Wenn die US-Regierung ernsthaft über ein Rettungspaket für Zeitungen nachdenkt, ist das ein sicheres Anzeichen dafür, wie schlecht es um die Wirtschaftslage bestellt ist. Ganz soweit ist es noch nicht, aber immerhin äußerte der demokratische Senator John Kerry in einer Anhörung des Unterausschusses „Kommunikation, Technologie und das Internet“ seine Sorge, daß „Papier und Tinte ihre Bedeutung als ein Mittel zur zeitnahen Nachrichtenübermittlung verloren haben. Die Macht, Effizienz und technologische Eleganz des Internet stellt sie in den Schatten.“ Die Medienmacher, die dort aussagten, waren sich einig, daß ein Problem besteht, nicht aber darüber, wie es sich lösen läßt.
Der ehemalige Printjournalist David Simon, inzwischen Produzent der TV-Erfolgsserie „The Wire“, schob die Schuld auf die Verleger, die mehr Wert auf kurzfristige Gewinne als auf langfristige Rentabilität legten. Gegen die „parasitären“ neuen Medien fuhr er ebenfalls einen scharfen Angriff, der vor allem auf „Aggregatoren“ wie Google gemünzt war, die von anderen geleistete Arbeit digital vervielfältigten. Simon schlug vor, Zeitungen vom Kartellverbot auszunehmen, so daß sie als geschlossene Phalanx mit den Aggregatoren verhandeln können, um eine Gebühr für die Nutzung von Zeitungstexten zu erheben.
Google-Sprecherin Marissa Mayer konterte, Zeitungen stehe es frei, Google die Nutzung ihres Materials zu verbieten. Doch sie seien durchaus erpicht auf eine Verwendung ihrer Texte, da Internetnutzer dadurch auf ihre eigenen Netzseiten geleitet würden. Das Internet, so Mayer, mache kleine und Lokalzeitungen potentiell für eine weltweite Leserschaft erreichbar.
Ariana Huffington, die Betreiberin des einflußreichen linksliberalen Portals huffingtonpost.com meinte, Nachrichtennutzer lebten heute in einem „goldenen Zeitalter“, das ihnen ständig neue Informationsmöglichkeiten erschließt. Die Frage laute nicht, wie man die Zeitungsindustrie, sondern wie man den Journalismus als solchen – unabhängig vom Medium – stärken könne. Steve Coll, früher Redakteur der Washington Post, stimmte ihr zu: Die Nachfrage nach gutem Journalismus sei so hoch wie eh und je, nur erreiche das Angebot den Verbraucher heute auf neuen Wegen.
Doch die Realität sieht düster aus. Newsweek, neben Time die auflagenstärkste Publikation der USA, verzeichnete im ersten Quartal einen Rückgang der Werbeeinnahmen um 23 Prozent. Seit 2005 hat sich die Anzahl der Erwachsenen zwischen 25 und 44 verdoppelt, die für Kleinanzeigen das Internet nutzen. Zwei große Tageszeitungen, Rocky Mountain News und Seattle Post-Intelligencer, sind kürzlich eingegangen. Weitere wie San Francisco Chronicle und Boston Globe – Kerrys Lokalzeitung – sind in Finanznöten. Die Chicago Tribune, Los Angeles Times und Baltimore Sun haben geschützte Insolvenz angemeldet. Ein Grundproblem liegt in der Behäbigkeit, mit der Zeitungen ihr Anzeigengeschäft umstellen. Zwischen 2006 und 2008 verloren sie fast fünf Prozent ihrer Werbeeinnahmen, während im selben Zeitraum die Einnahmen aus im Internet geschalteten Anzeigen in etwa gleicher Höhe wuchsen.
Die traditionelle Nachrichtenredaktion sei nötig, um Transparenz im demokratischen System zu gewährleisten, behaupten Zeitungslobbyisten. Sie befürchten eine Zunahme der politischen Korruption, wenn Journalisten nicht mehr die Ressourcen großer Blätter anzapfen können, um Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zur Rechenschaft zu ziehen. „Der Erfolg Ihrer Industrie ist unabdinglich für den Erfolg unserer Demokratie“, sagte Präsident Barack Obama jüngst bei einem Abendessen für Korrespondenten im Weißen Haus. „Eine Regierung ohne Zeitungen, eine Regierung ohne unnachgiebige und lebendige Medien aller Art ist für die USA undenkbar.“
Warum sollen Blogs und kleine Internetportale aber nicht ebensogut für Ehrlichkeit in der Politik sorgen können? Viele wichtige Nachrichten wurden zunächst im Internet veröffentlicht, bevor die namhaften Zeitungen sie aufgriffen. Dank Mobiltelefonen und Videokameras wird jede Äußerung eines Politikers heute sehr viel gründlicher unter die Lupe genommen als früher. Um ihre Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis zu stellen, müssen Zeitungsredakteure den Bürgern zeigen, warum sie in dieser Wächterrolle unverzichtbar sind. Ihre Trumpfkarte ist das Vertrauen, das die Bürger einer anerkannten Publikation im Gegensatz zu einem Blog entgegenbringen.
Einige Zeitungen prüfen, ob die Musikindustrie als Vorbild dienen könnte, wie die Branchenkrise zu überwinden ist. Plattenfirmen haben ihren erbitterten Kampf gegen die Praxis, Musik aus dem Internet herunterzuladen, aufgegeben und gelernt, von dem Verkauf ihrer Produkte im MP3-Format zu profitieren. Manche Zeitungen denken darüber nach, den Aggregatoren allgemeine Informationen zur Verfügung zu stellen, aber für ihre Archive, Blogs, Videos, interaktiven Funktionen und andere Spezialinhalte eine Abo- oder individuelle Nutzungsgebühr zu verlangen. Dadurch drohen den Zeitungen jedoch Einbußen an Werbeeinnahmen in wohl größerer Höhe, als sie je in Form von derartigen Gebühren verdienen würden.
Die Zeiten, in denen das wichtigste Nachrichtenmedium aus toten Bäumen gemacht wurde, gehen dem Ende zu. Die Weltuntergangsszenarien dürften indes übertrieben sein. Als das Fernsehen seinen Siegeszug antrat, sahen viele den Niedergang von Theater, Film und Radio. Doch diese traditionellen Formen der Unterhaltungs- wie der Hochkultur haben überlebt. Als der Videorekorder kam, warnte Hollywood vor dem Tod des Kinos – doch das Publikumsinteresse nahm zu.
Für die Zeitungsindustrie wird das ein schwieriger und schmerzlicher Prozeß. Doch solange den Verbrauchern die Qualität ihrer Informationsquellen wichtig ist, wird jemand die Nachfrage nach hochwertigem Gehalt bedienen. So oder so wird ein Zusammenhang bestehen zwischen Qualität und dem Preis, den die Verbraucher dafür zu zahlen bereit sind.
Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.
Foto: US-Zeitungskiosk: „Eine Regierung ohne unnachgiebige und lebendige Medien aller Art ist undenkbar“