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Baden-Württemberg: Grün-rote Beruhigungspillen

Baden-Württemberg: Grün-rote Beruhigungspillen

Baden-Württemberg: Grün-rote Beruhigungspillen

Suessigkeiten_Flickr_Gabi_Butcher
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Baden-Württemberg
 

Grün-rote Beruhigungspillen

Trotz aller Beschwichtigungen treiben SPD und Grüne in Baden-Württemberg im Koalitionsvertrag den radikalen Umbau des Landes voran. Vor allem der Mittelstand wird sich auf erhebliche Belastungen einstellen müssen.„Stuttgart 21“ wird zum Härtetest für die Regierung.
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Suessigkeiten_Flickr_Gabi_Butcher
Hand mit Schokodrops: Süßigkeiten mit Nebenwirkungen Foto: Flickr/Gabi Butcher

Baden-Württemberg kommt in die Wechseljahre. Beruhigungspillen verabreichen Grüne und SPD in ihrem Koalitionsvertrag reichlich. Der Einsatz konservativer Ziervokabeln wie „Verläßlichkeit“ kann freilich nicht überdecken, daß das Regierungsprogramm den Südwesten kräftig umkrempeln soll. Das Motto der Koalitionsvereinbarung, „der Wechsel beginnt“, heißt für viele Baden-Württemberger zunächst einmal: Mehr Steuern und weniger Entscheidungsfreiheit.

Vor allem das Schulwesen, das derzeit national und international noch Spitzenplätze belegt, steht vor massiven Eingriffen. Die Ganztagsschule soll Regelschule werden; das zweite ideologische Hauptprojekt grün-roter Bildungspolitik ist die „Gemeinschaftsschule“ genannte Einheitsschule von der ersten bis zur zehnten Klasse, an die sich lediglich noch eine gymnasiale Oberstufe anschließen soll.

Um Widerstände zu vermeiden, soll die Einheitsschule zunächst nur auf Wunsch und Antrag von Schulkonferenzen und Kommunen „behutsam“ eingeführt werden. Die Koalitionäre setzen dabei unverhohlen auf den demographischen Druck, der zu Schulzusammenlegungen zwingt, so daß man die Betroffenen vor die Alternative „Gemeinschaftsschule oder gar keine“ stellen kann.

Während die Grünen immerhin die SPD-Forderung nach gebührenfreien Kindergärten abgebogen haben, sind sich beide beim Ausbau der frühkindlichen Ganztagsbetreuung einig und wollen jedem Kind unter drei Jahren einen Krippenplatz garantieren. Das kostet viel Geld; als Finanzierungsquelle wird zum einen die Umwidmung des Landeserziehungsgeldes genannt, das nur noch sogenannten „sozial Schwachen“ zugute kommen soll, sowie die Anhebung der Grunderwerbsteuer von 3,5 auf fünf Prozentpunkte. Beide Maßnahmen entziehen der Mittelschicht Liquidität, um im Gegenzug staatlich vorgegebene Angebote durchzusetzen.

„Sozial-ökologische Marktwirtschaft“

Die vorgesehene Abschaffung der Studiengebühren bedeutet keine Entlastung, da die entfallenden 135 Millionen Euro aus Steuermitteln kompensiert werden sollen; auch die wird die Mittelschicht aufbringen müssen. Weitere Mehrbelastungen lauern in der angekündigten „Reform“ der Grundsteuer und der Gewerbesteuer, die Grün-Rot verfestigen und auf Selbständige und Freiberufler ausdehnen will.

Viel Geld werden Grüne und SPD in Baden-Württemberg für Subventionen benötigen, um ihre Steckenpferde beim Umbau eines Industrielandes in eine „sozial-ökologische Marktwirtschaft“ zu reiten. Der Anteil der Windenergie soll in weniger als zehn Jahren von 0,8 auf zehn Prozent ausgebaut werden. Die Windanlagenbauer freuen sich, doch wo all die zusätzlichen „Spargel“ in die Landschaft gestellt werden sollen, vermag noch niemand zu sagen, geschweige denn den betroffenen Bürgern zu vermitteln. 

Aufregung herrschte bei der Automobilbranche, an der im Südwesten mit drei Premium-Herstellern und einem dichten Netzwerk von Zulieferern rund zweihunderttausend Arbeitsplätze hängen, als der designierte grüne Ministerpräsident in einem Interview empfahl, statt Autos lieber „Mobilitätskonzepte“ zu verkaufen.

Während Kretschmann in den Medien hämische Kommentare erntete, ob denn Wohlstand und Wertschöpfung in Baden-Württemberg auch mit Produktion und Export von Fahrrädern aufrechterhalten werden könnten, ging der SPD-Vorsitzende Nils Schmid mit dem Hinweis, jede Stuttgarter Landesregierung habe „Benzin im Blut“, auf Distanz. Kretschmann, dem die Solarbranche ersichtlich näher steht, konterte mit „Sonne im Herzen“; sein grüner Verkehrsminister kann mit einem Freibrief für weitreichende lokale Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen dem Dirigismus im Kopf freien Lauf lassen.

Ruhe im Blut wird Kretschmann brauchen, wenn der mühselig überdeckte Konflikt zwischen SPD und Grünen um das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ doch noch ausbricht. Die Grünen setzen darauf, daß die „Streßtest“ genannte Tauglichkeitssimulation so hohen Nachbesserungsbedarf ergibt, daß die Bahn freiwillig aussteigt. Tut sie das nicht, steht den Koalitionären ein Volksentscheid bevor, in dem sie gegeneinander Wahlkampf führen müssen. Im peinlichsten Fall müßten die Grünen ein Projekt umsetzen, dessen Bekämpfung sie ihre Macht erst verdanken.

Einwanderung als besondere Qualifikation

Bei der Besetzung der Ministerposten konzentrieren sich die Grünen auf ihre Kernthemen: Umwelt und Energie, Verkehr und Infrastruktur, das Wissenschafts- und das Agrarressort. Die SPD stellt sieben Minister, zwei mehr als der Koalitionspartner, und besetzt die Schlüsselressorts Inneres, Justiz, Kultus sowie das „Außenministerium“ für Bundes- und Europaangelegenheiten. Ihr Vorsitzender Nils Schmid wird „Superminister“ für Wirtschaft und Finanzen. Staatsminister, ein Staatssekretär mit Kabinettsrang und eine „Staatsrätin für Zivilgesellschaft“ sichern den Grünen eine Stimme Mehrheit am Kabinettstisch.

Für diesen Proporz wurde die Zahl der Minister aufgebläht. Der mit einer Türkin verheiratete SPD-Vorsitzende, der demonstrativ um türkische Stimmen geworben hatte, setzte ein „Integrationministerium“ für seine Partei durch. Die gebürtige Türkin Bilkay Öney, die derzeit noch im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, soll das Amt übernehmen. Grün-Rot will zudem den öffentlichen Dienst für „Migranten“ leichter zugänglich machen, indem „Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz“ – sprich: Einwanderer-Sein – als zusätzliche „Qualifikationen“ anerkannt werden.

Asylbewerber sollen besser versorgt werden und die Aufnahme fester Flüchtlingskontingente zugesagt werden. Einbürgerungen will Grün-Rot erleichtern und die Optionsregel für jugendliche Doppelstaatler aufheben – schließlich braucht man in fünf Jahren ja auch wieder neue Wähler.

(JF 19/11)

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