BRÜSSEL. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Einigung beim EU-Finanzgipfel als „wichtiges Signal“ gelobt. Sie sei sehr erleichtert, daß die EU nach schwierigen Verhandlungen gezeigt habe, daß es „doch gemeinsam handeln kann“, sagte Merkel am Dienstag morgen nach mehr als vier Tage dauernden Verhandlungen zwischen den 27 EU-Staats- und Regierungschefs.
Nach vier Tagen und Nächten sei es gut, „daß wir uns zum Schluß zusammengerauft haben“, ergänzte die Kanzlerin. Die EU habe gezeigt, sie sei in außergewöhnlichen Situationen auch zu außergewöhnlichen Antworten bereit. Klar sei jedoch auch, daß es nun mit dem EU-Parlament nochmal „sehr schwierige Diskussionen“ geben werde. Das EU-Parlament muß genauso wie alle 27 nationalen Parlamente auch dem Kompromiß zustimmen.
Das auf dem Gipfel beschlossene Finanzpaket umfaßt rund 1,8 Billionen Euro. 1.074 Milliarden davon fließen in das nächste siebenjährige Haushaltsbudget ab dem kommenden Jahr, 750 Milliarden in ein Konjunktur- und Investitionsprogramm gegen die Folgen der Corona-Krise.
Deal!
— Charles Michel (@eucopresident) July 21, 2020
Zwei Streitpunkte gelöst
Am späten Montag abend waren zwei der am stärksten diskutierten Punkte gelöst worden. Zum einen einigten sich die „Sparsamen“ – die Niederlange, Österreich, Dänemark, Schweden und Finnland – mit den anderen Staaten darauf, daß statt 500 nun 390 Milliarden Euro als Zuschüsse vergeben werden und die restlichen 360 Milliarden Euro des sogenannten Wiederaufbaufonds als Kredite ausgezahlt werden sollen.
Zum anderen wurden die Finanzhilfen an eine Rechtsstaatlichkeitspflicht gekoppelt. Zuvor hatten sich Ungarn und Polen strikt gegen einen solchen Mechanismus gewehrt. Die Einigung in dem Punkt war bis Dienstag früh unterschiedlich interpretiert worden. Wie die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf polnische Medien berichtete, hätten Warschauer Regierungskreise erklärt, die Koppelung sei praktisch gestrichen worden. Auch ungarische Medien werteten die Einigung als Sieg für Ministerpräsident Viktor Orbán. Dagegen interpretierten EU-Vertreter den Mechanismus als wirksamen Schutz für die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit.
Merkel handelte laut dpa in den Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen eine 500 Millionen Euro hohe Sonderzahlung für östliche Bundesländer heraus. Die Mittel sollen demnach aus dem EU-Strukturfonds für sogenannten Übergangsregionen kommen. Wie aus dem Kompromißpapier hervorgehe, sollen damit „Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung“ gefördert werden.
After four days of negotiations we were able to reach a good result for the #EU and #Austria on the #MFF and the #RecoveryInstrument. Thank you to all colleagues, especially to the #frugals! pic.twitter.com/HJsfbQJa01
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) July 21, 2020
Österreich erhält größeren Rabatt auf Zahlungen ins EU-Budget
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) setzte sich zusammen mit seinen Amtskollegen aus den Niederlande, Dänemark, Schweden und Finnland mit einer Forderung durch, die Rabatte auf die Einzahlungen in das EU-Budget zu erhöhen. Wie die österreichische Nachrichtenagentur APA meldet, vervierfacht sich der Rabatt für Wien von 137 auf 565 Millionen Euro. Die „Sparsamen“ hatten bereits seit Wochen immer wieder bekräftigt, jedes Land solle nicht mehr als ein Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in den Brüsseler Haushalt zahlen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (En Marche) würdigte die Einigung. Er schrieb Dienstag früh auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: „Historischer Tag für Europa!“ Macron hatte sich zusammen mit Merkel für den 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds eingesetzt.
Jour historique pour l’Europe !
— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) July 21, 2020
Weidel: „Vollendung der Schulden- und Transferunion“
Die AfD-Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, bezeichnete den Kompromiß hingegen als eine riesige Umverteilung. „‘Historisch’ ist an diesem Gipfel nur eines: Noch nie hat eine Regierungschefin so lange und hartnäckig darum gekämpft, die Steuergelder ihrer Bürger im ganz großen Stil an andere verschenken zu dürfen, wie Angela Merkel an Brüssel. Deutschlands Platz als größter Nettozahler wäre an der Seite der ‘Sparsamen’ gewesen. Merkels Projekt für die Ratspräsidentschaft ist dagegen die Vollendung der Schulden- und Transferunion.“
Auch wenn im Wiederaufbaufonds nun 390 statt 500 Milliarden Euro nicht rückzahlpflichtige Zuschüsse enthalten seien, ändere das nichts am Tabubruch. „Der ‘Wiederaufbaufonds’ ist der finale Sündenfall.“ Die EU nehme Schulden auf, „obwohl ihr keine eigene Staatlichkeit und Finanzhoheit zusteht, Deutschland haftet dafür, und das Geld wird an den Parlamenten und ihrem Haushaltsrecht vorbei verteilt“, betonte Weidel. „Das ist glatter Rechts- und Verfassungsbruch.“ (ls)