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Eine gelernte Bundesbürgerin unter der Lupe

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Eine gelernte Bundesbürgerin unter der Lupe

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Angela Merkel nähert sich dem Ende ihrer ersten Kanzlerschaft. In einem halben Jahr muß sie sich mit der CDU, deren Vorsitz sie ebenfalls innehat, dem Votum der Wähler stellen. Wird die erste Bundeskanzlerin auch noch eine weitere Wahlperiode lang regieren können? Vielleicht sogar mit einem anderen, weniger sperrigen Koalitionspartner?

Diese und ähnliche Fragen bewegen nicht nur politische Journalisten, sondern auch Wähler, die mit dem Problem ringen, wem sie diesmal ihre Stimme geben sollen oder ob sie besser am Wahltag gleich zu Hause bleiben – gleichgültig, wie an diesem Tag die Wetterlage aussieht. Jedenfalls eine Chance für Schnellschreiber, die dem Wähler noch kurz vor dem Endspurt der Wahlkämpfer einige Hinweise für seine Entscheidung geben wollen. Dirk Kurbjuweit hat diese Chance genutzt. Er ist Büroleiter des Nachrichtenmagazins Der Spiegel in Berlin, also politiknah, mit Zugang zu Hintergrund-Gesprächsrunden und einem wohlgeordneten Archiv. Er ist ein guter Beobachter und flotter Schreiber, sein Stil ist geprägt durch den seit Jahrzehnten bewährten Spiegel-Stil, also knapp, informativ und trotzdem meist vergnüglich. Viel Zeit braucht man nicht für die Lektüre, kaum mehr als für die Durchsicht des neuesten Spiegel.

Angela Merkel wird unter drei Aspekten gewürdigt: zum einen ihre Selbststilisierung als Vollblutpolitikerin, die sich mit Haut und Haaren der Politik verschrieben hat. Sie ist alles andere als ein unbedarfter „Ossi,“ hat nach 1989 im Schnellkurs „Bundesbürgerin“ gelernt. Dazu gehört der Umgang mit den Medien und ihrem schier unersättlichen Materialhunger, auch dem Internet, das über fast unbegrenzte Kapazitäten verfügt und alle paar Sekunden neue Nachrichten produziert. Merkel sei süchtig nach ihnen. Kurbjuweit nennt sie „Nachrichtenjunkie“, gibt aber zu bedenken, daß darunter durchaus die Politik leiden kann.

Zum anderen ihre angeborene oder vielleicht auch in der DDR anerzogene Vorsicht bei politischen Festlegungen. Bei ihnen besteht immer die Gefahr, daß sie einem später mal vorgehalten werden und dann schaden. Dies gilt vor allem für Reformprojekte, die man als Gedankenblitz zwar leicht in die Welt setzen, aber später oft nur schwer realisieren kann.

Und drittens dann ihre Rolle als Krisenmanagerin. In der Finanzkrise, sagt Kurbjuweit, habe Merkel zwar im Zusammenwirken mit Steinbrück beherzt ihre Chancen genutzt, sich als Macherin darzustellen, die alle Probleme im Griff habe. Kurbjuweit macht ihr jedoch zum Vorwurf, sie habe – wiederum aus Angst vor Festlegungen – nie von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich direkt an das (Wahl-)Volk zu wenden und ihm ihre Absichten zu erläutern. Von ihr sei keine „große“ Rede in Erinnerung geblieben.

Kurbjuweit glaubt, daß sich Angela Merkel in „schöneren Stunden als Kanzlerin“ – hat sie die noch? – „eine Koalition mit der FDP ausmalt“. Sicher ist aber, daß sie die Fortsetzung der Großen Koalition als Notfalloption fest im Blick hat. Politisch hat Kurbjuweit nicht viel an seiner Protagonistin auszusetzen, allenfalls daß sie die Weltklimapolitik, die sie anfangs zum Gegenstand ihres Interesses gemacht habe, über aktuelleren Problemen aus den Augen verloren habe. Europa- und Ausländerpolitik, die demographische Entwicklung, Abtreibungen und andere verdrängte Themen, die für Merkels potentielle Wähler wichtig sein könnten, werden nicht erwähnt. Kurbjuweit sieht das weithin übliche Zusammenspiel von Politik und Medien zwar kritisch, weiß aber auch, daß er selbst, ob er will oder nicht, Teil dieses Systems ist. Auf die entscheidende Frage, wie man nicht nur mit einer Kanzlerin, sondern einer ganzen politischen Klasse umgeht, der die Zukunft der Deutschen offenbar gleichgültig ist, solange sie selbst nur gewählt werden, gibt es auch bei ihm keine Antwort. Die muß jeder Wähler für sich finden.

Dirk Kurbjuweit: Angela Merkel. Die Kanzlerin für alle? Carl Hanser Verlag, München 2009, 155 Seiten, gebunden, 16,90 Euro

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