Auf der Suche nach üblen Ritualen, die der Verteidigungsminister angeordnet hat, würde man bei der Politik schnell fündig werden. Seit Aufstellung der Bundeswehr wird jeder Verstoß gegen die Prinzipien der Inneren Führung als Staatsaffäre behandelt. In den ritualisierten Kampfspielen geht es dabei selten um grundlegende Probleme der Armee, sondern um die Fortsetzung der Parteipolitik mit anderen Mitteln.
Die jüngste Krise, ausgelöst durch den bedauerlichen Tod zweier junger Menschen, weicht nicht vom Schema ab. Der alerte Minister und sein Krisenmanagement standen eine Woche lang im Fokus, die „Zustände“ auf dem Segelschulschiff oder im afghanischen Stützpunkt waren dagegen nur Mittel zum Zweck. Parteitaktik und Sensationsgier bestimmten den demokratischen Diskurs. Ein Herz für die Armee ist dahinter nicht zu entdecken. In diesem System ist der Soldat fremd und einsam.
Vorfälle sind ohne faire Ermittlung nicht einzuordnen
Verstöße gegen Grundsätze der Menschenführung können in keiner Armee ausgeschlossen werden. Sie mit Augenmaß zu korrigieren, nicht getrieben von der Presse, ist Aufgabe der Vorgesetzten bis hinauf zum Minister. Die Vorfälle sind ohne faire Ermittlungen nicht einzuordnen. Da muß man abwarten. Das hätte auch der Minister tun sollen. Die Waffenspiele in Afghanistan wähnen Parlamentarier gar als Zeichen „einsatzbedingter Verrohung“ der Truppe. Höchste Alarmstufe also für die Hüter des Leitbilds vom „Staatsbürger in Uniform“. Bloß keinen rauhbeinigen Landser wie bei den Allierten. Das Markenzeichen der Bundeswehr, die „Innere Führung“, darf nicht in die Diskussion geraten.
Was geben die Volksvertreter den Soldaten ihrer „Parlamentsarmee“ mit in den schweren Einsatz? Außer einem Mandat, das sie jährlich durchwinken, und der Leerformel von der deutschen Sicherheit, die auch am Hindukusch verteidigt werde, ist es das permanente Mißtrauen, es könnte sich unter den extremen Bedingungen, so etwas wie ein „Kriegerethos“ herausbilden.
Dieses Mißtrauen ist auch der Nährboden, auf dem die Konzeption der „Inneren Führung“ entstanden ist und bis heute gedeiht. Zunächst so einhellig wie gutgläubig nur als Absage an primitive Kommißmethoden begrüßt, als „Geist der Front statt des Kasernenhofs“, wurde langsam klar, daß es um weit mehr ging als um die unbestrittene Anpassung des neuen Militärs an Demokratie und Gesellschaftsentwicklung:
Im Atomkrieg, so das vereinfachende Argument der „Jakobiner“, gebe es keine Unterscheidung mehr zwischen Zivilisten und Soldaten. Damit entfalle auch jede traditionelle Besonderheit des Soldatenberufs („sui generis“). Natürlich müsse der neue „Soldat“ militärtechnisch perfekt sein, seine inneren Antriebe erhalte er aber ausschließlich aus seinem staatsbürgerlichen Verantwortungsgefühl und nicht aus überholtem soldatischen Ethos. Mit dieser militärischen Kunstfigur gewann der listige Adenauer die notwendige Zustimmung der SPD zur Wiederbewaffnung und wischte deshalb alle Einwände der Frontgeneration und auch der verblüfften Alliierten vom Tisch.
Dieser „deutsche Sonderweg“ wird weiter unverdrossen beschritten und steht als Teil unserer Vergangenheitsbewältigung außer Diskussion. Deshalb wird er auch mit resigniertem Schulterzucken – oder überwiegend ahnungslos – akzeptiert. Das ist erstaunlich, denn nach Ende des Kalten Krieges haben sich alle Bedingungen geändert. Der Soldat trägt wieder, wie in alten Zeiten, seine Haut zu Markte, die Heimat lebt in Sicherheit, aber sie schert sich nicht um das Opfer, das in der Ferne für sie gebracht wird. Die neuen Kriege sind nur von deren Strippenziehern zu durchschauen. Keine öffentliche Debatte führt zu einem Ergebnis. Dennoch erhält der Soldat seinen Marschbefehl. Was gibt ihm in schwierigen Lagen, neben der Kameradschaft mit seinen Leidensgenossen, dann Halt und Motivation?
Tradition, Ehre oder Korpsgeist auf dem Index
Abgestuft gilt das für alle postheroischen Gesellschaften. Aber nur im historisch traumatisierten Deutschland ist es den Streitkräften verwehrt, die natürlichen soldatischen Binnenfaktoren zu stärken, als Ersatz für die fehlende Unterstützung von außen. Nur bei uns ist es so, daß Tradition, Ehre oder Korpsgeist auf dem Index stehen. Der deutsche Soldat bleibt also alleine – aber argwöhnisch beobachtet, damit sich in den afghanischen Gebirgen nichts entwickle, was ihn von der Gesellschaft entfremden könnte.
„Spiegelbild unserer Gesellschaft“ hat die Bundeswehr zu sein. Aber wenn es ernst wird, dann soll sie plötzlich richtig kämpfen – weil es im Soldatengesetz steht, tapfer und opferbereit, wie ihre Vorväter. Die Erinnerung an sie darf aber nicht gepflegt werden. Die „kriegerische“ Tradition könnte ja auf Abwege führen, vielleicht geradewegs zum „Staat im Staate“. Welch vorsintflutliches Schreckbild für einen Staat, der längst von Banken und Konzernen erpreßt wird.
Einsatz wird die Armee „normalisieren“
Unehrlichkeit liegt über dem ganzen Einsatz der Bundeswehr. Die Soldaten die jetzt noch kommen, sind zäh und halten im „mitdenkenden Gehorsam“ – und aus Selbstachtung – das System noch aufrecht. Der Einsatz wird die Armee verändern – und früher oder später „normalisieren“. Stemmt sich die Führung weiter gegen die Realität, statt die Entwicklung vernünftig zu steuern, wird der Soldat das Vakuum auf eigene Faust füllen. Vielleicht mit Rambokitsch, Totenköpfen und bizarren Mutproben – und auf dem Fuße folgend immer wieder die nicht weniger albernen Exorzismusrituale von Medien und Politik.
Niemand stellt die Werte und Normen des Grundgesetzes in Frage. Auch mit einer Rückbesinnung auf soldatische Elemente verliert die Innere Führung ihren Wert nicht, lediglich ihre antiquierte ideologische Stoßrichtung. Das kann dem Geist der Armee und ihrer Einsatzfähigkeit nur guttun. Die aktuelle Krise könnte ein Anstoß für tieferes Nachdenken sein. Diesem Minister wäre das sogar zuzutrauen.
Fritz Zwicknagl, Jahrgang 1946, Oberst a. D., war unter anderem Leiter von Generalstabslehrgängen
(JF 06/11)