Die Ukraine wird Europa besser machen“ – so klang es am vergangenen Sonntag aus dem Mund des US-Senators John McCain, der eigens nach Kiew gekommen war, um die oppositionellen Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz in ihrer Ablehnung des prorussischen Regierungskurses zu bestärken.
Entsprechend vermutete der russische Außenminister Sergej Lawrow, daß die Situation in der Ukraine „koordiniert und von langer Hand vorbereitet“ sei. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des russischen Parlaments, Alexej Puschkow, unterstellte, daß sich in Westeuropa die Vertreter eines harten Kurses durchgesetzt hätten: „Die EU betrachtet den ukrainischen Präsidenten Janukowitsch jetzt offen als politischen Gegner.“
Wie immer das Tauziehen um die Ukraine ausgeht, die Schaukelpolitik zwischen Rußland und dem Westen, die Kiew seit der Unabhängigkeit 1991 verfolgt, ist gescheitert. Zu widersprüchlich sind die Interessen und zu gespalten die Loyalitäten in dem zusammengestückelten Land, dessen Osten jahrhundertelang zum Russischen Imperium gehörte, während der äußerste Westen – das alte Galizien mit seiner ursprünglich polnisch-jüdisch-ukrainischen Mischbevölkerung – der Ukraine erst 1945 zugeschlagen wurde. Die Halbinsel Krim wurde überhaupt erst 1954 Teil der damaligen Sowjetrepublik. Noch gar nicht erwähnt sind dabei die konfessionellen Gräben, die das Land ebenfalls entlang des Dnjepr trennen.
Stellvertreterkrieg auf allen Ebenen
Ein wesentlicher Grund, weshalb den Ukrainern eine ruhige und besonnene Bestimmung der eigenen Zukunft derzeit unmöglich gemacht wird, ist die Rolle als Zankapfel im neuen Kalten Krieg zwischen Rußland und dem Westen. Für Nato und EU wäre die Ukraine der Schlußstein ihrer antirussischen Eindämmungsstrategie – für Rußland hingegen die Bestätigung, als eurasischer Hegemon eine Generation nach dem Ende der Sowjetunion wieder auf gesunden Füßen zu stehen. Ein Großteil der ukrainischen Politiker und Parteien, die in Kiew um die Macht ringen, sind de facto Stellvertreter der westlichen Strategen auf der einen Seite und der russischen auf der anderen.
Zwei Oppositionsparteien geben sich den Anschein, Positionen des westeuropäischen Mainstreams zu vertreten: die Vaterlandspartei der schillernden Julia Timoschenko und UDAR, die Partei des Boxprofis Vitali Klitschko, der im übrigen politisch ein noch unbeschriebenes Blatt darstellt. Mit den Worten des britischen Ukraine-Experten James Sherr von der „Denkfabrik“ Chatham House: „Er hat viele Parolen, aber keine klare Position.“
Kampf gegen Moskowiter, Deutsche und andere Teufel
Beide, die Vaterlandspartei und UDAR, stehen im fragilen Bündnis mit der Freiheitspartei von Oleg Tjagnibok, die mit knapp über zehn Prozent der Stimmen im Parlament vertreten ist und bis 2004 „Sozialnationalistische Partei der Ukraine“ hieß. Ihre Standardforderung lautet „Die Ukraine den Ukrainern“, und Tjagnibok sieht sich als Speerspitze im Kampf „gegen die Moskowiter, gegen die Deutschen, gegen das Judenpack und sonstige Teufel“.
Bezeichnend ist, daß die rechtsextreme Freiheitspartei ihre Hochburgen im vermeintlich „proeuropäischen“ Westen der Ukraine besitzt, wo sie bei den Parlamentswahlen 2012 weit über ein Drittel der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Beobachter werten das als Beleg dafür, daß die Opposition sich weitgehend nicht aus dem Wunsch speist, zu Westeuropa zu gehören, sondern aus anti-russischen, nationalistischen Gefühlen.
Es wäre dennoch ein grober Fehler, den inner-ukrainischen Konflikt schwarz-weiß zu interpretieren: Kreml-Rußland gegen Brüssel-EU. In Wirklichkeit sind wir Zeugen der Metamorphose einer Region, von der die Ukraine nur einen Teil darstellt, nämlich Ostmitteleuropas zwischen Rußland und dem eigentlichen Westen. Erste polnische Kommentatoren benutzen dafür einen fast vergessenen Begriff aus der Vorkriegszeit: „Zwischenmeerland“, die Vision einer ostmitteleuropäischen Konföderation von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Es stehen also noch Überraschungen ins Haus.
JF 52/13-01/14