Sie lacht und scherzt wie eh und je. Dabei sollte Beate Zschäpe doch angeblich wenige Tage vor Prozeßbeginn einen Nervenzusammenbruch erlitten haben. Davon ist vor dem Münchner Oberlandesgericht an diesem bedeutsamen Tag, dem Tag ihrer erstmaligen Einlassung, nichts zu spüren.
Sie sitzt neben ihren neuen Anwälten, dem 31 Jahre alten Mathias Grasel und dem erstmals in der Hauptverhandlung anwesenden, urlaubsgebräunten Hermann Borchert, dem sie immer mal wieder mit freudiger Miene etwas zuflüstert. Die Ankündigung ihrer beiden Neuverteidiger, Zschäpe werde eine schriftliche Erklärung abgeben, ist nicht ohne Wirkung geblieben.
Schon in den frühen Morgenstunden hat sich vor dem Gerichtsgebäude am Stiglmaierplatz eine lange Schlange gebildet. Dutzende Medienvertreter sind erschienen, Angehörige der Opfer, politische Prozeßbeobachter, interessierte Zuhörer. Einen derart großen Auflauf hatte es zuletzt zum Prozeßauftakt im Mai 2013 gegeben. „Jetzt wird der Prozeß erst so richtig beginnen“, sind sich viele von ihnen sicher.
Im Saal ist die Spannung mit Händen zu greifen, als Mathias Grasel mit der Verlesung der Stellungnahme Beate Zschäpes beginnt. Stille. Angespannte Gesichter unter den Zuhörern, die jedes Wort der 53 Seiten langen Erklärung förmlich aufzusaugen versuchen. Beate Zschäpe ist diesmal voll bei der Sache. Keine Spielereien am Laptop, sie liest die Stellungnahme konzentriert mit.
Liebesbeziehungen zu Mundlos und Böhnhardt
„Meinen Vater habe ich nie kennengelernt“, beginnt der Jurist die Aussage Zschäpes zu ihrer Kindheit zu verlesen, die nicht einfach gewesen sei. Die Mutter hatte Alkoholprobleme. Zschäpe spricht von Streitereien mit ihr. Und davon, daß sie jeglichen Respekt ihr gegenüber verloren hatte, nachdem sie während der Wendezeit arbeitslos geworden war. Weil sie von ihrer Mutter kein Geld erhielt, habe sie Diebstähle verübt.
In dieser Zeit hatte sie Uwe Mundlos kennengelernt, ging mit ihm eine Beziehung ein. Einige Jahre später, an ihrem 19. Geburtstag, machte sie Bekanntschaft mit Uwe Böhnhardt, in den sie sich immer mehr verliebt habe. Mehr noch, sie habe regelrecht an ihm gehangen, verbrachte ihre Zeit immer häufiger mit ihm und seinen Freunden, fuhr mit ihnen auch zu rechtsextremen Demonstrationen. Als er sich später von ihr trennte, habe sie sehr darunter „gelitten“.
Sie habe ihn „zurückgewinnen“ wollen, mietete daher eine Garage in Jena an, die Böhnhardt als Versteck sehr gelegen gekommen sei, weil er stets mit Hausdurchsuchungen rechnen mußte. So sei er ihr wieder näher gekommen. Daß Mundlos und Böhnhardt in der Garage TNT-Sprengstoff lagerten und an Rohrbomben bastelten, will sie zunächst nicht gewußt haben. Allerdings sei ihr bekannt gewesen, daß auch Schwarzpulver in der Garage deponiert war.
Am 26. Januar 1998 habe Böhnhardt sie angerufen. „Die Garage ist aufgeflogen. Fackel sie ab“, habe er ihr gesagt. „Mir war klar, daß ich als Mieterin der Garage für den Sprengstoff verantwortlich gemacht werde. Ich ging davon aus, daß mir eine mehrjährige Haftstrafe drohte.“ Sie habe mit einem von Tino Brandt empfohlenen Rechtsanwalt gesprochen. „Er sagte, ich müßte mit acht bis zehn Jahren Haft rechnen.“ Da sei ihr klar geworden, daß sie sich nicht an die Polizei wenden könne.
