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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

Weißrußlands Freiheitsbewegung: Massendemonstrationen gegen einen immer einsamer werdenden Gewaltherrscher

Weißrußlands Freiheitsbewegung: Massendemonstrationen gegen einen immer einsamer werdenden Gewaltherrscher

Weißrußlands Freiheitsbewegung: Massendemonstrationen gegen einen immer einsamer werdenden Gewaltherrscher

Alexander Lukaschenka, Demonstranten in Minsk
Alexander Lukaschenka, Demonstranten in Minsk
Alexander Lukaschenka, Demonstranten in der Hauptstadt Minsk Fotos: picture alliance / AP Photo / APA/picturedesk.com / JF-Montage
Weißrußlands Freiheitsbewegung
 

Massendemonstrationen gegen einen immer einsamer werdenden Gewaltherrscher

Weißrußland erlebt am heutigen Sonntag die größten Massendemonstration seiner Geschichte. Es ist die größte Freiheitsbewegung, die Europa in den vergangenen Jahrzehnten gesehen hat. Die Demonstranten sind friedlich und besonnen, während es um Noch-Staatspräsident Alexander Lukaschenka in Rekordgeschwindigkeit sehr einsam wurde.
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Weißrußland erlebt am heutigen Sonntag die größten Massendemonstration seiner Geschichte. Das ganze Land ist auf den Beinen, es ist die größte Freiheitsbewegung, die Europa in den vergangenen Jahrzehnten gesehen hat. Ob in der Hauptstadt Minsk oder in Grodno, Mogilew, Witebsk, Baranowitschi, Schlobin, Bobruisk, Gomel, Mosyr, Polozk, Molodetschno, Orscha, Kobrin, Braslaw, Stolbzy, in Kleinstädtchen wie Wysokoe oder Iwazewitschi oder Wolozhin. Die Protestierer aller Regionen eint ein Ziel: der Rücktritt des abgewählten Präsidenten Alexander Lukaschenka und freie Wahlen.

Zur Stunde strömen in der Innenstadt von Minsk weit mehr als 100.000 Menschen zusammen. Zum ersten Mal seit 1994, dem Jahr, als Lukaschenka zur Macht kam, zeigt der staatliche Sender BT1 die Demonstranten. Sie fordern unter anderem die Freilassung Tausender politischer Gefangener und die Aburteilung der Verantwortlichen für die blutige Niederschlagung der friedlichen Demonstrationen in Minsk und anderen Städten vor einer Woche, für Folter an willkürlich Verhafteten.

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Die Demonstranten zeigen in Massen die historische weißrotweiße Landesfahne

Die Menschen gehen bei phantastischem Hochsommerwetter auf die Straße. Sie zeigen in Massen die historische weißrotweiße Landesfahne mit dem Wappen des Pahonja, eines berittenen schwertschwingenden Ritters, die Lukaschenka 1995, kaum daß er die Macht ergriffen hatte, wieder durch nur leicht abgewandelte Symbolik aus Sowjetzeiten ersetzen ließ. In der Altstadt von Grodno ruft eine unübersehbar große Menschenmenge „Lukaschenka geh weg!“, in Brest rollen Demonstranten eine mehr als hundert Meter lange weißrotweiße Fahne aus, desgleichen in Pinsk. In Orscha reitet eine Frau unter dem fröhlichen Johlen der Menge auf einem Pferd, die Fahne hochgestreckt.

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In Baranowitschi, in Nowopolozk, in Gomel und vielen weiteren Städten sind die Fahnen vor den Rathäusern bereits mit den historischen Flaggen bestückt. Aus Hunderten Autos tönt ein Lied des russischen Megarockstars der 80er Jahre, Frontmann der legendären Undergroundband „Kino“, Viktor Zoj: „Pjerjemjen!“, zu deutsch: „Veränderungen“. Dutzende kurze Videoclips, die über Telegram-Kanäle verbreitet werden und Demonstrationen in allen Regionen zeigen, sind mit diesem Stück unterlegt: „In unserem Lachen, in unseren Tränen und im Pulsieren unserer Venen – Veränderungen, wir warten auf Veränderungen!“ Es ist zur Hymne des nationalen Erwachens der Weißrussen geworden.

