Der Brüsseler Politikbetrieb wird oft als unwesentlicher Nebenschauplatz behandelt – wenn nicht gerade EU-Parlamentswahlen anstehen oder es mal wieder einen Skandal gibt. Und doch lohnt sich manchmal ein europäischer Blick, auch um die Konturen des politischen Ist-Zustandes in den Nationalstaaten klarer zu erkennen. Dies gilt besonders jetzt, da im Lager rechts der Mitte einige Rochaden anstehen könnten.
Vergangene Woche ging die zwei Jahrzehnte alte Beziehung zwischen den Christdemokraten der Europäischen Volkspartei (EVP) und dem in Ungarn regierenden Fidesz zu Ende. Gekriselt hatte es schon länger. Die Scheidung deutete sich bereits Anfang 2019 an, als die EVP den Fidesz suspendiert hatte. Anfang März verließen dessen Abgeordneten die EVP-Fraktion im EU-Parlament, nun also der endgültige Bruch.
Fidesz-Chef Viktor Orbán stellte jedoch auch gleich eine mögliche neue Liierung in Aussicht: mit der italienischen Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und der polnischen PiS von Jaroslaw Kaczynski. Die „europäische Rechte“ solle „neu organisiert“ werden, kündigte der ungarische Ministerpräsident an. Ein Treffen mit Salvini und Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) sei in naher Zukunft geplant.
Orbán ist bei seiner Neuorganisation wählerisch
Allerdings gibt es da ein Problem: Während der Fidesz nun fraktionslos ist, gehören Lega und PiS unterschiedlichen Parlamentsgruppen an. Die Lega ist die größte Delegation der Fraktion Identität und Demokratie (ID), zu der auch die AfD und die FPÖ gehören. Die PiS verfügt über die meisten Abgeordneten in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), zu der die zuletzt in Italien erstarkten Fratelli d’Italia (FdI) gehören.
Orbán ist bei seiner Neuorganisation aber wählerisch. Während er sich mit der Lega und der PiS treffen will, macht er – zumindest zum aktuellen Stand – um den französischen Rassemblement National (RN) sowie AfD und FPÖ einen Bogen. Das paßt durchaus zum Selbstverständnis des Fidesz, der sich als konservative, christlich-demokratische Partei versteht, die über all die Jahre an ihren Werten festgehalten habe, während die EVP stark nach links abgedriftet sei.
Warum Orbáns Wahl als möglichen neuen Bündnispartner in Italien auf die Lega fiel, liegt nicht nur am guten Verhältnis zwischen ihm und Salvini (er bezeichnete letzteren 2019 als „Helden“). Auch die Lega versteht sich nicht als Haudraufpartei, die auf Fundamentalopposition setzt. Als der frühere EZB-Chef Mario Draghi vor wenigen Wochen mit der Regierungsbildung in Rom beauftragt wurde, sagte die Lega zu, während die FdI sich einer Mitarbeit in der Mehrparteienkoalition verweigerten.
Lega sorgt mit Draghi-Kabinett für Verwirrung
Bei manchem AfD-Funktionär sorgte das für große Verwirrung. Doch der Schritt kam nicht überraschend. Die Lega will regieren, das wollte sie schon immer. Ihren Ursprung hat sie in den wirtschaftsstarken oberitalienischen Regionen Piemont und Venetien. Ihr Ziel war es stets, den kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie den Selbständigen des Nordens im bürokratisch verfilzten Rom eine Stimme zu geben.
Bereits zwei Jahre nach ihrer Gründung 1991 stellte sie – damals noch als Lega Nord – mit Marco Formentini den Bürgermeister der Wirtschaftsmetropole Mailand. Das wäre ungefähr so, wie wenn die AfD ab 2015 München oder Hamburg regiert hätte. Schon 1994 war die Lega im Kabinett Berlusconi I mit mehreren Ministern vertreten.
Wie die JUNGE FREIHEIT aus Lega-Kreisen erfuhr, hatte es vor dem Fidesz-Austritt aus der EVP Gespräche zwischen der Lega und der CDU gegeben. Darin ging es um einen möglichen Beitritt der Lega in die Fraktion der Christdemokraten. Die Lega ist mit 27 Abgeordneten die größte italienische Partei im EU-Parlament. Doch in der ID-Fraktion fühlten sich einige Vertreter zu weit ab von Macht und Einfluß. Man wolle „nicht so isoliert sein wie die AfD in Deutschland“, hieß es. Kontaktmann zwischen CDU und Lega soll der sächsische Bundestagsabgeordnete Marian Wendt gewesen sein, der mit der JF allerdings nicht darüber sprechen wollte. Das Projekt Lega in der EVP dürfte derzeit ohnehin vom Tisch sein.
