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KOMMENTAR: Vom Kampf gegen den Papst

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Matthies
Helmut Matthies: Der Chef der evangelischen Nachrichtagentir „idea“ verteidigt den Papst Foto: JF

WETZLAR. Nie wurde ein Papst in den letzten Jahrzehnten derart massiv kritisiert wie Benedikt XVI. Man lese nur die Schlagzeilen „Chaos im Vatikan“ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung), „Weltweite Kritik am Papst“ (Bild) und „Ein deutscher Papst blamiert die katholische Kirche“ (Spiegel).

Dabei wurden häufig die Fakten nicht zur Kenntnis genommen, was freilich auch an einer verunglückten Informationspolitik des Vatikans lag. Was geschah eigentlich tatsächlich?

Der aus Deutschland stammende Papst erklärte nach seiner Wahl 2005, daß ihm die Einheit seiner Kirche sehr am Herzen liege. 1988 hatte Rom eine kleine Abspaltung erlebt. Vier Priester wurden vom ultrakonservativen französischen Erzbischof Lefebvre – der die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962 bis 1965) ablehnt – zu Bischöfen geweiht, und zwar gegen das Verbot des Vatikans.

Hoffnung, die Abspaltung zu überwinden

Damit waren sie automatisch exkommuniziert. Das heißt: Sie dürfen beispielsweise nicht an der Eucharistie (dem Heiligen Abendmahl) teilnehmen. Am 15. Dezember letzten Jahres äußerten die vier Bischöfe in einem Brief den Wunsch, in die Kirche des Papstes zurückkehren zu können. Gleichzeitig erklärten sie ihren Willen, sich zu bessern.

Darin sah der Vatikan die Hoffnung, die Abspaltung der traditionalistischen Pius-Bruderschaft langfristig überwinden zu können. Der Adressat des „Bekehrungs-Briefes“ (so die Frankfurter Allgemeine Zeitung) war eine dafür im Vatikan zuständige Kommission. Der mit dem Fall befaßte italienische Kardinal Ré unterschrieb am 21. Januar das Dekret, mit dem der Bitte der vier Bischöfe entsprochen wurde.

Anders als in fast allen Medienberichten dargestellt, bedeutet die Aufhebung der Exkommunikation nicht, daß jetzt die vier als Bischöfe oder auch nur Priester in der römisch-katholischen Kirche amtieren dürften. Sie bleiben erst einmal suspendiert! Es ging nur darum, daß sie wieder die Sakramente empfangen dürfen. Beruflich bzw. amtlich tätig werden dürfen sie nur, wenn sie öffentlich ihre Zustimmung zu den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils bekunden.

<---newpage---> Obwohl der Papst alles zurückwies…

Dann kam heraus, daß einer der vier – der englische Bischof Richard Williamson – leugne, daß sechs Millionen Juden in KZs umgebracht worden seien. Bis man ihm das Gegenteil beweise, gehe er davon aus, daß es 200.000 bis 300.000 gewesen seien.

Laut Vatikan hat der Papst zum Zeitpunkt der Aufhebung der Exkommunikation die Aussagen Williamsons nicht gekannt. Auf die Kritik hin wies der Vatikan die Ansichten des Engländers scharf zurück. Die drei Kollegen von Williamson distanzierten sich ausdrücklich von ihm: „Die Äußerungen von Herrn Williamson spiegeln in keiner Weise die Überzeugung unserer Pius-Bruderschaft wider.“ Es gebe auch keine antisemitischen Tendenzen unter ihnen.

Der Papst betonte dann am 28. Januar „aus ganzem Herzen“ seine „volle und unbestreitbare Solidarität“ mit den Juden. Der Holocaust sei „für alle eine Mahnung gegen das Vergessen, gegen die Leugnung oder die Reduzierung“. Gleichzeitig werden Aussagen von ihm dokumentiert, die zeigen, daß kaum ein anderer Papst sich so positiv zum jüdischen Volk geäußert hat wie der jetzige. Doch alles hilft nichts. Von den Medien über die evangelische Kirche bis hin zur Bundeskanzlerin setzte erst danach (!) die stärkste Welle der Kritik ein. Viele hätten dabei schon aufgrund der Fakten besser geschwiegen.

Bild: Der Papst muß sich entschuldigen

Keine Publikation hat den aus Deutschland stammenden Papst derart hofiert wie das größte deutschsprachige Massenblatt Bild. Von der Schlagzeile „Wir sind Papst!“ (mit der Vereinnahmung auch aller Nichtkatholiken) bei seiner Wahl bis hin zu einer Berichterstattung, die an Menschenkult grenzt. Ein Beispiel: Es sei ein „überwältigendes Gefühl“, „vor ihm (dem Papst) zu knien, den Fischerring zu küssen“, so der Vatikan-Sonderkorrespondent. Doch Bild wäre nicht Bild, wenn es nicht die gleiche Persönlichkeit, die sie hier Gott-gleich beschreibt, bei nächster Gelegenheit – wenn es eben auch Auflage machen könnte – niedermachte.

