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Interviewband mit Matteo Salvini: Der gesunde Menschenverstand sitzt in Italiens Innenministerium

Interviewband mit Matteo Salvini: Der gesunde Menschenverstand sitzt in Italiens Innenministerium

Interviewband mit Matteo Salvini: Der gesunde Menschenverstand sitzt in Italiens Innenministerium

Matteo Salvini
Matteo Salvini
Der Interviewband „Io sono Matteo Salvini“ beleuchtet auch das „Phänomen Salvini“ und seine Popularität Foto: picture alliance/ZUMA Press
Interviewband mit Matteo Salvini
 

Der gesunde Menschenverstand sitzt in Italiens Innenministerium

Ein Interviewband mit Italiens Innenminister Matteo Salvini (Lega) gibt einen tieferen Einblick in sein Leben, seine Politik und Ideen. Aber auch seine Kritiker und Weggefährten kommen zu Wort. Im Spätsommer soll das Buch auch in deutscher Sprache bereit liegen. Eine Rezension von Wulf D. Wagner.
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Bis Rom mußte ich fahren, um in dem winzigen Buchladen „La Testa di Ferro“, in einer Gasse nahe der berühmten Santa Maria Maggiore, das Buch zu ergattern. In Palermo war es in den Buchhandelsketten La Feltrinelli wie Mondadori nicht vorhanden, und auch in Rom fand ich es in diesen nicht. Greta Thunbergs oder Madeleine Albrights Bücher stapeln sich, aber „Io sono Matteo Salvini“, der Interviewband mit dem Innenminister Italiens, liegt in den großen Buchhandlungen des Landes nicht aus.

Nicht daß er schon vergriffen wäre, nein, die dritte Auflage ist gerade gedruckt. Doch das Buch wird seit der Internationalen Buchmesse in Turin Anfang Mai 2019 boykottiert, denn es ist nicht etwa in einem der großen Verlage erschienen, sondern bei der 2018 gegründeten Edition Altaforte. Diese aber steht der Bewegung Casa Pound nahe. An jenem Wochenende im Mai wollte man mit einem bereits beachtlichen Programm und dem druckfrischen Band „des meist diskutierten Mannes Europas“ erstmals auf der Messe vertreten sein. Doch dann bekam auch Italien seinen Buchmesseskandal, Widerstand regte sich, es kam zur Ausschließung.

Salvini faßte sich kurz: Er distanzierte sich weder vom Verlag noch von der mit ihm befreundeten Autorin, Chiara Giannini, die als Expertin für Terrorismus und Migration gilt und dazu im gleichen Verlag veröffentlichte. Die italienischen Medien berichteten ausführlich, von Zensur wurde gesprochen und schließlich beim Anblick des gut platzierten Standes der Vereinigten Arabischen Emirate die Heuchelei der Messeleitung und der „Antifaschisten“ offenbar.

Von Europa und erster Liebe

Die Journalistin Giannini verbindet ihre hundert Fragen und Salvinis Antworten mit acht Kapitel. Für diese führte sie kurze Interviews mit Passanten, mit Freunden oder Kollegen Salvinis. Sie fängt Stimmungen an jenen Orten ein, die das ganze Ausmaß an Verelendung und Kriminalität sowie der illegalen Einwanderung zeigen. Der Band besteht aus Momentaufnahmen, fast wahllos erscheinenden Beispielen und Zitaten; keine Doktorarbeit mit Belegen, sondern auch Skizzen wie „Was Europa erwartet“.

Die Fragen berühren die wichtigsten Themen zur Politik, zu Europa, doch politische Theorie braucht es nicht. Hier etwas zu Jugend und erster Liebe, dort zu politischen Werten und Hoffnungen, hier die Zeile eines beliebten Popsongs, dort der Hinweis auf eine Filmkomödie; ein für eine breite Leserschaft geschriebenes, auch unterhaltsames Buch.

