Die deutschlandweiten Schülerproteste der vergangenen Woche haben in Berlin ihre Spuren hinterlassen. Ein etwa tausendköpfiger Mob von Schülern und linksradikalen Aktivisten hatte im Zuge der Demonstration die Humboldt-Universität gestürmt.
Die Begleitumstände dieses Vorfalls lösten eine besondere Empörung aus. Denn zu Bruch ging hier mehr als nur eine Fensterscheibe. Für einen Skandal sorgte die bewußte Zerstörung der im Foyer befindlichen Ausstellung über verfolgte jüdische Unternehmer in der NS-Zeit. Schockierend waren überdies Szenen, die in einem Video-Bericht von Spiegel-Online verbreitet wurden: Universitätspapiere gingen in Flammen auf, und der von einer Management-Initiative gemietete Senatssaal wurde von einer Horde Linksextremisten überrannt. Ein Manager war vor laufender Kamera gezwungen worden, ein Schild der Demonstranten zu halten.
Anfang der Woche hatte die Universität nun zu einer Podiumsdiskussion geladen. Anlaß war die Wiedereröffnung der beim Sturm der Universität zerstörten Ausstellung mit dem Titel „Verraten und verkauft. Jüdische Unternehmen in Berlin 1933-1945“. Der Universitätspräsident Christoph Markschies stand noch sichtlich unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse – und verwies deshalb auf die besondere Verantwortung der Humboldt-Universität.
Universitätspräsident berichtete von „antiisraelischen Rufen“
Einst hätten sich auf deren Hof die Standbilder der Historiker Theodor Mommsen und Heinrich von Treitschke gegenübergestanden. Im Berliner Antisemitismusstreit 1879/1880 hatte Mommsen sich gegen Treitschke gewandt, weil dieser – durch die Parole „Die Juden sind unser Unglück“ – den Judenhaß salonfähig gemacht habe. Zwar sei das Denkmal Treitschkes verschwunden und inzwischen „Gras über die Stelle gewachsen“, doch historisch bleibe eine Lücke: Die Frage nämlich, wieviel Heimstatt der Antisemitismus unter den hier einst Lehrenden gehabt haben mochte.
Die im Raum stehende Frage, ob die Zerstörung der Ausstellung einen antisemitischen Hintergrund hatte, wurde von den Beteiligten des Podiums eindeutig bejaht. Universitätspräsident Markschies berichtete von „antiisraelischen Rufen“, die im Kontext der Situation zweifelsohne eine antisemitische Stoßrichtung zeigten.
Dies machte er an mehreren Punkten deutlich: Zum einen sei – wie auch Filmaufnahmen belegen – die Ausstellung „planmäßig“ und mutwillig zerstört worden. Der Inhalt der Ausstellung sei, so die Polizei, „selbst für Legastheniker“ erkennbar gewesen. Zudem existieren Zeugenaussagen. Denen zufolge seien Mitarbeiter des Historischen Instituts, die einschreiten wollten, bedroht und mit der Formulierung „Scheiß Israel!“ beschimpft worden.
Keine „friedliche Hausbesetzung“
Aufgrund dessen sind für Markschies etliche Ausreden, wie etwa die von Michael Schmidt, dem Vorstandsmitglied der Landesschülervertretung und Mitorganisator jener Demo, schlicht „erschütternd“ und untragbar. Denn „Gewalt gegen Sachen, aus welchen Gründen auch immer“, sei „nicht gerechtfertigt“. Auch sei es eine Mär, es habe sich um eine „friedliche Hausbesetzung“ gehandelt, es handele sich schlicht um „Hausfriedensbruch“.
Überdies zitierte Markschies den Berliner Verfassungsschutz. Der könne in dem Vorfall bislang zwar keinen explizit antisemitischen Vorfall erkennen, weise aber darauf hin, daß dem Staatschutz eine Reihe antisemitischer Vorfälle aus dem linksextremistischen Spektrum bekannt sei. Oft verstecke sich dieser unter dem Deckmantel des Antizionismus. In dem TV-Kommentar der RBB-Abendschau, wo „Verständnis für den Protest“ gefordert worden war, sah Markschies eine „unannehmbare Entschuldigung“.
Irritiert von dem Exzeß der über tausend jungen Leute zeigte sich der vom ARD-Hauptstadtstudio kommende Moderator des Abends, Joachim Wagner. Er fragte: „Woher kommt die Gewaltaufladung? Mir ist das unklar.“ Die am Podium beteiligte Bundestagsabgeordnete Monika Grütters (CDU) ergänzte: „Wo ist die Hemmschwelle geblieben? Warum hat die Masse nicht eingegriffen?“
Streit über Haltung der Linkspartei
Zur Klärung beizutragen vermochte da auch Wolfgang Thierse (SPD) nicht, als er – anknüpfend an Henryk M. Broder – sinnierte, ob womöglich die „Schüler auf dialektische Weise geschickt demonstrieren“ wollten, „wie ungebildet sie sind“. Da die „Diskussion“ auf dem Podium nicht vom Fleck kam, erhob ein Mann aus dem Publikum seine Stimme und forderte laut: „Man muß dann auch offen über eine offen antizionistische Partei reden, die hier in Berlin mitregiert.“
Dies griff Grütters auf, indem sie auf die ungebrochene Tradition der Linkspartei verwies, die früher – seinerzeit noch als SED – das Existenzrecht Israels nicht anerkannte. Bis heute gäbe es dort eine Reihe von Abgeordneten, die an Hamas- und Hisbollah-Demonstrationen teilnehmen und das Existenzrecht Israels verneinen. Bezeichnenderweise war an diesem Abend auch kein führender Vertreter dieser Partei auszumachen.
Dann wurde im Foyer die Ausstellung eröffnet – von Antisemiten keine Spur.
Die Ausstellung „Verraten und verkauft. Jüdische Unternehmen in Berlin 1933-1945“ ist noch bis zum 13. Dezember 2008 im Foyer der Humboldt-Universität zu Berlin zu sehen. (Unter den Linden 6, 10117 Berlin.) Begleitender Katalog, 80 Seiten für 5,- Euro (Schutzgebühr).