Plötzlich fordert gar der Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlages, Mathias Döpfner, in Bild, der Papst müsse „sich entschuldigen“. Er belaste seine gesamte Amtszeit mit diesem „fürchterlichen Makel“. Als hätte der Papst selbst den Holocaust relativiert! Und dann der Satz: „Wer dazu nicht die Kraft findet, sollte nicht die Kraft Gottes für sich in Anspruch nehmen.“

Sich bei der Fernsehmoderatorin Eva Herman zu entschuldigen, die Bild als „dumme Kuh“ bezeichnet hat und dafür erst jüngst vom Landgericht Köln verurteilt worden ist, dazu hat der Springer-Chef jedenfalls noch keine Kraft gefunden.

<---newpage---> Friedman: Der Papst ist „ein Lügner“

Auch der bekannteste jüdische Journalist in Deutschland, Michel Friedman, hätte besser geschwiegen. Statt dessen erklärte er – nachdem (!) sich der Papst mehrmals vom Holocaust distanziert und seine uneingeschränkte Solidarität mit dem jüdischen Volk betont hat – am 4. Februar abends im Hessischen Rundfunk: „Der Papst ist unglaubwürdig, ein Lügner und ein Heuchler.“ Weiter: „Der Papst macht sich die Hände schmutzig“, wenn er diese Leute umarme. Der umstrittene Bischof Williamson sei „ein gefährlicher Verbrecher“, so der frühere Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland.

Dabei hat auch Friedman Kriminelles getan, wurde er doch im Juli 2003 wegen illegalen Kokainbesitzes in zehn Fällen verurteilt. Dadurch, daß er sich zusätzlich Zwangsprostituierte von einer ukrainischen Menschenschmugglerbande besorgt und auch ihnen Kokain angeboten hatte, geriet er auch noch in den Dunstkreis der organisierten Kriminalität, was juristisch damals aber keine Rolle spielte. Er bat um eine „zweite Chance“.

Er bekam sie schneller als andere. Noch bevor der Prozeß gegen die Bande begann, gab es schon wenige Wochen nach dem Aufdecken der kriminellen Tat Friedmans eine sogenannte „Welcome-back“-Party. Mit dabei war Angela Merkel.

Neue Chance für Friedman

Andere erhielten nie eine zweite Chance wie beispielsweise der frühere CDU-Politiker Martin Hohmann. Friedman hatte immer wieder einmal eine neue Chance erhalten. Man denke nur daran, daß er in einem Beitrag für Die Woche zum Karfreitag 1995 unter der Überschrift „Holt Jesus vom Kreuz!“ geschrieben hatte, eine Religion wie die christliche definiere ihre Identität aus einem „Gewaltakt“ (Kreuzestod), müsse sich deshalb nach ihrem Menschenbild fragen lassen. Die Behauptung, daß Jesus von Juden umgebracht worden sei, sei die Entscheidung gewesen, „der Macht zuliebe zu lügen“ und „die Gläubigen zu betrügen“.

Damals mußte Friedman weder aus dem Bundesvorstand der CDU zurücktreten noch aus dem Präsidium des Zentralrates der Juden in Deutschland. Erst nach vielen Protesten entschuldigte er sich für die Verletzung religiöser Gefühle. Zwei Tage nach seiner jetzigen, maßlosen Kritik am Papst wirkte das CDU-Mitglied bei einer Veranstaltung der linksextremen Partei „Die Linke“ in Weimar mit, die SPD verweigerte sich. Friedmans Auftritt wagte offensichtlich niemand zu kritisieren.

<---newpage---> Verharmlost die CDU den Kommunismus?

Es ist höchst ungewöhnlich, daß sich eine Kanzlerin in eine „rein innerkirchliche Diskussion“ (wie die Zeit es beschrieb) einmischt. „In bisher nicht gekannter Schärfe“ (so das ZDF) meinte sie, durch die Entscheidung des Papstes sei der Eindruck entstanden, daß es eine Leugnung des Holocausts geben könnte. Dabei hatte der Papst erst eine Woche zuvor genau das Gegenteil öffentlich klargestellt.

Warum mußte die evangelische Kanzlerin dennoch den Papst derart desavouieren? War es reiner Populismus? Eine ähnliche Entschiedenheit läßt die CDU-Vorsitzende leider vermissen, wenn es in ihrer eigenen Partei Unklarheit gibt, was die nicht minder schweren Verbrechen des Kommunismus anbetrifft.