Cover des Interviewbandes Foto: Wulf D. Wagner

In zweierlei Hinsicht ist der Band gerade für Deutschland von erheblicher Bedeutung. Zum einen war die Berichterstattung der Presse zu Italien seit der Regierungsbildung 2018 ein Paradebeispiel für Langeweile, Vereinfachung und Verschweigen. Der Band räumt damit auf, in ihm erklärt Salvini selbst seine Politik knapp und verständlich, und in ihm erfährt man dann auch in Deutschland mehr über das Ausmaß der Begeisterung für Salvini sowie das der Ablehnung einer linken „Elite“.

Salvini ist nicht rechts

Angesichts der Endlosschleifen der Mainstreampresse zeigt sich, von welcher auch intellektuellen Bedeutung die alternativen Medien und Verlage sind, etwa bei der Deutung des „Phänomens Salvini“, Titel eines der Kapitel. Tatsächlich analysieren konservative und rechte Kreise Italiens Salvini und seine Partei Lega sehr genau. Salvini – so sagen sie – ist nicht rechts, kaum ist er wirklich national, auch wenn Spruchbänder wie „Prima gli italiani“ verwandt werden. Da wird sich der deutsche Leser wundern; fühlt sich nicht sogar die F.A.Z. oft bemüßigt, von der „rechtsnationalistischen“ Lega zu sprechen?

Im Gegensatz dazu überschrieb im Juliheft der Monatszeitschrift Il primato nazionale – aus demselben Verlag – Davide Di Stefano einen Artikel mit „Weder Populismus noch Souveränismus, nennen wir die Politik Salvinis Normalismus“. Er greift damit einen Hauptgedanken des Buches auf.

Salvinis Erfolg beruht darauf, daß er mit seiner Politik nicht weiter als bis zu dem geht, was er selbst und ein Großteil der Bevölkerungen aller Länder als „buon senso“ oder gesunden Menschenverstand bezeichnen und vom Staat erwarten. Er steht für nicht mehr und nicht weniger als – wie er selbst an zahlreichen Stellen im Interview hervorhebt – das Konkrete, das Normale, Ordnung, die Einhaltung der Gesetze. Er will seinem Land „etwas mehr Regeln, Gerechtigkeit und Wohlstand“ garantieren. Der Band zeigt, wie es genau aufgrund dieser Haltung gelungen ist, den Stimmenanteil für die Lega von Wahl zu Wahl zu steigern.

Drei Beispiele verdeutlichen Salvinis „Normalität“

Er steht für die natürliche Familie, für Mutter und Vater, und, ohne sich in Fragen der Genderpolitik zu vertiefen, spricht er sich gegen „Elternteil 1 und 2“ aus. Wer das nicht normal findet, wer „Elternteil 1 und 2“ fordert, sollte zum Selbstversuch etwa durch die „bunte“ Turmstraße in Berlin-Moabit gehen und herumfragen. Vermutlich wird er niemandem begegnen, der überhaupt versteht, warum es nicht mehr Mutter und Vater heißen soll.

Oder Salvinis Gesetze zur Selbstverteidigung in den eigenen vier Wänden. Auch hier wird man – außer einigen „Progressiven“, die meinen, auch Vergewaltigungen seien eine „Erfahrung“ – unter „normalen Leuten“ niemanden finden, der auf der Seite der Täter steht oder akzeptiert, daß die Rechtsprechung oft jene und nicht die Opfer zu schützen scheint. Salvini stellt sich immer wieder auf die Seite der Opfer und gegen jede Verharmlosung von Kriminellen. Er ist stolz – wie mehrfach im Buch beschrieben – auf Polizei, Feuerwehr und Armee. Ordnung und Gesetz.

