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Wahlkampf in der Türkei: Erdogans langer Atem

Wahlkampf in der Türkei: Erdogans langer Atem

Wahlkampf in der Türkei: Erdogans langer Atem

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) bangt um seine Präsidentschaft Foto: picture alliance / AA | Aytac Unal
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) bangt um seine Präsidentschaft Foto: picture alliance / AA | Aytac Unal
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) bangt um seine Präsidentschaft Foto: picture alliance / AA | Aytac Unal
Wahlkampf in der Türkei
 

Erdogans langer Atem

Die gebeutelte Türkei sucht vor der Präsidentschaftswahl nach Auswegen aus einer weiten Krisenlandschaft. Wirtschaftskrise, Inflation im Innern und der Krieg im benachbarten Syrien machen dem Land zu schaffen. Wird Langzeitpräsident Erdoğan sich halten können?
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Mit Spannung blickt die Welt auf die türkischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai, die eine Zäsur einläuten könnten. Fast 60 Millionen Wahlberechtigte sind dazu aufgerufen, der AKP und dessen Anführer Recep Tayyip Erdoğan nach mehr als zwei Dekaden ununterbrochener Herrschaft entweder weiterhin das Mandat zur Fortsetzung seiner Politik zu geben oder der Oppositionspartei CHP und ihren Verbündeten den Auftrag zu erteilen, eine neue Regierung zu bilden.

Es sind keine gewöhnlichen Wahlen. Sollte Erdoğan erneut als Staatspräsident gewählt werden, wird er das Präsidialsystem fortsetzen und ebenso sein Programm, das er unter der Bezeichnung „Jahrhundert der Türkei“ eingeführt hat. 100 Jahre nach Gründung der neuen Türkei versprach Erdoğan den Türken damit Wohlstand und Gerechtigkeit. Doch die reale Situation am Vorabend der Wahlen spricht eine andere Sprache. Nicht nur die anhaltende Wirtschaftskrise, auch die Legitimation des politischen Systems, die innenpolitischen Konflikte, allen voran das Kurdenproblem, sowie die außenpolitischen Fragen warten auf Lösungen.

Die Wirtschaftskrise wirft ihre Schatten auf die AKP

Die größte Herausforderung für die AKP–Regierung blieben seit jeher die wirtschaftlichen Probleme. Der akute Mangel an Devisen trifft vor allem Kleingewerbebetriebe, die Kredite auf Devisenbasis aufgenommen haben. Die Wechselkurse gingen zuungunsten der türkischen Währung in den Keller. Finanzielle Hilfen aus dem Ausland blieben durch die angespannten Beziehungen mit den USA und den Golfstaaten aus. Dorn im Auge war den Amerikanern nach dem Ausbruch des Ukrainekrieges vor allem die Annährung an Putin. Jüngst verkündete Joe Biden sogar, daß die USA der Opposition den Wahlsieg wünschen.

Die Golfstaaten wiederum betrachteten die Unterstützung der Muslimbruderschaft in den Krisenländern Ägypten, Syrien, Libyen und Tunesien als Gefahr für ihre eigene Sicherheit. Die Normalisierung der Beziehungen mit Ägypten und Syrien, die anfangs noch voller Optimismus betrieben wurde, dürfte aus wahltaktischen Gründen vorerst nicht weiterverfolgt worden sein. Vor allem in der Beziehung mit Syrien gibt es zahlreiche Streitpunkte. Dazu gehört etwa die Rückgabe der von der Türkei besetzten syrischen Gebiete und die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat.

Erdoğan versucht es mit Wahlgeschenken

Erst die Verbesserung der Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Saudi-Arabien, die daraufhin seit 2021 Devisen in Milliardenhöhe in der Türkischen Zentralbank deponierten, führte tatsächlich zu einer verbesserten wirtschaftlichen Lage. Die enormen Schäden durch die Erdbeben machten die Hilfe durch die Geberländer für die Türkei zwingend notwendig. So sank auch die Inflation von 80 Prozent im Jahre 2022 auf 44 Prozent im Mai 2023. Doch auch durch die Energiekrise ist die Lira weiterhin im freien Fall. Es besteht akuter Devisenbedarf.

