ANKARA. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat den Demonstranten mit einem noch härteren Vorgehen gedroht. „Diese Proteste grenzen an Illegalität und müssen sofort aufhören“, sagte er nach seiner Rückkehr von einer viertägigen Reise durch die islamische Welt. Die Demonstrationen hätten ihre demokratische Berechtigung verloren und seien reiner Vandalismus, sagte er vor rund zehntausend regierungstreuen Anhängern auf dem Flughafen Atatürk in Istanbul. Er dankte der Polizei. Diese sei ein „Bollwerk gegen Terroristen, Anarchisten und Vandalen“.
Bereits am Donnerstag hatte Erdogan jegliche Kompromisse abgelehnt. Das Bauvorhaben im Gezi-Park, an dem sich die Proteste zuerst entzündet hatten, werde unverändert fortgesetzt. Die Demonstranten seien von terroristischen Gruppen aus dem Ausland gelenkt. Sie beschädigten Gehwege und müßen sich für die Schäden verantworten. „Wir würden für dich sterben, Erdogan“, jubelten ihm seine Anhänger auf dem Flughafen zu: „Laßt uns sie alle zerquetschen“ und „Schlafe nicht, Istanbul, verteidige deinen Führer”.
Verhaltene Kritik auch aus der Regierungspartei
Derweil gehen die Proteste gegen Erdogans autoritären Führungsstil und einer Islamisierung der türkischen Gesellschaft unvermindert weiter. Gestern versammelten sich wieder zehntausende Demonstranten auf dem Taksim-Platz in Istanbul. Auch innerhalb der regierenden AKP stößt die uneinsichtige Haltung des Ministerpräsidenten indirekt auf Kritik. Staatspräsident Abdullah Gül, dem eine parteiinterne Rivalität mit Erdogan nachgesagt wird, kündigte an, die „juristische und polizeiliche Aufarbeitung“ der Prozesse genau zu beobachten.
In Izmir waren 33 Protestler wegen „Aufruf von Gewalt und Verbreitung von Propaganda“ auf dem Netzdienst Twitter festgenommen worden. „In diesem Prozeß muß jeder besonnen und verantwortungsvoll handeln“, sagte das Staatsoberhaupt laut dem Vorsitzenden der Antwaltskammer, Metin Feyzioglu. „Ich werde keine Hexenjagd über Twitter erlauben.“ Die Angeklagten hatten den Behörden Material übergeben, welche die Ausschreitungen der Polizei gegen die Demonstranten dokumentierten.
Feyzioglu ergänzte gegenüber Hürriyet dailynews: „Es ist sehr besorgniserregend, wenn das Kommunikationsmittel des 21. Jahrhunderts als ‘Bedrohung’ bezeichnet wird.“ Erdogan hatte zuvor den Sozialen Netzwerken eine Teilschuld für die Proteste gegeben und sie als eine „gesellschaftliche Bedrohung“ bezeichnet. Nach offiziellen Angaben sind bei den Protesten bisher drei Menschen ums Leben gekommen. Ein Demonstrant wurde getötet, als ein Auto ungebremst in die Menge fuhr, ein weiterer starb durch Schüsse. Ein Polizist kam bei dem Versuch um, einen flüchtenden Demonstranten über eine ungesicherte Brücke zu verfolgen. (FA)