WIEN. Der österreichische Nationalrat hat am Mittwoch alle bisher noch nicht außer Kraft gesetzten Urteile aus der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur aufgehoben. Dem sogenannten Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz stimmten sowohl die Regierungsfraktionen von Sozialdemokraten (SPÖ) und Volkspartei (ÖVP) als auch die oppositionellen Grünen zu.
Lediglich die Freiheitlichen (FPÖ) und das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) lehnten das Gesetz ab. Die beiden Fraktionen begründeten dies mit der enthaltenen pauschalen Rehabilitierung von Deserteuren. Damit würden „ungleiche Sachverhalte gleich bewertet“, bemängelte der FPÖ-Abgeordnete Peter Fichtenbauer und gab zu bedenken, daß „nicht alle Desertionen aus Gründen des Widerstands erfolgt“ seien.
Zwar sei nicht abzustreiten, daß die nun aufzuhebenden Entscheidungen von Gerichten aus nationalsozialistischer Zeit „verwerflich und beseitigungswürdig sind“, so Fichtenbauer. Er kritisiert jedoch die Vorgehensweise der Parlamentsmehrheit als juristisch „nicht ganz sauber“, da Österreich 1938 als souveräner Staat zu existieren aufgehört habe.
Verzicht auf Motivforschung
Der BZÖ-Vorsitzende Herbert Scheibner bedauerte, die rot-schwarze Koalition habe entgegen ihrer Ankündigung keinen Versuch unternommen, noch ein oder zwei Sätze zur Klarstellung in das Gesetz zu integrieren, um seiner Fraktion eine Zustimmung zu ermöglichen. Scheibner wandte sich klar dagegen, alle Deserteure „über einen Kamm zu scheren“. Auch unter den Deserteuren habe es „zuhauf Opportunisten“ gegeben.
Dagegen zeigte sich Heribert Donnerbauer (ÖVP) zufrieden über „die Klarstellung, daß die NS-Gerichtshöfe keine Gerichte im rechtsstaatlichen Sinn waren“. Übereinstimmend stellten die Abgeordneten von SPÖ und ÖVP fest, daß es unzumutbar wäre, „mehr als sechzig Jahre nach Kriegsende auf Motivforschung“ zu gehen.
Von dem nun beschlossenen Gesetz betroffen sind alle Urteile, die der Volksgerichtshof, die Stand- sowie die Sondergerichte in den Jahren 1938 bis 1945 fällten. Außerdem sind damit Entscheidungen des sogenannten Erbgesundheitsgerichts und Urteile gegen Homosexuelle aufgehoben. Bei denen soll allerdings von Fall zu Fall geprüft werden, ob die zugrunde liegenden Taten auch heute geltendes Recht berühren, wenn beispielsweise Minderjährige betroffen waren.
„Objektiv das Richtige getan“
Laut der österreichischen Nachrichtenagentur APA können nun alle von solchen als Unrecht deklarierten Urteilen Betroffenen oder deren Angehörige einen Antrag auf Rehabilitation stellen, dem dazu ein „Versöhnungsbeirat“ zur Seite stehe. Diese neue Regelung gelte auch für als Kriegsverräter verurteilte Personen.
Justizministerin Claudia Bandion-Ortner nannte das Gesetz „einen juristischen Schlußstrich unter die Unrechtsurteile der NS-Zeit, die den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit widersprechen“. Dieses Gesetz sei nicht nur für die noch lebenden Betroffenen wichtig, sondern auch für deren Nachfahren. Die parteilose Ministerin stellte jedoch klar, daß „damit die Soldaten der Wehrmacht in keiner Weise herabgewürdigt werden“.
Nach Auffassung des Grünen Harald Walser hätten die damaligen Deserteure „objektiv das Richtige getan und vor dem Hintergrund der Moskauer Deklaration einen Beitrag zur Wiedererrichtung Österreichs geleistet“. Dabei seien die Gründe für ihr Handeln irrelevant. Walser betonte, daß durch das Gesetz auch „verurteilte Kärntner Partisanen wieder ihre Ehre erlangen“.
In der Bundesrepublik Deutschland hatten Bundestag und Bundesrat im September die Aufhebung aller Urteile beschlossen, die während des Zweiten Weltkriegs gegen Kriegsverräter ergangen waren. Bereits 2002 wurden alle als Deserteure verurteilte Soldaten pauschal rehabilitiert. (vo)