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Parteien: Wähler, hört die Signale

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Parteien: Wähler, hört die Signale

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Parteien
 

Wähler, hört die Signale

Die deutsche Parteienlandschaft ist einer grundsätzlichen Erosion unterworfen. Berücksichtigt man die Nichtwähler, vertreten CDU und SPD nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung.
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Bunte Spielfiguren: Die Rollenverteilung der etablierten Parteien ist durcheinander geraten Foto: Pixelio/BirgitH

Wahlsieger sind keine Gewinner mehr. Die Volksparteien erodieren weiter, neue Kräfte tauchen auf und gehen vielleicht wieder unter. Ein wahrer Satz entfuhr CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, als er am Abend der Landtagswahl in Schleswig-Holstein das Ergebnis betrachtete: Das Parteiensystem verändere sich, stellte der Merkel-Getreue fest.

Man kann es noch deutlicher sagen: Zwischen Nord- und Ostsee ist ein kleines Stück Griechenland sichtbar geworden – mit dem Unterschied, daß die großen Parteien noch über 60 Prozent der abgegebenen Stimmen haben. Berücksichtigt man die Nichtwähler, vertreten CDU und SPD nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung – wie Sozialisten und Konservative in Athen.

Das Ergebnis von Kiel zeigt: Die Bindungskraft der großen Parteien hat einmal mehr zugunsten zentrifugaler Kräfte nachgelassen. Im angeblich so politisch stabilen Deutschland wird es seltener möglich, Zweierkoalitionen zu bilden. Sollte es in Kiel Rot-Grün geben, dann muß der dänische Südschleswigsche Wählerverband (SSW) als Mehrheitsbeschaffer helfen.

Traditionelle Aufgaben der Parteien sind passé

Damit ist die traditionelle Rolle der FDP als Mehrheitsbeschafferin endgültig passé. Das trifft aber auch auf die Grünen zu, die hofften, diese Rolle von der Partei des Genscher-Diadochen Philipp Rösler übernehmen zu können. Obwohl Grünen-Chefin Claudia Roth am Wahlabend in Kiel jubelte, als hätte ihre Partei die absolute Mehrheit, ist der Zenit erreicht. Die Grünen sind – eine für sie bittere Erkenntnis, die sich wie Gift langsam ausbreitet – alt geworden. Wer jung,  politisch engagiert und kein Karrierist ist, wird Pirat.

Angstvoll versuchte der einstige SPD-Vordenker Erhard Eppler die Piraten zur Eintagsfliege zu deklarieren, „weil der Anlaß zu ihrer Gründung keine politische Jahrhundertaufgabe war“ – als hätten die SPD-Genossen vom Senioren Eppler bis zum Jung-Schwergewicht Sigmar Gabriel auch nur das Geringste von Netz-Affinität und Lebensgefühl der heutigen jungen Generation begriffen. Heribert Prantl giftete in der Süddeutschen von den Piraten als  „Vampiren“, die seinem Lieblingsmodell Rot-Grün die Kraft nehmen. Recht hat er.

Soft- und Hardware verändern unser Leben immer schneller. Das Bewußtsein für Information und ihre Technologie hat sich gewandelt  wie einst die Einstellung zu Umwelt und Naturschutz, was den Grünen den Weg ebnete. Sie müssen nicht Piraten heißen, die eines Tages den Reichstag entern werden; aber daß das Ereignis stattfinden wird, steht außer Zweifel. Die nächsten Signale werden in wenigen Tagen aus Nordrhein-Westfalen kommen. Die Titanen des deutschen Parteiensystems – CDU, CSU und SPD sowie die FDP als Zünglein an der Waage – sind auf Schrumpfkurs.

Die Linkspartei kann die Oppositionsrolle nicht nutzen

Für die Berliner Ebene ändert sich durch die Wahl in Schleswig-Holstein zunächst nichts, da die Mehrheit im Bundesrat für Schwarz-Gelb ohnehin schon weg war und Merkel auch diese zehnte Wahlniederlage für ihre Koalition bequem aussitzt. Ihr dürften die französischen Präsidentschaftswahlen mehr Kopfzerbrechen bereiten.  Auch die nordrhein-westfälische Landtagswahl, egal wie sie ausgeht, wird keine Auswirkungen auf den Reichstag haben.

In den zentralen Fragen wie Euro und EU kann sich Merkel neben der FDP auf SPD und Grüne verlassen. Die SPD kommt mit der deutschen Realität nicht mehr klar. Am liebsten würde sich Gabriel in einer großen Koalition hinter Merkel verstecken. Ihr Widerstand gegen die heute schon bestehende übergroße Koalition in Berlin hilft den Linken eigenartigerweise nicht. Mit einer Strahlkraft wie Honeckers SED in der Schlußzeit der DDR blicken die Kommunisten in Westdeutschland dem Müllhaufen der Geschichte entgegen – im Osten dürften sie langsam aussterben.

Es fragt sich, was mit den Untoten von der FDP passieren wird. Nach Schleswig-Holstein fing mancher an, an ein Leben nach dem politischen Tod zu glauben. Vorsicht ist geboten. Die vermeintliche Belebung der Liberalen läßt sich ziemlich genau auf die zweite Aprilhälfte terminieren. Seinerzeit erschien in der taz ein Artikel des Soziologen und Politologen Timo Lochocki mit einer verquast wirkenden Theorie:

Eine von den Medien stabilisierte FDP

Danach verhindert eine FDP mit ihrer Ausrichtung auf Wirtschaftsfragen das Aufkommen rechtspopulistischer Parteien, das in allen Nachbarländern zu beobachten ist. Da die Wirtschaftsinteressierten an die Steuersenkungspartei FDP gebunden werden, kommen Rechte an dieser Flanke nicht durch. Statt dessen bleiben sie bei Ausländer- und Islamthemen stecken. „Es mag für die politische Linke in Deutschland wie ein Paradox klingen: Aber wem am Herzen liegt, hierzulande eine starke rechtspopulistische Kraft und einen Rechtsruck der gesamten politischen Kultur zu verhindern, der sollte der kriselnden FDP ‘alles Gute’ wünschen“, postulierte Lochocki.

In der Folge setzte ein mediales Konzert für die FDP ein, daß sich sogar die Pressesprecher in der Berliner Parteizentrale über Überschriften wie „Die FDP erlebt ihr gelbes Wunder“ (Financial Times Deutschland) wunderten. Der schleswig-holsteinische Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki, ein Querulant Möllemannscher Prägung, schien schon vor der Wahl und zu Lebzeiten vor der Seligsprechung zu stehen. In Nordrhein-Westfalen steht Christian Lindner, der als FDP-Generalsekretär Fahnenflucht beging und dem aus früherer Tätigkeit der Geruch des Pleitiers anhaftet, möglicherweise vor einem guten Ergebnis. Dieser „Lindner-Effekt“ könnte zwar Rösler das Amt kosten, aber Merkel würde mit der schwachen FDP-Fraktion weiter regieren können.

Stabil ist das alles nicht mehr. Die Zentrifugalkräfte werden kräftiger. Wenn Euro-Bonds kommen sollen, die Europäische Zentralbank der Politik untergeordnet werden soll und die EU-Kommission noch mehr Macht an sich reißen will, wird die Union das erleben, was die SPD schon kennt: Plötzlich tummeln sich andere in ihrem Revier.

JF 20/12

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