Als Bengasi vor dem Fall stand, da war die Sache klar: Präzise Luftangriffe von Amerikanern, Franzosen und Briten verhinderten einen blutigen Häuserkampf. Zivilisten wurden geschützt. Mittlerweile sind fünf Monate vergangen. Die Regierungstruppen haben sich von sämtlichen Aufstandszonen zurückgezogen. Nun sind es die Rebellen, die angreifen.
Nur Tage nach dem Mord an ihrem militärischen Oberbefehlshaber Abdel Fattah Jounis sind sie landesweit in eine blutige Offensive gestartet. Ein risikoreiches Unterfangen, das mit dem Ex-Innenminister offenbar nicht zu machen war. Und die Nato bombardiert weiter – „zum Schutze der Zivilbevölkerung“, wie es heißt. Aber wie ist der hehre Anspruch erfüllbar, jetzt, da Gebiete im Visier liegen, dessen Bevölkerung der „Grünen Revolution“ des Oberst Gaddafi mehrheitlich nicht ablehnend gegenüber stehen?
Es gibt mehr Fragen als Antworten. Langsam melden sich in Europa Verschwörungstheoretiker zur Wort. Öl und Gas fallen interessanterweise selten als vermeintliche Begründung für die westliche Intervention. Jedoch: Gaddafis Libyen beteiligte die internationalen Konsortien großzügig an den Reichtümern des Landes. Warum also ein Umsturz?
Libyens vergrabener Schatz – ein Kriegsgrund?
Der Schatz, um den es angeblich ginge, wäre genauso simpel wie überlebenswichtig: Wasser. Wahr ist, daß Libyen über gewaltige unterirdische Reserven verfügt, mehr als 300 Meter unter dem Wüstensand der südlichen Sahara. Ohne Kredite von Weltbank oder IWF forciert die Regierung seit 1984 das weltweit größte Trinkwasser-Rohrleitungs-Projekt der Welt. Vier Millionen Kubikmeter Wasser fließen bereits heute in Richtung der Küstenstädte – jeden Tag! Sind erst die Kufrah-Oasen angeschlossen, sollen es sechs Millionen sein. Obwohl einst mit südkoreanischer und deutscher Hilfe gebaut, befindet sich das Projekt zu 100 Prozent in staatlicher Hand.
Grund genug, der Sache auf den Grund zu gehen: Nördlich von Al Kufrah, nur noch rund 900 Kilometer südlich der Rebellenhochburg Bengasi, liegen die offenen Baustellen türkischer Arbeiter. Das Gelände wurde ausgeplündert und niedergebrannt. Alles ist verwaist, aber die großen Rohrstücke liegen offen unter der brennenden Sonne. Vier Meter Durchmesser – das ist gewaltig. Über 1.000 Kilometer soll diese Leitung einmal lang sein und die Metropolen des Ostens mit dem nassen Element versorgen – von Tasurbu und Sarir fließt das Wasser schon heute nach Bengasi. Dort, im Sarir-Wüstenfeld liegt die Zwischenstation des künstlichen Flusses. Das moderne Firmengebäude mitten im Nirgendwo wird von den Arbeitern und Rebellen aus Kufrah und Bengasi bewacht. Bauingenieur-Chef Salaheldien Kthowra und Geologe Said Sakran al Majbari freuen sich über Besucher.
Nicht ausgiebig erforscht
„Die Anlagen laufen bis heute – wir versorgen sogar weiterhin die Gaddafi-Hochburg Sirt, schließlich sind das unsere Brüder“, meinen sie. „In den 1950er Jahren stießen amerikanische Ölfirmen auf das Tiefenwasser. Bis heute haben wir es nicht ausgiebig erforscht, wir wissen nicht einmal genau, ob es sich nur um einen abgeschlossenen fossilen Wasserspeicher oder um unterirdische Flusssysteme handelt.“ Auf die Frage, ob es Begehrlichkeiten ausländischer Mächte gäbe, runzeln die Männer nur die Stirn: „Wirtschaftlich lohnt sich die ganze Sache nicht – Gaddafi wollte sich nur ein Denkmal setzen.“