So fand sie kein Wort zu dem Skandal, daß ein CDU-Ministerpräsident, nämlich der sächsische Stanislaw Tillich, nur wenige Tage vor dem Papst-Debakel ausgerechnet einem langjährigen ehemaligen KGB-Agenten, dem jetzigen russischen Präsidenten Putin, einen „Sächsischen Dankesorden“ verliehen hat. Der KGB ist für die Ermordung zahlloser Unschuldiger – darunter zehntausende Christen – verantwortlich.

Lutherische Kirche: Zurückhaltung wäre besser

Das System, für das der KGB die Arbeit erledigte, hat 20 Millionen Menschen das Leben gekostet. Putin war zur Sowjetzeit ein wichtiger Repräsentant des Kommunismus. Und ausgerechnet von einem CDU-Ministerpräsidenten bekommt er einen Orden, wobei niemand überzeugend erklären kann, welch große Tat Putin ordenswürdig erscheinen ließ.

Aber auch die evangelische Seite hätte mit ihrer Kritik am Papst zurückhaltender sein sollen. So hieß es von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), der Papst sei mit seiner Entscheidung bereit gewesen, „eine menschenverachtende und nach deutschen Maßstäben kriminelle Äußerung eines Bischofs in Kauf zu nehmen, selbst wenn er sich dann gleich wieder von dieser distanzieren muß“.

Es wäre ein Leichtes für den Papst, ähnlich zu reagieren. Er brauchte die Kirche, die sich nach Martin Luther nennt, nur daran erinnern, daß ihr Namensgeber auch Äußerungen getan hat, die kriminell sind und für die er – lebte er heute – sofort verhaftet würde. Nachdem er in seiner Frühzeit durchaus positive Worte über die Juden fand, hatte er zu späterer Zeit – 1542 – in seiner Schrift „Von den Jüden und ihren Lügen“ unter anderem geraten, „ihre Synagogen oder Schulen mit Feuer“ anzustecken.

<---newpage---> Ein prominenter Politiker steuerte dagegen

Legte man die gleichen Maßstäbe an die VELKD an, wie sie sie jetzt an den Papst anlegt, dürfte sie sich eigentlich nicht mehr lutherisch nennen. Denn sie ist sogar bereit, eine „menschenverachtende und nach deutschen Maßstäben kriminelle Äußerung“ ihres Begründers „in Kauf zu nehmen“.

Einer der ganz wenigen prominenten Politiker, die dagegen steuerten, ist Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Nur kurze Zeit nach der Kritik der Kanzlerin äußerte der Katholik: „Vieles, was dem Papst jetzt unterstellt wird, ist beinahe bösartig, jedenfalls unredlich.“ So solidarisch sind viele katholische Bischöfe in Deutschland nicht mit ihrem Oberhaupt. Im Gegenteil: Einige stimmten lautstark in die Kritik der Medien ein, anstatt ihnen den tatsächlichen Verlauf darzustellen.

Es entsteht geradezu der Eindruck, als hätten manche darauf gewartet, dem als theologisch konservativ geltenden Oberhaupt einmal die Meinung zu sagen – und das noch unter dem Beifall der Medien.

Als Evangelische den Papst in Schutz nehmen?

Warum nimmt nun ausgerechnet ein evangelischer Autor den Papst in Schutz? Die Antwort ist einfach: weil ihm Unrecht geschieht. Es stimmt, daß die Informationspolitik des Vatikans in diesem Fall miserabel gewesen ist. Es stimmt, daß man sich über Williamson vorher besser hätte informieren müssen. Es stimmt, daß der Erzkatholizismus der Pius-Bruderschaft für Protestanten schwer zu ertragen ist. Es stimmt, daß dem Papst offensichtlich die Einheit in den eigenen Reihen wichtiger ist als die Zusammenarbeit mit nichtkatholischen Kirchen.

Doch ungeachtet aller theologischen Differenzen mit Rom, ungeachtet des Wunsches, er möge seinen evangelischen Schwestern und Brüdern mehr entgegenkommen, bleibt die Tatsache, daß hier einem Mitchristen böse mitgespielt wurde – und das vermutlich auch, weil man sich an seinen klaren Positionen reibt.

Der Papst aus Deutschland jedenfalls ist von allen Päpsten der letzten Jahrzehnte der, der sich am meisten auf Jesus Christus in all seinen Aussagen (besonders in seinem Buch „Jesus von Nazareth“) konzentriert, am wenigsten umstrittene marianische Positionen hervorhebt und in diesem Sinne noch am „evangelischsten“ ist (idea).

Helmut Matthies leitet seit über dreißig Jahren die evangelische Nachrichtenagentur Idea und ist Chefredakteur von Idea Spektrum.

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