Jetzt gehen auch Menschen auf die Straße, die vorher apolitisch waren

Wohin man auch guckt – die bisher als apolitisch und konfliktscheu geltenden Bürger des neuneinhalb Millionen Einwohner zählenden Landes scheinen noch nie so vereint gewesen zu sein wie in diesen Tagen. Die blutige Niederschlagung der friedlichen Demonstrationen in Minsk und anderen Städten nach der gefälschten Präsidentenwahl vom vergangenen Sonntag hat auch Menschen auf die Straße getrieben, die sich vorher nicht für Politik interessiert haben – weil man ja scheinbar doch nichts machen konnte. So schien es bis vor kurzem.

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Jetzt rufen sie überall den Schlachtruf: „Wir glauben, wir können, wir werden siegen“, dazu immer und immer wieder: „Zhywje Belarus!“ – es lebe Weißrußland. Zum ersten Mal seit den neunziger Jahren streiken die Belegschaften von Dutzenden Betrieben im ganzen Land, schwerpunktmäßig in Minsk und Brest. Die Arbeiter des weltgrößten Kaliproduzenten Belaruskali in Soligorsk sind in den Ausstand getreten, die Angestellten des Minsker Traktorenwerks MTZ ebenso.

Nach und nach kommt das Ausmaß der Grausamkeiten ans Tageslicht

Erst nach und nach kommt das ganze Ausmaß der Grausamkeiten von Sonntag, Montag und Dienstag ans Tageslicht. Polizei und Sondereinheiten haben in den berüchtigten Durchgangsgefängnissen Akrestina in Minsk, Zhodino, Brest und anderen wahre Gewaltorgien unter den eingesperrten Demonstranten angerichtet. Die, die es überlebt haben, berichten von unaufhörlichen Schlägen mit Schlagstöcken, Knochenbrüchen an Armen und Beinen, ausgeschlagenen Zähnen, bewußtlos Geprügelten, tagelanges Stehenmüssen in vollgestopften Zellen ohne Essen und nur gelegentlich Wasser. Heimlich aufgenommene Fotos und Videos aus den Innenhöfen von Minsker Polizeistationen zeigten lebend wie übereinander gestapelt daliegende Verhaftete.

In Weißrußland erleben wir die Geburt einer Nation

Noch immer sind Tausende inhaftiert. Heute wurde in der südöstlich gelegenen Großstadt Gomel unter großer Anteilnahme der Bevölkerung ein junger Mann beerdigt: Alexander Wichor war am vergangenen Sonntag in der Stadt unterwegs, als er von der Polizei von der Straße weg verhaftet und im Schnellverfahren zu zehn Tagen Haft verurteilt wurde. Zwei Tage später starb er in Polizeigewahrsam, unter noch nicht aufgeklärten Umständen.

Eine besonnene Freiheitsbewegung

Um den abgewählten Noch-Staatspräsidenten ist es innerhalb einer Rekordgeschwindigkeit sehr einsam geworden. Mit Bussen und Sonderzügen ließ der Gewaltherrscher am Sonntag aus allen Landesteilen Soldaten in Zivil und Lehrkräfte aus den Schulen herbeibringen. Trotz Drohungen, Urlaubsgewährung und Einmalzahlungen waren es bedeutend weniger Bürger, zu denen Lukaschenka vor dem Sitz der Regierung dann sprach.

Sie versammelten sich unter der Lukaschenka-Flagge und – der roten Fahne der Kommunistischen Partei. Auch sinistre Warnungen vor dem Einmarsch russischer Truppen verfangen nicht. Die Demonstranten im ganzen Land skandieren weder antirussische noch prowestliche Losungen. Von der Besonnenheit der Freiheitsbewegung zeugt auch: Die allgegenwärtigen Lenin-Denkmäler werden nicht angerührt. Provokationen gegenüber Rußland kämen Lukaschenka sehr gelegen. Aber den Gefallen tut das Volk ihm nicht.

Alexander Lukaschenka, Demonstranten in der Hauptstadt Minsk Fotos: picture alliance / AP Photo / APA/picturedesk.com / JF-Montage
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