Von den Medien weitgehend unbeachtet findet hinter den Kulissen ein zähes Tauziehen um die Nachfolge des UN-Generalsekretärs statt. Nach zwei Amtszeiten von je fünf Jahren scheidet der Südkoreaner Ban Ki-moon zum 31. Dezember aus. Eine dritte Amtszeit ist nicht üblich. Überhaupt ist die Besetzung des Spitzenpostens der Weltorganisation von einer Vielzahl ungeschriebener Regeln geprägt. Festgeschrieben ist lediglich, daß der Kandidat von den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats (China, Frankreich, Großbritannien, Rußland, USA) vorgeschlagen und durch die UN-Generalversammlung bestimmt wird.
Traditionell erfolgt die Kandidatenauswahl in regionaler Rotation. Der Kandidat – oder die Kandidatin – für 2017 sollte demnach aus dem osteuropäischen Länderkreis stammen, also den Ländern des ehemaligen Warschauer Pakts und der Ex-UdSSR ohne Zentralasien. Alternativ kann es zu einer Kandidatur der nicht-europäischen westlichen Länder Kanada, Australien oder Neuseeland kommen. Usus ist in jedem Fall, dass die Mitglieder des Sicherheitsrats, um ihre Machtfülle nicht noch zu steigern, auf eigene Kandidaten verzichten.
Noch nie stand eine Frau an der Spitze
Warum eine Kandidatin? Noch nie stand eine Frau an der Spitze der UN, was vor allem in den USA zu der Forderung führte, diesen Zustand 2017 definitiv zu beenden. Namen ernsthafter Prätendentinnen gibt es genug. Als besonders aussichtsreich gelten zwei Bulgarinnen: die seit 2009 amtierende UNESCO-Generalsekretärin Irina Bokowa (64) und die für Haushalt und Personal zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission Kristalina Georgiewa (63). Bokowa wurde inzwischen von der bulgarischen Regierung offiziell nominiert.
Möglich ist aber auch, daß der neue westlich-russische Konflikt die Träume der Bulgaren zunichte macht. Falls der Sicherheitsrat sich nicht auf eine Osteuropäerin einigt, stünde beispielsweise die frühere neuseeländische Premierministerin Helen Clark (66) zur Verfügung, die seit 2009 dem UN-Entwicklungsprogramms vorsteht und damit das dritthöchste Amt der Vereinten Nationen bekleidet.
Kanzlerin macht bei Geschacher mit
In der Tat ist Irina Bokowa alles andere als gesetzt. Ihr ursprünglicher Ruf als USA-freundliche Diplomatin kehrte sich 2011 ins Gegenteil, als sie die palästinensische Autonomiebehörde zum UNESCO-Mitglied ernannte. Seither verweigert Washington die Zahlung der UNESCO-Beiträge – immerhin 22 Prozent des gesamten Budgets. Inzwischen gilt sie als bevorzugte Kandidatin der Russen, was ihr allerdings auch nichts nützt, da letztlich der Westen, sprich die USA, ihre Kandidatur unterstützen muß.
Nach Einschätzung der Russen macht auch die deutsche Bundeskanzlerin bei dem Geschacher mit. Die Moskauer Außenamtssprecherin Maria Sacharowa sprach am Wochenende davon, Angela Merkel habe beim G20-Gipfel in China um russische Unterstützung bei dem Versuch geworben, Sofia zur Rücknahme von Bokowas Nominierung zu bewegen und auf Kristalina Georgiewa festzulegen. Der Kanzlerin, so mutmaßt man in Moskau, sei Bokowa schlicht zu rußlandfreundlich. Zur russischen Reaktion auf solche Avancen sagte Sacharowa, Merkel sei „klar und eindeutig“ dargelegt worden, daß es sich dabei um eine souveräne Entscheidung der bulgarischen Regierung handele.
Bislang keine Korruptionsvorwürfe
Versuche, direkt oder indirekt Einfluß auf solche Entscheidungen zu nehmen, seien nicht akzeptabel. Von Georgiewa heißt es, sie sei die vom gegenwärtigen Amtsinhaber Ban Ki-moon präferierte Nachfolgerin. Erst kürzlich hat Ban sie an die Spitze einer Kommission zur Finanzierung humanitärer Hilfe gesetzt. Zu Georgiewas Trümpfen dürfte auch zählen, daß sie in ihrer Karriere bislang nie mit Korruptionsvorwürfen zu tun hatte. Anfang des Jahres berichtete ein investigatives bulgarisches Internet-Portal, Irina Bokowa und ihr Ehemann besäßen ausländische Immobilien im Wert von 4 Millionen US-Dollar.
Allein anhand der Einkünfte des Paares sei eine derartige Anschaffung nicht zu erklären. Noch ist also völlig offen, auf wen die Sicherheitsrats-Mitglieder sich letztlich einigen. Gut möglich ist, daß es am Ende weder ein Osteuropäer noch eine Kandidatin sein wird.