Erdoğan versucht die Probleme durch Wahlgeschenke zu vertuschen. Er erhöhte die Gehälter der Staatsbediensteten um 50 Prozent. Etwa zwei Millionen Türken dürfen vorzeitig in Rente gehen, wenn sie insgesamt 7.200 Tage gearbeitet haben. Damit ist praktisch das gesetzliche Rentenalter abgeschafft. Zusätzlich verkündete der AKP-Chef große Infrastrukturprojekte in der Industrie und im Energiesektor. Auch hier braucht es Hilfe von außen: Rußland und die VAE beteiligen sich mit Milliardeninvestitionen.

Unterdessen kämpfen Erdoğans Verbündete („Volksallianz“) ums Überleben. Ob die rechtsnationalistische MHP von Devlet Bahceli die für den Einzug ins Parlament notwendigen sieben Prozent erreicht, ist unklar. Der islamistischen YRP von Fatih Erbakan und der kurdisch-islamistischen Hüda Par werden keine realen Chancen eingeräumt.

Die Opposition wittert Morgenluft

Auf der anderen Seite gibt man sich angriffslustig: Die Republikanische Volkspartei (CHP) unter Führung des langjährigen Vorsitzenden Kemal Kilicdaroglu und die mit ihr verbündeten Parteien haben eine reale Chance, Erdoğan abzulösen. Das Wahlbündnis, auch Tisch der Sechs genannt, umfaßt unterschiedlichste Parteien – von gemäßigt islamischen Konservativen bis hin zu liberalen Kräften.

Die Hauptkraft des Bündnisses ist die CHP, die traditionell im städtischen Milieu ihre Anhängerschaft hat. In ihrem Wahlprogram versprechen CHP und Verbündete die Rückkehr zum ursprünglichen parlamentarischen System, die Bekämpfung der Korruption und Vetternwirtschaft sowie die Verbesserung der Lage der Lohnabhängigen.

Innenpolitisch strebt das Bündnis eine „demokratische“ Regelung der Kurdenfrage an. Für deutsche Beobachter überraschend: Die friedliche und erforderliche Rückführung der syrischen Flüchtlinge, ein in der türkischen Öffentlichkeit wichtiges und leidenschaftlich diskutiertes Thema, ist ebenfalls Teil des Wahlprogramms des Bündnisses. In der Außenpolitik strebt das Bündnis die Verbesserung der Beziehungen zu den USA und eine enge Zusammenarbeit mit der EU an.

Die HDP macht der CHP den Weg frei

Eines der spannenden Themen, die in der Vorwahl diskutiert werden, ist die Position der prokurdischen HDP. Die HDP verzichtete auf einen eigenen Kandidaten, rief aber nicht zum Boykott der Wahlen auf, wie sie es 2018 getan hat. Diese Entscheidung wird als eine indirekte Hilfe für Kilicdaroglu bewertet; zumal Erdoğan und die AKP nach den gescheiterten Gesprächen mit der PKK vor einer Dekade keinen Vorschlag für die Regelung der Kurdenfrage vorgelegt hat.

Tatsächlich zeigen die demoskopischen Agenturen eine sehr positive Haltung der Kurden gegenüber Kilicdaroglu, der aus der kurdischen Stadt Dersim stammt. Da bis jetzt die Prognosen von einem fast 50:50-Ergebnis der Stimmen für die jeweiligen Spitzenkandidaten zeigen, wird wahrscheinlich eine zweite Wahlrunde am 28. Mai unvermeidlich sein. Doch wird im Falle eines Wahlsieges der Opposition der Machtwechsel friedlich vonstatten gehen? Die meisten Beobachter sind tatsächlich optimistisch, daß Erdoğan die Entscheidung der Wähler akzeptieren wird.

JF 20/23 

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP) bangt um seine Präsidentschaft Foto: picture alliance / AA | Aytac Unal
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