AfD und FPÖ wollen nicht außen vor gelassen werden
In der AfD macht sich unterdessen die Sorge breit, bei möglichen neuen Bündnissen außen vor gelassen zu werden. Vor zehn Tagen ging der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen in die Offensive. Der italienischen Nachrichtenagentur Ansa sagte er, die AfD wolle einer größeren Fraktion rund um Salvini und Orbán beitreten. „2018 hatte ich die Idee einer großen konservativen und patriotischen Fraktion und sprach darüber mit Lega-Chef Salvini.“ Nach dem Fidesz-Austritt aus der EVP sei die Zeit gekommen. „Eine geschlossene konservative Gruppe wäre die zweitstärkste Fraktion im EU-Parlament.“
Der stellvertretende Leiter der AfD-Delegation im EU-Parlament, Maximilian Krah, sagte der JF nun: „Eine geeinte Rechtsfraktion wäre die klar zweitstärkste Fraktion im Parlament. Das würde unsere Wirkmacht deutlich erhöhen. Wir sind daher sehr daran interessiert, daß es zustande kommt und die AfD dabei ist.“
Die Fraktionen in Brüssel und Straßburg seien „generell deutlich disparater als in den nationalen Parlamenten“, dennoch halte er das Maß an Übereinstimmung für ausreichend, es zu wagen. „Wir sollten die bestehenden Differenzen durchaus als Chance und Auftrag verstehen, uns programmatisch weiterzuentwickeln, und das auch mit Rücksicht auf die ganze europäische demokratische Rechte.“
Auch die FPÖ nimmt für sich in Anspruch, die Idee einer großen Mitte-Rechts-Fraktion auf EU-Ebene bereits seit Jahren zu forcieren. „Wir haben seit langer Zeit sehr gute Kontakte mit Viktor Orbán und Fidesz und wollen natürlich in den Gesprächen auch eine entsprechende Rolle einnehmen“, verdeutlichte der FPÖ-Delegationsleiter Harald Vilimsky gegenüber der JF.
„Für uns ist es vor allem wichtig, daß eine neue Fraktion möglichst stark wird. Man sollte hier von allen Seiten Vorurteile oder Skepsis gegenüber anderen patriotischen und konservativen Parteien zurückstellen und eine große Rechtsfraktion schaffen, die sich für die Souveränität, Freiheit und den Wohlstand der Staaten Europas einsetzt.“
Lega: „Wir arbeiten daran, eine Alternative zu schaffen“
Der Lega-Politiker und Vorsitzende der ID-Fraktion, Marco Zanni, sprach in einem Interview am Wochenende von den „Neuen Konservativen“. Auch der RN von Marine Le Pen sei dabei eine „wichtige Stütze“. Die Euphorie sei riesig. Doch wenn es um kalte Politik geht, müssen Gefühle zurückstecken. Eine neue Fraktion mitten in der Legislaturperiode aus der Taufe zu heben, ist kompliziert.
Noch komplizierter dürfte es sein, Parteien zusammenzubringen, die sich in Kernpunkten diametral gegenüberstehen. Während der Fidesz oder der RN Moskau eher zugewandt sind, orientiert sich die PiS streng an Washington. Die Lega schielte in der Vergangenheit zwar auch immer mal wieder nach Rußland, bekannte sich zuletzt aber deutlich zu Nato und USA. „Da ist viel großes Gerede dabei derzeit“, meint denn auch ein ID-Funktionär.
Auch Marco Zanni dämpft auf Nachfrage dieser Zeitung etwas die Erwartungen: „Das Projekt ist, wie bereits gesagt, immer noch in der embryonalen Phase: Es ist noch zu früh, um über Details zu sprechen.“ Das Ziel sei es jedoch, nicht exklusiv, sondern inklusiv zu sein. „Wir arbeiten daran, eine Alternative zur aktuellen Mehrheit im EU-Parlament zu schaffen, die seit Jahren zugunsten der linken Seite unausgeglichen ist.“
Die Lega spreche auch nicht nur mit dem Fidesz und der PiS, „sondern mit all jenen, die ein anderes Europa – und vor allem eine andere EU – wünschen, das anders als das derzeitige näher dran an den Bürgern und ihren Bedürfnissen ist“.
Es wird sicherlich nicht nur ein Treffen nötig sein, um ein neues Bündnis der Rechten in der EU zu schmieden. Ob und wie lange es dauern wird, bis aus dem Taktieren und Neusortieren etwas Spruchreifes entsteht, kann derzeit keiner der Beteiligten sagen. Ihr Kampf um mehr Schlagkraft in der EU hat gerade erst begonnen.