Für viele Amerikaner muß es eine Zeitreise in die 90er Jahre gewesen sein. Damals starteten die Demokraten im Senat eine Hexenjagd gegen den von George Bush senior ernannten Richterkandidaten Clarence Thomas. Eine Frau namens Anita Hill trat damals auf und beschuldigte den späteren zweiten schwarzen Richter in der Geschichte an Amerikas Oberstem Gericht der sexuellen Belästigung.
Ohne die obligatorische Empfehlung des Justizausschusses des Senats stellte sich Thomas damals dem Plenum und wurde mit hauchdünner Mehrheit von 52 zu 48 Stimmen bestätigt – eine derart knappe Entscheidung bei Richterernennungen war damals noch eine Seltenheit.
Kavanaugh war nach eigenen Angaben noch Jungfrau
Thomas nannte die Anhörung zu Hills Vorwürfen im Senat damals eine „nationale Schande“. Ähnlich emotional verteidigte sich auch der von Präsident Donald Trump ernannte Richterkandidat Brett Kavanaugh. Mit Tränen und Wut reagierte er auf die Vorwürfe der 51 Jahre alten Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford.
Kavanaugh soll als Jugendlicher versucht haben, Ford auf einer Feier zu vergewaltigen. Weder erinnerte sich Ford an das genaue Jahr des angeblichen Übergriffs noch an sonstige wichtige Details, etwa, wer sie nach der fraglichen Party nach Hause gefahren habe. Ach ja, und an den genauen Ort des Vergewaltigungsversuchs konnte sie sich auch nicht erinnern.
Angesichts der Erinnerungslücken Fords, der langen Zeitspanne zwischen angeblicher Tat und dem Öffentlichmachen der Vorwürfe sowie der Tatsache, daß keine Zeugen den Übergriff bestätigen konnten, wirkten die Anschuldigungen wie eine durchorchestrierte Kampagne der Demokraten, um kurz vor den Zwischenwahlen im November ihre Basis zu mobilisieren. Zurück blieb die zerstörte Reputation eines Mannes, der glaubte, in einem gemeinsamen Interview mit seiner Frau der Nation versichern zu müssen, zum damaligen Zeit noch Jungfrau gewesen zu sein.
Nicht immer urteilen Richter ideologisch zuverlässig
Am Ende ging die Taktik der Demokraten wie schon bei Thomas nicht auf. Am Samstag wurde Kavanaugh mit 50 zu 48 Stimmen vom Senat bestätigt und kurz darauf vereidigt. Mit Joe Manchin stimmte nur ein demokratischer Senator für ihn. Thomas erhielt seinerzeit immerhin die Stimmen von elf Demokraten.
Nach Neil Gorsuch ist Kavanaugh bereits die zweite Richterernennung, die Trump in den Schoß fiel. Viele sehen mit Kavanaughs Berufung eine konservative Gerichtsmehrheit auf Jahrzehnte hinaus gesichert. Zu diesem Enthusiasmus besteht aber kein Anlaß. Bei manchen Richtern stellt sich erst nach einiger Zeit heraus, daß sie in Wirklichkeit alles andere als eine originalistische Auslegung der Verfassung favorisieren.
Der ebenfalls von Bush senior ernannte Richter David Souter erwies sich als solider Unterstützer seiner von demokratischen Präsidenten ernannten linksliberalen Kollegen am Gericht. Der von George Bush junior ernannte Richter John Roberts winkte zusammen mit den vier linksliberalen Richtern die Gesundheitsreform „Obamacare“ durch.
Ein Konservativer geht für einen Konservativen
Wer einen Paradigmenwechsel am Gericht herbeiredet, sollte überdies nicht vergessen, daß auch Kavanaughs Vorgänger Anthony Kennedy von einem republikanischen Präsidenten (Ronald Reagan) ernannt wurde und in über 70 Prozent der Fälle mit seinen vier konservativen Kollegen stimmte. Lediglich bei Themen wie Homo-Ehe oder Abtreibung neigte er dem linksliberalen Teil des Gerichts zu.
Zudem gibt es auch bei Kavanaugh rote Warnlichter, die Konservativen zu denken geben müssen. In 93 Prozent der Fälle stimmte er am Berufungsgericht in Washington D.C. mit dem von Barack Obama im letzten Jahr seiner Amtszeit als Obersten Richter vorgeschlagenen Merrick Garland. Senatorin Susan Collins aus Maine, die bis zuletzt als unsichere Kantonistin bei der Bestätigung Kavanaughs galt, votierte nur für den Intimus von Ex-Präsident Bush, nachdem sie von dem 53jährigen die Zusicherung erhalten haben will, daß dieser das wegweisende Urteil zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts, „Roe vs Wade“, nicht antastet. Erst nach ein paar Jahren kann ein realistisches Fazit gezogen werden, ob die auf dem Papier gleichbleibende Balance zwischen von Republikanern und Demokraten ernannten Richtern durch die Berufung Kavanaughs leicht gekippt ist.
Trotz des wochenlangen Zirkus um Kavanaugh könnte der Höhepunkt der Schäbigkeiten im Nominierungsprozeß noch nicht erreicht sein. Die beiden linksliberalen Richter Ruth Bader Ginsburg (85 Jahre) und Stephen Breyer (80 Jahre) könnten bald ebenfalls abtreten. Sollte dann Trump die Gelegenheit erhalten, einen dritten Richter zu nominieren, würde die Balance tatsächlich zugunsten der Konservativen kippen.
Barretts Vorteil: Sie ist eine Frau
Man darf nach den Erfahrungen der Kavanaugh-Nominierung gespannt sein, was die Demokraten in einem solchen Fall aufzubieten bereit wären. Vielleicht täte sich Trump einen Gefallen damit, einfach eine Frau zu nominieren. Richterin Amy Coney Barrett, die zwischenzeitlich für die Nachfolge des zurückgetretenen Anthony Kennedy im Gespräch war, gilt – noch weit mehr als Kavanaugh – als Darling der Rechten. Die siebenfache Mutter hätte zudem in Zeiten von #metoo einen unschätzbaren Vorteil gegenüber männlichen Kollegen: Sie der sexuellen Belästigung zu bezichtigen, dürfte sich als schwierig erweisen. Und die Demokraten müßten sich eine neue Verhinderungsstrategie ausdenken.