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Kaukasus: Armenien und Trump: „Sterben müssen immer die anderen“

Kaukasus: Armenien und Trump: „Sterben müssen immer die anderen“

Kaukasus: Armenien und Trump: „Sterben müssen immer die anderen“

Premierminister Paschinjan versucht ein Land zwischen Protest und Trauer zu reformieren: „Zuerst muß das Sterben verhindert werden“, mahnt der in Armenien arbeitende US-Theologe Jacob Pursley. Foto: picture alliance/dpa/TASS | Alexander Patrin, Middle East Images | Anthony Pizzoferrato, IMAGO / SNA, JF
Premierminister Paschinjan versucht ein Land zwischen Protest und Trauer zu reformieren: „Zuerst muß das Sterben verhindert werden“, mahnt der in Armenien arbeitende US-Theologe Jacob Pursley. Foto: picture alliance/dpa/TASS | Alexander Patrin, Middle East Images | Anthony Pizzoferrato, IMAGO / SNA, JF
Premierminister Paschinjan versucht ein Land zwischen Protest und Trauer zu reformieren: „Zuerst muß das Sterben verhindert werden“, mahnt der in Armenien arbeitende US-Theologe Jacob Pursley. Foto: picture alliance/dpa/TASS | Alexander Patrin, Middle East Images | Anthony Pizzoferrato, IMAGO / SNA, JF
Kaukasus
 

Armenien und Trump: „Sterben müssen immer die anderen“

Zwei Jahre ist der Krieg um Bergkarabach schon her, doch trotz Trumps Friedenspolitik geht das kleine Armenien durch unsichere Zeiten. Eine Konferenz soll international um Partner werben. Die JF spricht mit einem der Veranstalter über ein Land in der Krise.
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Vor wenigen Monaten hatte US-Präsident Donald Trump öffentlichkeitswirksam einen Deal zwischen Armenien und Aserbaidschan ausgehandelt, der nach dem Krieg um Bergkarabach für Frieden im Kaukasus sorgen sollte. Mit dem kurz „TRIPP“ genannten Handelsabkommen sollten Wachstum und Wohlstand in der Region Einzug halten – trotzdem brodelt es in Armeniens Hauptstadt Jerewan. Ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl sieht sich der um Reformen bemühte Premierminister Nikol Paschinjan heftigen Vorwürfen ausgesetzt.

Einer, der den Aufstieg des Politikers von Anfang an mitverfolgt hat, ist Jacob Pursley. Der amerikanische Theologe arbeitet seit mehr als 23 Jahren als Missionar im Nahen und Mittleren Osten. Jetzt hilft er, die für Mitte November geplante „Republic of Armenia Prayer Breakfast“-Konferenz auszurichten, die international um neue Partner werben soll. Premierminister Nikol Paschinjan wird die Eröffnungsrede halten. Auch die JUNGE FREIHEIT nimmt an der Veranstaltung teil. Im Interview beschreibt der Theologe ein Land, das trotz Frieden nicht zur Ruhe kommt.


Herr Pursley, würden Sie Präsident Trump nach seinem Friedensdeal mit Armenien und Aserbaidschan auch den Friedensnobelpreis verleihen?

Jacob Pursley: Wenn es überhaupt einen amerikanischen Präsidenten gibt, der diese Auszeichnung verdient, dann ist es Donald J. Trump. Er kann Leute zusammenbringen und bringt sie dazu, mit dem Kämpfen aufzuhören. Das hat er schon mit Thailand und Kambodscha so gemacht, mit Kongo und Ruanda.

Die Menschen respektieren ihn dafür. Zumindest die Menschen außerhalb Westeuropas. Wenn Trump sagt „Hört auf zu kämpfen“, wird das nicht einfach nur deshalb gemacht, weil es Trump ist, sondern weil er zum Beispiel wirtschaftliche Anreize setzt, aufzuhören.

„Trumps Friedensdeal betrifft mich direkt“

Komisch! Wenn man als Ausländer armenische Nachrichten liest, bekommt man vielmehr den Eindruck, als würde sich das gesamte Land über den Deal empören.

