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Lagebericht: Awdijiwka könnte der Anfang vom Ende der Ukraine sein

Lagebericht: Awdijiwka könnte der Anfang vom Ende der Ukraine sein

Lagebericht: Awdijiwka könnte der Anfang vom Ende der Ukraine sein

Soldatenfriedhof in der Ukraine: Das lang stößt in seinem Abwehrkampf gegen Rußland langsam an seine demographischen Grenzen.
Soldatenfriedhof in der Ukraine: Das lang stößt in seinem Abwehrkampf gegen Rußland langsam an seine demographischen Grenzen.
Soldatenfriedhof in der Ukraine: Das lang stößt in seinem Abwehrkampf gegen Rußland langsam an seine demographischen Grenzen Foto: picture alliance / Anadolu | Narciso Contreras
Lagebericht
 

Awdijiwka könnte der Anfang vom Ende der Ukraine sein

Nun ist Awdijiwka doch gefallen. Während die Ukraine die lange gehaltene Stadt aufgibt und dabei Elitesoldaten opfert, wächst die Kritik an der Führung. Kiew leidet derzeit doppelt; und hat doch noch ein historisches Vorbild, das Hoffnung gibt.
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Cato, Palmer, Exklusiv

Alles sei planmäßig und korrekt verlaufen, läßt die ukrainische Militärführung kurz nach dem Rückzug aus Awdijiwka verkünden. Man habe fast alle Soldaten evakuieren können, kaum jemand mußte zurückgelassen werden. Die Realität, die von auch pro-ukrainischen Militärbloggern und Beobachtern beschrieben wird und in ähnlicher Weise von Soldaten, die es aus dem Kessel herausgeschafft haben, bestätigt wird, ist eine ganz andere. Hunderte ukrainische Soldaten wurden noch in den letzten Tagen in den sich schließenden Kessel von Awdijiwka hineingeschickt.

Die ukrainischen Befehlshaber kommandierten die 3. Sturmbrigade, eine Eliteeinheit der Ukraine, direkt in den Höllenkreis hinein. Naheliegend deshalb, weil sie den Rückzug der restlichen ukrainischen Truppen sichern sollte. Denn die restlichen Tausenden von Soldaten befanden sich in und rund um die Ruinenstadt noch in ihren Stellungen. Weshalb wurde nicht früher der Befehl zum Rückzug gegeben? Weshalb die anscheinend überstürzte Flucht, obwohl nahezu allen Militärs und auch Beobachtern klar war, daß die russischen Streitkräfte kurz davor waren, den Kessel rund um die Stadt zu schließen.

Die Konsequenz dieses langen Ausharrens ist, daß Hunderte von ukrainischen Soldaten als vermißt gelten und viele weitere gefallen sind. Es kursieren etliche Videoaufnahmen, teils sogar von russischen Telegramkanälen, wo die Exekution von ukrainischen Kriegsgefangenen noch in Awdijiwka gezeigt wird. Auf anderen Videos ist zu sehen, wie ukrainische Soldaten in mittlerer zweistelliger Zahl zu Fuß über weites und offenes Land flüchten, teils ihre Ausrüstung liegen lassen und reihenweise von russischer Artillerie bei ihrer Flucht niedergemacht werden.

Kritik an ukrainischer Führung wird lauter

Angesichts solcher Bilder muß man die Frage zulassen, welche taktischen oder strategischen Überlegungen die ukrainische Militärführung dazu bewogen haben, den Kopf erst so spät aus der Schlinge zu ziehen. Und warum, zumindest laut einem Bericht des Kyiv Independent, hinter der Festung Awdijiwka keinerlei befestigte Stellungen ausgehoben wurden und man gerade erst damit begonnen hat, Gräben und Unterstände zu bauen. War man so überzeugt davon, daß Awdijiwka nicht fallen würde, weil die Stadt seit 2014 den Russen und Separatisten standgehalten hatte, daß man im Hinterland keinerlei Vorbereitungen für nötig hielt? Auf russischer Seite hingegen wird seit mindestens einem Jahr jeder Meter bis zu 60 Kilometer hinter der Front mit Sperren, Minen, Bunkern und Gräben befestigt, weil man offensichtlich der Ansicht ist, daß die Wahrscheinlichkeit eines ukrainischen Durchbruchs nicht bei null Prozent liegt und man lieber vorbereitet sein will.

