ROM. Nach dem Rücktritt Mario Draghis als italienischer Ministerpräsident und dessen prompter Ablehnung durch Staatspräsident Sergio Mattarella steht nicht nur Italien vor einer ungewissen Zukunft, sondern auch die europäische Gemeinschaftswährung. Immerhin bildet das Land nach dem Austritt Großbritanniens die drittgrößte Volkswirtschaft der EU.
Als ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) genoß der parteilose Draghi Vertrauen bei ausländischen Investoren. Das wirkte sich positiv auf die wirtschaftliche Glaubwürdigkeit Italiens aus – obwohl das Land inzwischen mit 148 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verschuldet ist.
Damit ist es nun vorbei. Jetzt stehen wieder die Fakten und nicht die Psychologie im Vordergrund. Die aktuelle Regierungskrise des permanenten europäischen Sorgenkindes trifft die Europäische Union härter als vergleichbare Situationen in den Jahren zuvor. Immerhin ist soeben die dritte Regierung seit den Wahlen 2018 gescheitert.
Die linkspopulistischen „Fünf Sterne“ hatten sich geweigert, Draghi das Vertrauen auszusprechen. Die bei der vorigen Wahl zur stärksten Partei gewordene Protest-Bewegung stieg damit defacto aus der Koalition aus. Ohnehin hatte sie zuletzt zunehmend Stimmung gegen Regierungsentscheidungen gemacht.
Italien-Krise als Zunder im EU-Scheiterhaufen
Warum aber ist die Lage heute härter als bei vergangenen Regierungskrisen? Durch die Rußland-Sanktionen befindet sich die Europäische Union in einer massiven Energiekrise. Hinzu kommen eine Jahrhundert-Inflation, eine beispiellose Geldflutung durch die EZB, der Krieg in der Ukraine und der dramatische, unaufhaltsam erscheinende Wertverlust des Euros. Zuletzt war der Kurs auf unter einen US-Dollar gefallen.
Würde das ohnehin stets als Unsicherheitsfaktor geltende Italien nun in die Unregierbarkeit stürzen, wirkt das wie ein Streichholz in einem ausgetrockneten, über Jahre errichteten Scheiterhaufen. Staatpräsident Sergio Mattarella könnte sich nicht nur spontan, sondern hartnäckig weigern, Neuwahlen auszurufen und entweder einem anderen Politiker oder erneut Draghi den Auftrag zur Regierungsbildung geben.
Rechtsbündnis bei Neuwahlen Favorit
Da der 74jährige ausgeschlossen hat, wieder eine solche Aufgabe zu übernehmen, wären vorgezogene Wahlen, die ohnehin im kommenden Jahr anstehen, die ehrlichste Lösung. Doch dann würden wohl die rechten Fratelli d’Italia („Brüder Italiens“) stärkste Partei. In den aktuellen Umfragen liegen sie vor der sozialdemokratischen PD und der ebenfalls rechten Lega von Matteo Salvini. Gemeinsam mit Silvio Berlusconis Forza Italia könnte ein rechtskonservatives Bündnis die neue Regierung bilden.
Würde das nach Deutschland und Frankreich wichtigste Land in die Hände einer solchen Regierung fallen, wäre das der wahr gewordene Albtraum für die EU-Kommission. Neben Polen und Ungarn hätte sie sich mit einem dritten vom Mainstream abtrünnigen Land zu beschäftigen.
Mit welchen Maßnahmen Brüssel reagieren würde, ist ungewiß. Daß die Situation dem Euro jedoch wegen der internen Auseinandersetzungen im EU-Europa noch weniger Stabilität verleihen könnte, steht außer Zweifel. Die wichtigste Frage ist jedoch: Was passiert, bis überhaupt eine neue Regierung steht? (fh)