„Ab und zu eine Waffe weggeräumt“
Zschäpe gesteht auch, die Zwickauer Wohnung des NSU auf Anweisung von Böhnhardt und Mundlos angezündet zu haben, nachdem sie am 4. November 2011 aus dem Radio vom brennenden Wohnmobil und den darin befindlichen zwei Leichen erfahren hatte. Sie habe den Brand legen sollen, um Beweismittel zu vernichten, das habe sie ihnen zuvor versprochen. Jedoch habe sie sich zuvor vergewissert, daß niemand mehr im Haus sei.
„Ich hatte nur einen Gedanken: Ich bin allein und habe alles verloren.“ Sie müsse jetzt den letzten Willen von Böhnhardt und Mundlos erfüllen. Das habe sie den beiden versprochen. Sie habe dann überall in der Wohnung Benzin verschüttet und dann mit einem Feuerzeug den Brand entfacht. „Alles, was in der Wohnung war, sollte verbrennen.“
Der Begriff „Nationalsozialistischer Untergrund“ hingegen sei eine reine Erfindung von Uwe Mundlos gewesen. „Es kann überhaupt keine Rede davon sein, daß ich Gründungsmitglied gewesen sein soll. Eine solche Gründung hat es nie gegeben“, erklärt die Angeklagte in dem Schreiben. Wenn es einen NSU gegeben habe, so hätte er nur aus Mundlos und Böhnhardt bestehen können. Sie hingegen habe nur „ab und zu eine Waffe weggeräumt“. Beide hätten das Haus im übrigen nie ohne Waffe verlassen.
Den Vorwurf der Bundesanwaltschaft, sie sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung, weist sie zurück. „Aktiv bin ich erst geworden, nachdem Tino Brandt zu uns gestoßen war.“ Der einst führende Neonazi und ehemalige V-Mann sei die Person gewesen, die Geld bereitgestellt hatte. Geld, mit dem die Gruppe rechtsextremes Propagandamaterial besorgt und vertrieben habe und mit dem Reisen bezahlt worden seien. „Ich wünschte, daß Tino Brandt früher aufgeflogen wäre und die Straftaten nie passiert wären“, erklärt Zschäpe, die sich zudem „aufrichtig bei allen Opfern“ entschuldige. „Ich fühle mich moralisch schuldig.“
„Auch ich profitierte davon“
Sie gesteht auch, die Identitäten von Böhnhardt und Mundlos gegenüber Nachbarn verheimlicht zu haben. Zudem habe sie zumeist die Miete gezahlt. Die Frau, die von sich erzählt, drei bis vier Flaschen Sekt pro Tag konsumiert zu haben, will die Sparsamste von den Dreien gewesen sein, habe sich daher meistens um das Geld gekümmert, daß das Trio aus den Raubüberfällen erbeutet hatte. „Auch ich profitierte davon“, sagt Zschäpe in ihrer Erklärung.
Mit den Morden hingegen habe sie nichts zu tun gehabt. „Ich redete stundenlang auf sie ein, daß sie mit dem Töten aufhören sollen.“ Böhnhardt und Mundlos hätten sich ihr gegenüber mit der Aussage gerechtfertigt, daß sie die türkische Bevölkerung in Angst versetzen wollten und daß sie ihr Leben sowieso „verkackt“ hätten. Beim Mord an einer Polizistin sei es ihnen lediglich um die Erbeutung der Pistolen gegangen.
Sie habe sich trotzdem nicht von den beiden lösen können. „Ich ergab mich meinem Schicksal, mit diesen Männern zusammen zu leben. Ich konnte die Dinge nur noch geschehen lassen. Ich nahm die Taten kaum noch wahr. Die beiden brauchten mich nicht, aber ich brauchte sie.“ Sie sei von beiden „enttäuscht“ gewesen, sei auch handgreiflich gegen sie geworden, habe immer mehr zu trinken angefangen und ihre Katzen vernachlässigt.
Zuhörer und Nebenkläger reagieren mit Ablehnung auf die Erklärung. „Das ist doch ein Witz“, flüstern sich einige zu. „Sie hat nur zugegeben, was ohnehin schon erwiesen ist“, kritisieren einige. Unterdessen kritisiert Mathias Grasel die drei Altverteidiger Heer, Stahl und Sturm. Diese hätten ihre Mandantin „blockiert“ und zum Schweigen gedrängt. Wolfgang Stahl platzt daraufhin der Kragen. „Ich möchte das aufs Schärfste zurückweisen“, ruft er. Sein Kollege Wolfgang Heer kündigt eine Stellungnahme an. „Da ist einiges gerade zu rücken“, betont er.