Pursley: Sie müssen da zwischen der armenischen Diaspora in aller Welt und den Armeniern unterscheiden, die tatsächlich im Land leben. Viele in den Vereinigten Staaten lebende Armenier zum Beispiel sind eher links und unterstützen Politiker der Demokratischen Partei und so weiter. Schon allein das sagt mir eigentlich, daß irgend etwas nicht mit denen stimmt. Ich meine, wir reden hier über Parteinahme pro-Abtreibungen und so etwas…

Viele der armenischen Nachrichtenseiten, die man als Westler lesen kann, arbeiten selber vom Westen aus. Deshalb schreiben sie zum Beispiel auch auf Englisch. Die sind es vor allem, die sich abfällig über die Regierung unter Premierminister Nikol Paschinjan äußern. Wenn man aber tatsächlich in Armenien lebt, sieht die Welt sehr viel anders aus. Trumps Friedensdeal betrifft mich beispielsweise direkt. Viel mehr als all diese Armenier auf der anderen Seite der Erdkugel, die sich darüber das Maul zerreißen. Das ist alles „trash talk“.

„Die meisten Typen mit Großarmenien-Phantasien leben gar nicht hier“

Wieso sind sie als Ausländer denn so davon betroffen?

Pursley: Na weil meine Missionsinitiative und ich viel Geld in die Region gesteckt haben. Wir unterhalten etwa eine Schulen und viele Gemeinden auf der Trump-Route im Süden Armeniens, in der Provinz Sjunik. Wir arbeiten dort seit 2019. Jeder, mit dem ich vor Ort über den geplanten Highway gesprochen habe, freut sich über das Projekt. Viele Diaspora-Armenier hingegen laufen durch die Welt und glauben scheinbar immer noch daran, daß eines Tages doch noch irgendwie Großarmenien wiederhergestellt wird. Und das bezeichnen sie dann als Aufgabe armenischer Politik, so als ob Jerewan irgendwann einmal wirklich wieder über „Westarmenien“ (heute im Osten der Türkei liegende Territorien Anm. d. Red.) herrschen würde. Das Problem ist, daß diese Typen, die all das propagieren, überhaupt nicht hier leben. Denen schießen aserbaidschanische Kugeln nicht die Kinder tot.

Protest in den Farben der verloren gegangenen Republik Bergkarabach gegen die Preisgabe des Bergrückens. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Alexander Patrin
Protest in den Farben der verloren gegangenen Republik Bergkarabach gegen die Preisgabe des Bergrückens. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Alexander Patrin

Dann träumen die Armenier gar nicht alle von Großarmenien …

Pursley: Schauen Sie, wenn Sie sich mit einem Armenier zusammensetzen, der Wurzeln außerhalb der Landesgrenzen, in historisch armenischen Landstrichen hat, dann wird der Ihnen natürlich so etwas sagen wie: „Ja, wir haben Vorfahren in Westarmenien.“ An dieser Stelle werden die Dinge kompliziert. Das führt uns nämlich direkt zur neuen „Real Armenia“-Doktrin von Paschinjan. Was will er damit sagen? „Schaut her, unsere Grenzen so wie sie derzeit nun einmal sind, sind alles, was wir haben. Wir müssen auf sie achtgeben. Was werden wir aus unserem Land machen? Wir müssen es aufbauen. Wir müssen uns bilden.“ Und das ganze buchstabiert er dann anhand verschiedener Punkt aus. Das ist die ganze „Real Armenia“-Doktrin. Das ist alles vollkommen logisch. Das ist die Realität.

„Rußland ist die Regierung in Jerewan ein Dorn im Auge“

Alles in allem ist die Politik von Paschinjan also am Ende gar nicht so schlecht? Was ist dann mit den Protesten, die das Land 2024 erschüttert haben?

Pursley: Lassen Sie es mich so ausdrücken: Als im Mai vergangenen Jahres mehrere Dörfer von Jerewan an Baku abgetreten wurden, weil der Druck der aserbaidschanischen Drohkulisse einfach zu groß war, rang sich ein Erzbischof der armenisch-orthodoxen Kirche zu einer politischen Geste durch. Er führte als Geistlicher den Protest gegen die Übergabe der Dörfer an und erweckte nebenbei den Eindruck, als könne er das ganze Land übernehmen. Das war aus meiner Sicht falsch. Statt das Land durch Beten und Fasten zu einen – was er gerade nicht tat –, hat er sich an die Spitze eines Demonstrationszuges gestellt.

