JERUSALEM. Nach der Parlamentswahl in Israel zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab. Zwar wurde die von Netanyahu geführte Liste Likud-Beiteinu mit Abstand stärkste Kraft (31 Mandate), jedoch reicht es wegen starker Verluste zusammen mit Naftalis Bennetts rechtem „Jüdischen Haus“ und zwei ultraorthodoxen Parteien nach Auszählung aller Stimmen nur zu einer knappen Mehrheit von 61 Mandaten in der traditionell aus 120 Abgeordneten bestehenden Knesset. Nach Auszählung von 99,8 Prozent der Stimmen lag der rechtsnationale Block am Mittwoch sogar nur bei 60 Mandaten. Damit wären der rechtsnationale und der Mitte-Links Block mit jeweils 60 Mandaten gleich stark gewesen.
Zum großen Wahlgewinner wurde der frühere TV-Moderator Yair Lapid. Mit seiner Liste Yesh Atid („Es gibt eine Zukunft“) erreichte er 19 Mandate und den zweiten Platz hinter Netanyahu. Im Wahlkampf hatte sich Lapid besonders für bezahlbare Wohnungsmieten und die Begrenzung von Lebensmittelpreisen ausgesprochen sowie eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen mit den Palästinensern verlangt.
Enttäuschung bei der Arbeitspartei
Enttäuscht zeigte sich die Arbeitspartei über ihr Abschneiden. Die Partei des ermordeten Ex-Premierministers Yitzhak Rabin kam nur auf 15 Mandate. Auch die frühere Außenministerin Tzipi Livni konnte mit ihrer erst kurz vor der Wahl gegründeten Partei Hatnua („Die Bewegung“) ihre eigenen Erwartungen nicht erfüllen. Sie gewann sechs Mandate. Die vom ehemaligen Premierminister Ariel Scharon 2005 gegründete Kadima-Partei, die bisher stärkste Kraft in der Knesset war, fiel von 28 auf zwei Mandate und schaffte es nur knapp, die Zwei-Prozent-Sperrklausel zu überwinden.
Netanyahu könnte somit rein rechnerisch auch weiterhin mit einer rechtsnationalen Koalition regieren. Wahrscheinlicher scheint Beobachtern derzeit jedoch eine Koalition aus Likud, Lapids Yesh Atid und Bennetts „Jüdischem Haus“, die Netanyahu, um sich eine stabile Mehrheit zu sichern, vermutlich um eine weitere Partei ergänzt. Dies könnte entweder Livnis Tnua-Partei oder die gemäßigt ultraorthodoxe Yahadut Ha Thora sein.
„Nur nicht Schas“
Lapid hatte zuvor ausgeschlossen in einer Koalition mit der ultraorthodoxen Schas zu sitzen. Auch von Tzipi Livni wird erwartet, daß sie eine Koalition mit Schas ablehnt. Selbst von der Likud-Basis kommt in dieser Frage Gegenwind: „Nur nicht Schas“, unterbrachen seine Anhänger Netanyahu während seiner Siegesrede Dienstagnacht.
Eine Zusammenarbeit von Bennet mit Lapid und Livni birgt ebenfalls Konfliktpotential, da Bennett im Wahlkampf die Schaffung eines Palästinenserstaates kategorisch ausgeschlossen hatte. Sollte in Israel erstmals seit über 25 Jahren eine Koalition ohne ultraorthodoxe Beteiligung gebildet werden, könnte dies Einschnitte bei der Privilegierung dieser Gruppe bedeuten. Zwar werden Ultraorthodoxe mittlerweile formell aufgefordert, Militärdienst zu leisten, in der Praxis wird eine Rekrutierung jedoch nie durchgesetzt. Mittel für Jeschiva-Schulen der Ultraorthodoxen könnten ebenso gekürzt werden.
Baldige Neuwahlen möglich
In der Wahlnacht kündigte Netanyahu an, eine breite Koalition mit einer soliden Mehrheit anzustreben: „Der Wahlkampf liegt hinter uns, die Herausforderungen vor uns. Wir müssen jetzt zusammenarbeiten und werden eine breite Koalition bilden“, sagte Netanyahu. Sollte die Bildung einer stabilen Regierung scheitern, könnte es schon bald zu Neuwahlen kommen. (tb)