BERLIN/DAMASKUS. Mit Entsetzen haben deutsche Politiker auf Berichte über Massaker an alawitischen Zivilisten im Westen Syriens reagiert. „Islamisten bleiben Islamisten trotz aller westlichen Wunschträume“, schrieb der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries am Montag bei X mit Blick auf das Regime in Damaskus, das seit dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad im Dezember regiert. „Jede finanzielle Unterstützung muß eingestellt werden, wenn Machthaber al-Scharaa nicht unverzüglich für den umfassenden Schutz aller Volksgruppen und Minderheiten sorgt.“
Islamistische Regierungstruppen haben in Syrien hunderte Zivilisten der alawitischen Minderheit brutal massakriert und getötet. Dies sind schwerste Kriegsverbrechen. Islamisten bleiben Islamisten trotz aller westlichen Wunschträume. Jede finanzielle Unterstützung muss…
— Christoph de Vries (@VriesChristoph) March 10, 2025
Auch AfD-Politiker kritisierten den Kurs der deutschen und europäischen Politik. Der EU-Abgeordnete Alexander Sell sagte, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) unterstütze das Morden an Alawiten „mit 60 Millionen Euro Steuergeld“. Man brauche dringend eine weniger weltfremde Außenpolitik. Das Entwicklungsministerium unter Leitung der SPD-Ministerin Svenja Schulze hatte im Dezember 60 Millionen Euro für verschiedene Projekte zur Stabilisierung Syriens auf den Weg gebracht, aber betont, diese würden nicht mit den syrischen Machthabern umgesetzt.
Derweil warf der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah der EU vor, sich auf die Seite „der Mörder“ zu stellen. Die EU hatte am Samstag die „jüngsten Angriffe“ verurteilt, die „Berichten zufolge von pro-Assad-Elementen“ auf Regierungskräfte verübt worden seien. Zugleich betonte sie, Zivilisten müßten unter allen Umständen geschützt werden. AfD-Chef Tino Chrupalla erklärte am Montag, die neuen Machthaber hätten es nicht geschafft, Syrien zu befrieden und eine neue Ordnung zu errichten.
Die USA verurteilen klar die mörderischen Übergriffe auf Alewiten in Syrien. Die EU hingegen stellt sich auf Seiten der Mörder. Jetzt fehlt noch die Stellungnahme der Türkei. https://t.co/DyInmO9gTx
— Dr. Maximilian Krah MdEP (@KrahMax) March 9, 2025
Kritik an „Fanboys von Islamisten“
Unterdessen mahnte Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschland, alle, die in Syrien die islamistische Hayat Tahrir al-Scham (HTS) von Machthaber Ahmed al-Scharaa unterstützten, machten sich „mitschuldig“ an den Massakern. Der EU warf er wegen ihrer Stellungnahme eine „Täter-Opfer-Umkehr“ vor. Die Publizistin Düzen Tekkal kritisierte unter anderem mit Blick auf „weiße linke Frauen“, es gebe in Europa „zu viele Fanboys und Fangirls von Islamisten, die sich lieber an den Kritikern abarbeiten, statt an den Extremisten“. Der Psychologe Ahmad Mansour mahnte: „Wer noch Zweifel hatte: Die Islamisten setzen ihre Agenda um, offen, unverhohlen, vor aller Augen.“
Jeder der in Syrien HTS und ihren Terroristen-Führer unterstützt, macht sich mitschuldig an den Massakern gegen die Alawiten und anderen Minderheiten.
Die Alternative zu einer säkularen Diktatur darf keine islamistische Diktatur sein! #Syrien— Ali Ertan Toprak (@toprak_aliE) March 8, 2025
Linken-Außenpolitiker Gregor Gysi schrieb am Sonntag bei X, die Führung in Damaskus stehe jetzt vor der Frage, „ob sie sich nicht doch entschließt, ein syrischer Staat mit vollständiger Akzeptanz aller dort lebenden Minderheiten zu werden, oder ein Terrorregime sein zu wollen, das versucht, Minderheiten auszurotten“. Ohne Klärung dessen sei die Abschiebung geflüchteter Syrer nicht zulässig.
Das Auswärtige Amt hatte den „Ausbruch der Gewalt“ am Sonntag verurteilt und Berichte über die Ermordung von Zivilisten als „schockierend“ bezeichnet. Die syrische Regierung stehe in der Verantwortung, weitere Übergriffe zu verhindern, die Vorfälle aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. „Wir fordern alle Seiten nachdrücklich zu einem Ende der Gewalt auf.“ Indes verurteilte US-Außenminister Marco Rubio die „radikalen islamistischen Terroristen“, die für die Morde verantwortlich seien.
Wir verurteilen den Ausbruch der Gewalt in den syrischen Regionen Tartus, Latakia und Homs. Berichte über die Ermordung von Zivilisten und Gefangenen sind schockierend.
Das ganze Statement: https://t.co/Dh2XA8y9fT
— Auswärtiges Amt (@AuswaertigesAmt) March 9, 2025
Beobachtungsstelle zählt 1.000 getötete Zivilisten
In den vergangenen Tagen hatten sich Berichte über anhaltende Massaker an Zivilisten im Westen Syriens gehäuft. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach am Sonntag von Kriegsverbrechen und einem Genozid. Sie machte Kräfte der Sicherheitsorgane, des syrischen Verteidigungsministeriums und Hilfskräften für die Taten verantwortlich, die am 6. März begonnen hätten.
Am Sonntag zählte die Beobachtungsstelle insgesamt 973 Zivilisten, die bei 39 Massakern in den Regionen Latakia, Tartus, Hama und Homs getötet worden seien. Latakia und Tartus an der Mittelmeerküste sind Hochburgen der Volksgruppe der Alawiten, zu denen auch der im Dezember gestürzte und nach Rußland geflohene Diktator Assad gehört. Zudem sind nach Angaben der Beobachtungsstelle 231 Mitglieder der syrischen Sicherheitsdienste und 250 alawitische Bewaffnete getötet worden, die mit dem Assad-Regime in Zusammenhang stünden.
Der syrische Präsident al-Scharaa machte am Sonntag in einer Ansprache Anhänger des gestürzten Präsidenten al-Assad für Angriffe auf staatliche Sicherheitskräfte des neuen Regimes verantwortlich. Es gebe Kräfte, die Chaos und Zerstörung stiften wollten. Al-Scharaa kündigte an, die „Überreste von al-Assad“ nicht zu tolerieren. Zugleich versprach er, jene zur Rechenschaft ziehen zu wollen, die sich am Blutvergießen von Zivilisten beteiligt hätten. In diesem Zusammenhang kündigte die Regierung die Einsetzung einer Untersuchungskommission an. Sie soll innerhalb von 30 Tagen einen Bericht dazu anfertigen, was in den vergangenen Tagen genau passiert ist. (ser)