Ich dachte mir dabei nur: „Der wird nicht mit der Waffe in der Hand aufstehen, ebensowenig wie all die Leute, die da für eine Ideologie auf die Straße gehen. Keiner von ihnen wird mit der Waffe in der Hand für diese vier Dörfer kämpfen. Denn wenn auch nur einer von ihnen damit anfängt, werden sie alle sterben.“ Fakt ist doch, daß Armenien weder das Gerät noch die Mannstärke besitzt, um Aserbaidschan zu besiegen. Dieser Bischof und seine Gefolgsleute haben ihre gesamte Bewegung daher bloß auf leeren Anwürfen wie zum Beispiel „Unsere Feinde sind böse“ aufgebaut, statt zu erklären, wie das Land seine Probleme in den Griff bekommt.

Abgesehen davon, verstehen diese Leute offenbar gar nicht, was in Armenien gerade vor sich geht… und das hat vor allem mit dem Kreml, mit Rußland und damit zu tun, daß die Russen nicht die Kontrolle über Armenien verlieren wollen – was gerade passiert. Deshalb arbeitet der große Nachbar gerade mit allen Mitteln daran, die amtierende Regierung in Jerewan in Verruf zu bringen. Diese sperrt sich gar nicht grundsätzlich der Zusammenarbeit mit Moskau, sie will nur kein Vasall mehr sein. Genau deshalb steht Armenien auch vor einer neuen Epoche. Zum ersten Mal gab es in diesem Land wirklich freie, demokratische Wahlen. Das ist auch Nikol Paschinjan zu verdanken. Seine Konkurrenten haben sich, nun ja, ihre Stimmen gekauft …

„Seit Paschinjan im Amt ist, ist das Land nicht wieder zu erkennen“

Armenien scheint sich also langsam von Rußland zu emanzipieren. Wo sehen Sie denn den anhaltenden Einfluß des Nachbarn in Ihrem Alltag?

Pursley: Ich bin 2008 von der Türkei aus das erste Mal als Missionar nach Armenien gefahren, immer und immer wieder. Später dann, als das Land noch unter russischem Einfluß stand, bin ich sogar dorthin umgezogen. Das war alles vor Nikol Paschinjan. Wenn ich die Zeit damals mit dem, was heute aus dem Land geworden ist, vergleiche, muß ich sagen: Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Die Verhältnisse sind nicht wieder zu erkennen.

Versucht sein Land zu reformieren: Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mark Schiefelbein
Versucht sein Land zu reformieren: Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mark Schiefelbein

Seit 2018 hat das wirtschaftliche Wachstum stark angezogen, die Leute können Geschäfte eröffnen, ohne dabei von den Behörden unter Druck gesetzt zu werden. Auch die Korruption in der Polizei hat ein Ende. Früher wurde man öfter auf der Straße angehalten und gezwungen, Geld zu zahlen. Alles, was man von einer korrupten, oligarchischen Machtelite so erwartet eben. Seit dem Amtsantritt von Paschinjan ist das alles vorbei. Ich mußte seither niemanden schmieren.

Er hat dem allen ein Ende gesetzt. Seither boomt das Land. Die Leute kommen her und starten ihr Business. Als hätte man alles einmal vom Kopf auf die Füße gestellt.

„Wir teilen uns eine christliche Kultur mit Armenien“

Dann haben die Politiker, Journalisten und Bürger, die meinen Paschinjan führe das Land in die falsche Richtung, einfach keine Ahnung?

Pursley: Wenn ich ehrlich bin, kann ich natürlich verstehen, daß viele Armenier das, was sie als ihr historisch angestammtes Land ansehen, zurückhaben wollen. Das ist auch das stärkste Argument all derer, die Paschinjan für seine Zustimmung zum Trump-Deal kritisieren. Die Kritik lautete: „Du hast unsere Gefangenen in Baku vergessen. Du hast das Rückkehrrecht für die aus Bergkarabach vertriebenen Menschen unter den Tisch fallen lassen.“ Ich verstehe das vollkommen, allerdings wäre es gar nicht erst zu einem Frieden gekommen, wenn diese Dinge angesprochen worden wären.

Außerdem stimmt diese Kritik auch nur zur Hälfte, denn in Wahrheit arbeitet Paschinjan hinter den Kulissen durchaus daran, seine Landsleute aus Bergkarabach, die derzeit in Baku vor Gericht stehen, wieder freizubekommen. Darüber berichten die armenischen Mainstream- und Diasporamedien nur nicht.

