Die „Zivile Koalition e. V.“ versteht es, zu mobilisieren. Das Netzwerk der Rechtsanwältin Beatrix von Storch initiierte zuletzt eine Sammelklage von über 5.000 Bürgern gegen die Europäische Zentralbank wegen des Ankaufs wertloser Staatsanleihen. Anhängig ist der Streit beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Nun fordert die Zivile Koalition ein Referendum zur staatlichen Zukunft Deutschlands.
Ihre Unterstützer sollen an den SPD-Vorsitzenden und neuen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel schreiben und den Vizekanzler daran erinnern, daß seine Partei in ihrem „Regierungsprogramm 2013–2017“ die Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene angekündigt hat. „Ich bitte Sie, sich … insbesondere für ein EU-Referendum einzusetzen. Die Frage, ob die staatliche Souveränität Deutschlands (auch scheibchenweise) zugunsten eines EU-Zentralstaats beendet werden soll, ist dem Bürger zur Entscheidung vorzulegen“, lautet der weitere Formulierungsvorschlag.
Ist ein EU-Zentralstaat oder nicht eher ein Superstaat gemeint?
Dieser Appell dürfte nicht die neue Bundesregierung, wohl aber jene Anhänger der Zivilen Koalition mobilisieren, die sowohl den Parteienstaat als auch die EU äußerst kritisch sehen. Allerdings stellt sich die Frage nach dem Wert eines solchen „EU-Referendums“ gleich in doppelter Hinsicht. Der erste Einwand kreist dabei um den Begriff des „EU-Zentralstaats“, der den Bürgern zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Ist hier wirklich ein EU-Zentralstaat oder nicht eher ein Superstaat gemeint? Beide Bezeichnungen mögen in der Alltagssprache unterschiedslos verwendet werden, im staatsrechtlichen Sinne sind sie es aber nicht. Zentral- beziehungsweise Einheitsstaat ist ein Völkerrechtssubjekt, in dem die Staatsgewalt über das gesamte Staatsgebiet einheitlich ausgeübt wird. Hierzu gehören etwa Frankreich und Großbritannien. Ihre regionalen Untergliederungen, beispielswise Departements, sind bloße Verwaltungsbezirke ohne eigene Staatsgewalt.
Hiervon zu unterscheiden ist der Bundesstaat (Föderation). Auf seinem Territorium verteilt sich die Staatsgewalt auf einen völkerrechtlich souveränen Gesamtstaat („Bund“) und zwei oder mehr nicht souveräne Gliedstaaten (Bundesländer beziehungsweise Bundesstaaten). Beispiele einer solchen Föderation sind neben der Bundesrepublik Deutschland die Schweiz und die Vereinigten Staaten.
„Mehr Europa läßt das Grundgesetz kaum zu“
Da es der Zivilen Koalition erkennbar um „die staatliche Souveränität Deutschlands“ geht, darf man folgern, daß bei ihrem EU-Referendum auch über einen Anschluß der souveränen Bundesrepublik Deutschland an einen dann allein souveränen EU-Bundesstaat („Bundesstaat Europa“) abgestimmt werden soll. Dafür spricht auch, daß fast allen Befürwortern des Superstaats keine zentral-, sondern eine bundesstaatliche Lösung vorschwebt. Anstelle des engeren Begriffs EU-Zentralstaat sollte Beatrix von Storch den von ihr offenbar gemeinten Oberbegriff EU-Superstaat verwenden.
Der zweite Einwand gründet auf der Erkenntnis, daß unser Grundgesetz kein EU-Referendum vorsieht. Dieses gemäß Artikel 79 Absatz 2 mit Zweidrittelmehrheit in der Verfassung verankern zu wollen, wäre im übrigen unvernünftig; denn die nachfolgende Vorschrift, Artikel 79 Absatz 3, verbietet jede Änderung prägender Staatszielbestimmungen des Grundgesetzes.
Eine solche Bestimmung ist vor allem das Demokratieprinzip: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ (Artikel 20 Absatz 1 GG), dessen normative Grundlage die Volkssouveränität bildet: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ (Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 GG). Volkssouveränität kann sich aber nur dort entfalten, wo es einen Demos gibt, also im souveränen Nationalstaat. Dieser gehört zur „Verfassungsidentität“ und darf nicht durch „EU-Referenden“ mit anschließender Verfassungsänderung abgeschafft werden (siehe Bundesverfassungsgericht, „Lissabon-Urteil“ vom 30. Juni 2009). Nichts anderes gilt für eine „scheibchenweise Beendigung“ deutscher Souveränität. Unmißverständlich hob der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hervor: „Mehr Europa läßt das Grundgesetz kaum zu.“
Drei von vier Deutschen wollen keinen „Bundesstaat Europa“
Deutsche Bürger könnten die Souveränität Deutschlands also gar nicht per „EU-Referendum“ beseitigen. Die Kampagne der Zivilen Koalition weist daher ins politische Leere. Logischerweise sind es auch nicht die Gegner, sondern die Befürworter eines Superstaats, die aktiv werden müßten. Ihnen stünde jedoch nur ein einziger Weg zur Verfügung, die Konstituierung einer EU-freundlichen Verfassung über Artikel 146 GG: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“
Erst in diesem Moment wäre ein Volksentscheid − de iure über die neue Verfassung, de facto über den EU-Superstaat − zwingend und sinnvoll. Er dürfte ebenso ausgehen wie eine entsprechende Forsa-Umfrage. Fast 75 Prozent der befragten Deutschen sprachen sich darin gegen einen „Bundesstaat Europa“ aus.
JF 52/13-01/14