Intern häufen sich die Vorwürfe der ukrainischen Soldaten gegen ihre Führung. Die 3. Sturmbrigade soll Hunderte von Gefallenen zu beklagen haben, weil sie offensichtlich geopfert wurde, um einen panischen Rückzug zu sichern. Da ist es nur ein schwacher Trost, daß die russischen Streitkräfte in den letzten Monaten zumindest laut dem pro-russischen Militärblogger „Murz“ etwa 16.000 Gefallene bei der Schlacht um die Stadt zu beklagen hatten. Dazu kommen Hunderte Fahrzeuge und ein Vielfaches an Verwundeten. Kurz nachdem er diese Zahlen veröffentlicht hatte, behauptete er, daß man ihn von russischer Seite unter Druck setzen würde, solche Zahlen nicht zu veröffentlichen. Kurz darauf nahm er sich laut offizieller Verlautbarung das Leben.

Aber selbst beim Jubel über die womöglich höheren Verluste Rußlands kann die Ukraine sich dabei kaum noch auf die Schultern klopfen. Denn die Hilfen aus Washington sind versiegt, der US-Kongreß verschiebt die Entscheidung über weitere Hilfen immer weiter in den Frühling hinein, während Europa erneut viel spricht und verspricht, aber kaum Taten folgen läßt – zumindest nicht in dem Maß, das ausreichend wäre, um einen entscheidenden Vorteil für die Ukraine zu ermöglichen. Zu wenig zum Siegen, zu viel zum Sterben.

Zeit des Bewegungskrieges scheint vorüber

Und schlimmer noch als der Hunger nach Granaten und Waffen ist die Tatsache, daß die Ukraine allmählich an ihre demographischen Grenzen stößt. Zwar könnte sie durch mehr Zwang noch mehr Männer mobilisieren, muß sich doch aber die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, auch die letzten jungen Väter und vielleicht künftigen Väter auf dem Schlachtfeld zu opfern. Letztlich lebt eine Nation von ihren Menschen und kann, selbst wenn Territorium verloren geht, überleben, wenn nur die Söhne und Töchter des Landes weiterleben.

Insofern müssen, das hatte wohl auch der vergangene Armeechef Saluschnyj versucht, seiner politischen Führung zu erklären, die politischen Ziele mit der militärischen Realität abgeglichen werden. Die Ukraine hat keine Chance, einen Abnutzungskrieg gegen Rußland und seine Verbündeten (Nordkorea, Iran) zu gewinnen. Und wenn keine wirklich beachtliche Waffenhilfe in nie gekannten Dimensionen aus dem Westen kommt, ist es unwahrscheinlich, zurück in den Bewegungskrieg zu kommen.

Die Ukraine leidet doppelt. Einerseits durch den Angriff des einstigen Bruderstaates Rußland, den Raub seines Landes und die Ermordung seiner Bevölkerung – andererseits durch die Entscheidungsschwäche und Doppelzüngigkeit des Westens hinsichtlich der Unterstützung. Viel deutet darauf hin, daß die Ukraine am langen Arm verhungern wird. Für die Gegner des globalen Westens ein zumindest ideologischer Sieg, weil sie am Beispiel der Ukraine dem globalen Süden zeigen: Der Westen ist nur ein „Papiertiger“.

Finnland kann Vorbild für Ukraine sein

Schon vor etwa einem Jahr wurde in einem vorausgegangenen Lagebericht hier besprochen, daß eine finnische Lösung vermutlich das bestmögliche Szenario für die Ukraine sein wird. Ähnlich wie Finnland im Winterkrieg 1939/40, muß die Ukraine territoriale Einbußen hinnehmen. Aber durch ihren Widerstand kann sie zumindest ihre Staatlichkeit erhalten.

Finnland wurde zwar von der Sowjetunion besiegt und verlor Karelien und weitere Teile seines Landes. Aber es überlebte als eigenständiger Staat und als freies Volk. Durch langen und zähen Widerstand trieb es den Preis für die Eroberung für Moskau immer weiter in die Höhe und sorgte dafür, daß die Lust am Weitermachen im Kreml schwand.

Soldatenfriedhof in der Ukraine: Das lang stößt in seinem Abwehrkampf gegen Rußland langsam an seine demographischen Grenzen Foto: picture alliance / Anadolu | Narciso Contreras
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