BERLIN. Egon Bahr ist tot. Der Sozialdemokrat verstarb im Alter von 93 Jahren. Der enge Berater Willy Brandts gilt mit diesem als Erfinder des „Wandels durch Annäherung“ der deutschen Ostpolitik. Von 1972 bis 1974 gehörte er der Regierung Brandt als Minister für besondere Angelegenheiten an. Unter Helmut Schmidt war Bahr von 1974 bis 1976 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Mit Bahr verliere die SPD einen „mutigen, aufrichtigen und großen Sozialdemokraten, den Architekten der deutschen Einheit, Friedenspolitiker und Europäer“, lobte SPD-Parteichef Sigmar Gabriel den Politiker. Bahr, der seit 1956 Mitglied der SPD war, setzte sich insbesondere für einen Ausgleich zwischen der Bundesrepublik und der Regierung in Moskau ein.
Ein Europa der Vaterländer
Zuletzt bemühte sich Bahr um eine Entschärfung der Ukraine-Krise und deren Auswirkung auf Deutschland. Die von Moskau annektierte Krim könne nach dem Vorbild der DDR behandelt werden, sagte er dem Nachrichtensender N-TV. „Wir haben die DDR nie völkerrechtlich anerkannt, aber respektiert.“ Auf dieser Grundlage hätten Gespräche mit Moskau geführt werden können.
In einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT hatte Bahr gefordert, nach dem Scheitern einer EU-Verfassung 2004 zu Charles de Gaulles Nationenverständnis zurückzukehren: „Noch sind wir uns in Deutschland offenbar gar nicht bewußt, daß wir in Europa auf de Gaulles Konzept vom Europa der Vaterländer und damit auf unseren eigenen Nationalstaat zurückgeworfen sind! Wenn wir für diese Zukunft fit sein wollen, dann sind wir gezwungen, zu lernen wieder eine normale Nation zu sein.“ (FA)