von einzelnen Autofahrern ist zur Mittagszeit weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Die Heranwachsende, nicht älter als 15, steigt vom Zweirad. Sie wolle auf dem Gelände der Wagenburg „Radikal Queerer Wagenplatz Kanal“ Freunde besuchen, erzählt die Jugendliche. „Warum?“ fragt sie sofort hinterher.

Bei der Bauwagensiedlung in der Kiefholzstraße 74 in Neukölln handelt es sich nach eigenen Angaben um ein „Projekt aus queeren, mehrheitlich geflüchteten Menschen, Migrant_innen, Schwarzen Menschen, PoC (People of Colour, Anm. JF) und Rrom_nja (Zigeuner, Anm. JF), mit unterschiedlichen politischen und sozialen Hintergründen“.

Kein Einlaß

Die Freunde lassen auf sich warten. Schließlich erscheinen drei junge Ausländerinnen und ein kleinwüchsiger, blasser Mann mit türkisfarbenen Haaren an einem der beiden Eingangstore. Das gesamte Gelände ist mit Maschendrahtzaun abgegrenzt. Dunkle Planen verhindern neugierige Blicke. Ohne Anmeldung sei es nicht möglich, aufs Gelände zu kommen, betont der Mann.

„Sie können Ihre Karte an den Zaun hängen und wir rufen an. Wir haben einen eigenen Pressemenschen.“ Eines der Mädchen verhindert weitere Nachfragen: „There is no way, you get any answers at this point.“ Die Jugendliche mit dem Fahrrad erhält Einlaß. Das Tor wird nur so weit geöffnet, daß sie gerade so durchpaßt. Kaum betritt sie das Gelände, verschließt der junge Mann die Gittertür mit einem robusten Fahrradschloß. „Tschüß.“

Trampelpfad zur Wagenburg Foto: JF/ls
Trampelpfad zur Wagenburg Foto: JF

„Rassistischer Mietvertrag“ abgelehnt

Hinter Zaun und Gitter leben 20 Menschen auf 8.000 Quadratmetern. Laut Informationen des Tagesspiegel für den Spottpreis von 800 bis 1.000 Euro im Monat. Unzählige Gartenlauben umringen die Wagenburg von Süden, Westen und Norden her. Auf der anderen Seite der Kiefholzstraße ebenfalls: Gärten. Weil sich die Bewohner weigern, das Gelände für 500 Asylbewerber zu räumen, geriet das Projekt jetzt in die Schlagzeilen. Der Berliner Senat will das Areal neben rund 70 weiteren Flächen zur Unterbringung von Asylsuchenden verwenden. Die Wagenburgler wollen davon nichts wissen. Zum einen hätten sie sich das Gelände „mühsam“ erkämpft.

Zum anderen lehnen sie „staatlich organisierte Massenverwaltung“ ab und bemühten sich um die Schaffung „selbstverwalteter Räume“. Es gehe nicht um die Asylbewerber, sondern darum, daß „der selbst organisierte Charakter des Platzes verlorengehen würde“, moniert eine Bewohnerin in der Welt. Zudem würde die Struktur auch von „Frauen*Geflüchteten und Migrant_innen Organisationen, wie z.B. ‘Women in Exile’ und ‘International Women Space’“ genutzt werden.

„Links, aber keine Extremisten“

„Wir sind links, aber keine linken Extremisten und lehnen Gewalt ab“, betont ihre Mitstreiterin. Asylbewerber auf „ihrem“ Grundstück bedeuteten mehr staatliche Kontrolle. „Wir solidarisieren uns mit den Kämpfen von Geflüchteten und für ein selbstbestimmtes Leben und ein Recht für jeden Menschen, seinen Wohnort selbst zu wählen. Wir sind gegen die Politik von Lagern und Abschiebung“, beschreibt der Verein im Internet seine politische Ausrichtung.

Die meisten Nachbarn wissen von alldem nichts. „Ich habe hier nur meinen Garten, was hinter dem Zaun geschieht, weiß ich nicht“, erzählt ein weißhaariger Mann. Ein anderer habe davon gehört, daß die 20 Bewohner auch nicht die von der Stadtverwaltung vorgeschlagenen 5.000 Quadratmeter für Asylbewerber freigeben wollen. „Ja, so sind se, alles kann jemacht werden, nur nicht mit uns“, beschwert er sich.

Unerwartete Konkurrenz

Zweites Projekt in der Karpfenteichstraße Foto: JF/ls
Zweites Projekt in der Karpfenteichstraße Foto: JF

Der Platz in der Kiefholzstraße ist nicht das einzige von Linken genutzte Grundstück in der Gegend. In der nahen Karpfenteichstraße siedelt neben den Bahngleisen eine andere Gruppe. Unter dem Eingangsschild des „Projekt-Geländes Visionen e.V.“ kleben einige Refugee- und Anti-Rassismus-Plakate, eine Klingel gibt es nicht. „Vor einigen Wochen haben die sich ordentlich gezofft“, erzählt ein älterer Mann, der eine Gartenlaube auf der anderen Straßenseite hat.

„Die wollten die Leute von da drüben nicht aufnehmen“, sagt er mit Blick auf die Wagenburgler. „Die sind aber nicht so schlimm“, fällt ihm sein Gartennachbar ins Wort. Mit schlimm meinen die beiden nächtliche Feten, die vor allem in den wärmeren Monaten stattfinden. „Da stehen dann zig Fahrräder rum, und es gibt richtig Rambazamba.“ Doch außer einem Hund und einem langhaarigen Endzwanziger, der hinter einer Blechhütte verschwindet, ist auf dem zweiten Grundstück heute niemand zu sehen.

Nutzungsvertrag seit Jahren ausgelaufen

Wie geht es weiter mit der Wagenburg? Der Nutzungsvertrag ist bereits 2013 ausgelaufen. Einen Folgevertrag lehnte die von der CDU-Neukölln als „Brigade Sorgenlos“ bezeichnete Gruppe ab. „Wir weigern uns, einen Vertrag zu unterzeichnen, in dem ein Paragraph den Aufenthalt von geflüchteten Personen auf dem Gelände untersagt“, teilte der Verein auf seiner mittlerweile vom Netz genommenen Internetseite mit.

Den Bewohnern sei durchaus bewußt, „wie kritisch dieser vertragslose Zustand“ sei, doch akzeptieren könnten sie einen „rassistischen Mietvertrag“ nicht. Bewegung herrscht auf dem Gelände trotzdem. Nach gut einer Stunde trudelt der nächste Radfahrer, ein Mann mit langen Haaren, auf dem Trampelpfad ein.


JF 15/16

Hinterer Zugang zum Wagenburg-Gelände Foto: JF
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