Immer noch kommen illegale Einwanderer in Palermo an Foto: picture alliance/ZUMA Press

Und schließlich auch das Hauptthema: Salvinis Kampf gegen die illegale Einwanderung. Europa kann nicht ganz Afrika aufnehmen, ohne daran zugrunde zu gehen. Geschlossene Häfen heißt – nachweisbar – weniger Tote im Mittelmeer. Außer in einigen Kreisen, die selbst bisher kaum von den Folgen der Einwanderung betroffen sind, gibt es auf der Welt kein Land, das seine Grenzen nicht schützen oder Schiffen von Nichtregierungsorganisationen erlauben würde, als vermeintliche Menschenretter Tausende fremder Menschen, zumeist Männer, ins Land zu schaffen. Auch einer der heftigsten Gegner Salvinis, der Bürgermeister Palermos, Leonluca Orlando, der seinen Hafen für ganz Afrika offen halten möchte, hat keine Lösungen. Es genügt ein einfacher Gang durch seine Stadt mit ihren unzähligen Problemen, und man sieht, daß „Häfen auf!“ keine Antwort ist; dem gesunden Menschenverstand widerspricht.

Auch die Gegner kommen zu Wort

Der Band wird zum anderen für all jene von Bedeutung sein, die Alternativen zur derzeitigen Politik suchen oder bereits gehen. Er ist ein Lehrbuch. Damit wird auch verständlich, warum Salvini sein Buch in einem Verlag der jungen Rechten drucken ließ. Es scheint, als ermahne er diese engagierte Generation. Bevor sie mit ihren großen Ideen kommt, mit der Nation, dem Souveränismus, oder bei den schon vor Jahrzehnten besiegten Ideologien verharrt – hier spricht er auch zur Linken –, muß sie beim „konkreten Leben“ anfangen, bei dem, was in den Gemeinden wichtig ist, vom Fahrradweg bis zur Schulrenovierung, all den „langweiligen“ Dingen, den Fakten, die aber das tägliche Leben der Bürger tatsächlich betreffen.

Gerade wegen dieses „Konkreten“ ist es ein wichtiges Buch für all jene, die die großen Herausforderungen, vor denen Europa steht, angehen wollen. Denn in einem der längsten Kapitel wird erkennbar, daß die „Normalität“ von einer einflußreichen Minderheit, die in Italien radical chic genannt wird und die bei uns nicht nur den Grünen zuzurechnen ist, angegriffen wird. Giannini stellt uns diese Gegner ausführlich, teils anhand drastischer Zitate derer vor, die auf Facebook oder Twitter Salvini mit Hass überziehen, und bringt auch seine oft amüsanten Antworten. Manch einer, der in Deutschland der Aggression durch die staatlich finanzierte Antifa ausgesetzt ist, wird sehen, daß es in Italien nicht anders ist. Das Innenministerium verzeichnet hunderte Delikte gegen Parteibüros der Lega.

Doch die Umfragen beweisen, daß jeder Angriff auch von außerhalb Italiens gegen den „buon senso“ von der Bevölkerung sogleich mit einem Anstieg der Zustimmung für Salvini beantwortet wird. Di Stefano – und im Interview sagt es Salvini mit Bedauern – hat vermutlich recht: Die Linke mit ihrer abgehobenen, nur noch moralisierenden Arroganz findet in Italien keinen Fuß mehr, sie hat keine wirklichen Lösungen anzubieten, somit „kann es als sicher gelten, daß, sollte es zu einem Niedergang Salvinis kommen, der Verdienst mit Sicherheit nicht seinen Feinden zuzuschreiben sein wird.“

Damit deutet Di Stefano an, daß es durchaus dazu kommen kann, daß Salvinis „Hier und Jetzt“ zumindest einem Teil der Bevölkerung nicht allein genügen könnte? Rechts von Salvini klettern bereits die Prozentzahlen für die von der dynamischen Giorgia Meloni geführten Fratelli d’Italia – Salvini zollt ihr in Antwort 25 seine Anerkennung. Die Entwicklungen in Italien bleiben spannend. Wer sie verstehen will, kommt an diesem Band nicht vorbei.

Rom ist immer eine Reise wert, auch zum Buchkauf; ansonsten muß man sich noch etwas gedulden. Manuscriptum hat die Übersetzung für September angekündigt, mit einem Vorwort des JF-Autors Eberhard Straub.

Der Interviewband „Io sono Matteo Salvini“ beleuchtet auch das „Phänomen Salvini“ und seine Popularität Foto: picture alliance/ZUMA Press
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