Noch mehr Armenier wären dann vermutlich ums Leben gekommen – und zwar nicht die Diaspora-Armenier mit ihren Nachrichtenseiten. Nein, gestorben wären die Leute, die an der Grenze leben. Oder auch die Soldaten, mit denen wir persönliche Kontakte pflegen, die unsere Freunde sind. Diese Leute müßten dann ihren Kopf hinhalten und nicht irgendein Redakteur in Los Angeles, der sauer auf Paschinjan ist, weil der sich um Frieden bemüht. Das macht mich um ehrlich zu sein ziemlich wütend, wenn ich daran denke. Auch weil es ja nicht so ist, als wäre Paschinjan Bergkarabach egal – er kann nur nichts machen. Was wir machen können, ist es, öffentlich darüber zu reden, um andere Regierungen auf das Problem aufmerksam zu machen, damit die ihrerseits Druck auf Aserbaidschan ausüben können. Das würde helfen.

Das über 400 Jahre alter Kloster Chor Wirap im Süden Armeniens gilt als Symbol des ersten christlichen Staats der Geschichte. Foto: picture alliance / AA | Ali Balikci
Das über 400 Jahre alter Kloster Chor Wirap im Süden Armeniens gilt als Symbol des ersten christlichen Staats der Geschichte. Foto: picture alliance / AA | Ali Balikci

In der Schweiz beispielsweise wurde erst vor Kurzem die „Schweizer Friedensinitiative für Bergkarabach“ ins Leben gerufen, die sich für die Rückkehr der aus Bergkarabach Vertriebenen einsetzt. Das wirkt sich bis auf die Regierung in Bern aus. Nur die Regierung in Jerewan selbst kann eben nichts ausrichten. Da kann man so viel lamentieren, wie man möchte – aus eigenen Kräften wird Armenien seine Ziele nicht erreichen. Wenn die Vereinigten Staaten, Frankreich, Deutschland und England sich stark machen und sagen: „Frieden im Kaukasus ist schön und gut, aber wir müssen uns um all die Heimatvertriebenen kümmern“, wird Baku dem Druck nachgeben.

Das funktioniert nur Schritt für Schritt. Zuerst muß das Sterben verhindert werden. Dann muß verhindert werden, daß noch mehr Land verlorengeht. Danach kommt alles andere. Es ist jetzt aber vor allem an den großen Ländern, sich hinter Armenien zu stellen und zu helfen.

Was würden Sie dem deutschen Publikum sagen, warum ist das alles überhaupt von Bedeutung für Leser in Westeuropa?

Pursley: Als Amerikaner mit deutschen Wurzeln würde ich sagen, daß wir alle – ob aus Berlin, Washington oder Jerewan – am Ende gar nicht so unterschiedlich sind. Wir teilen uns eine starke christliche Kultur, die auf der Bibel gründet. Und eine Sache, die in diesem Buch steht, ist eben, daß man anderen Christen zur Hilfe eilen soll, wenn sie in Not geraten. Außerdem denke ich, daß Armenien in diesem Konflikt moralisch im Recht ist. Das Land wehrt sich gegen Invasoren, die es unterwerfen wollen. Das und unser geteilter Glaube an Jesus Christus sollten unsere Motivation sein, zu helfen. Nicht Geld oder Macht.


Der US-Theologe und Missionar Jacob Pursley. Foto: Jacob Pusley
Foto: Jacob Pusley

Dr. Jacob Pursley, ist evangelikaler Theologe und arbeitet seit 2002 in der muslimischen Welt. Als Missionar hat er bis 2017 die Türkei, Pakistan, Syrien und Palästina bereist. Seitdem bildet er Geistliche in Armenien aus und betreut verfolgte Christen aus dem Nachbarland Iran. Neben Englisch spricht er Türkisch, Armenisch und Kurdisch. Außerdem hat er mehrere Fachaufsätze und Bücher auf dem Gebiet der Missionswissenschaften vorgelegt.

Ein besonderes Anliegen ist ihm die Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit im Zusammenhang mit dem Völkermord an den Armeniern 1915. Pursely schreibt für namhafte christliche Zeitschriften wie etwa Christianity Today und wird regelmäßig im Fernsehsender CBN befragt. Der 1978 geborene Amerikaner ist verheiratet und hat zwei Kinder (zuletzt kam Pursley in der JF44/23 zu Wort).

Premierminister Paschinjan versucht ein Land zwischen Protest und Trauer zu reformieren: „Zuerst muß das Sterben verhindert werden“, mahnt der in Armenien arbeitende US-Theologe Jacob Pursley. Foto: picture alliance/dpa/TASS | Alexander Patrin, Middle East Images | Anthony Pizzoferrato, IMAGO / SNA, JF
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