Hundert Prozent willkommen biste net, nur unser Geld ist es“, resümiert eine Vertriebene, die kürzlich in ihrer einstigen Heimat war und zum 60. Sudetendeutschen Tag angereist ist. Dieser wird alljährlich zum Pfingstfest abgehalten, an dem die Christenheit die Ausgießung des Heiligen Geistes feiert. Für die Gruppe der einst dreieinhalb Millionen Sudentendeutschen, die 1945 durch die tschechischen Vertreibungsverbrechen unter Edvard Beneš in alle Welt verstreut wurden und dabei 240.000 Tote zu beklagen hatten, ist dies bis heute die vielleicht tröstlichste Geste, bietet sie doch einen Weg, wenigstens auf transzendente Weise das eigene Schicksal in einen Sinnhorizont zu stellen.
Die CSU hat die Europawahl im Blick
Seit der Rede von Bundespräsident Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, in deren Folge Deutschland ein Drittel seines Siedlungsgebietes verlor, hat sich ein neues „Selbstbewußtsein“ entwickelt: die Niederlage ausschließlich als „Befreiung“ und die Flucht und Vertreibung von 15 Millionen Deutschen als „erzwungene Wanderschaft“ zu klassifizieren. Ausdruck dessen war nicht zuletzt die 2006 vom Bund der Vertriebenen (BdV) initiierte Ausstellung unter dem Titel „Erzwungene Wege“. Daß dies in den Ohren vieler Betroffener bis heute eine zynische Verharmlosung darstellt, wird schnell in den Gesprächen deutlich. Die emotionale Wucht, mit der das Trauma der Vertreibung oftmals aufbricht, zeigt, wie wenig ihr Schicksal im öffentlichen Bewußtsein bis heute verankert ist. Immerhin hatte auch Weizsäcker in jener Rede 1985 betont, daß es „lebenswichtig ist, die Erinnerung wach zu halten.“
Wie schwierig das in der Realität ist, zeigt das Beispiel einer 84jährigen Sudetendeutschen, die am 12. Dezember 1945 von Haus und Hof vertrieben wurde, und heute – wie viele andere – im Raum Augsburg zu Hause ist. Mit dreißig anderen Mädchen war sie in ein Lager gekommen, von dem sie über zwölf Kilometer durch den Schnee marschieren mußten. Am Bahnhof von Sternberg habe es dann geheißen: „Raus mit euch deutschen Schweinen!“. Immerhin ist die Integration der Sudetendeutschen in Bayern nun doch soweit „gescheitert“, daß die Betroffenen die diffamierende Bezeichnung als „Hure Flüchtling“, mit der sie einst in Bayern empfangen wurden, auch heute nicht im korrekten Dialekt buchstabieren können. Doch ungefragt, kaum haben sie sich an diese entwürdigende Ankunft erinnert, fügt fast jeder Betroffene im gleichen Atemzug an: „Dabei sind wir gar keine Flüchtlinge, wir wurden doch vertrieben!“ Doch was damals wirklich passiert ist, will heute kaum jemand mehr wissen, so auch die bittere Erfahrung der 84jährigen Sudetendeutschen: „Aber die Kinder interessiert’s nicht mehr.“
Bezeichnend ist hierfür die Sudetendeutsche Jugend (SDJ) mit ihrer einst dezidiert antikommunistischen und gesamtdeutschen Ausrichtung. Heute versteht sich der Verband, dessen Mitglieder das Trachtengewand nur mehr als lästige Pflicht zu begreifen scheinen und inzwischen auch aus nicht-sudetendeutschne Familien kommen, als Vorreiter des deutsch-tschechischen Jugendaustauschs – eine zweifellos verdienstvolle und wichtige Brückenfunktion. Doch gerade deswegen ärgert sich der Verband über die Aktivitäten des Witikobundes, der offenbar als größeres Problem begriffen wird als etwa das in Frage stehende Mitgestaltungsrecht des BdV beim Zentrum gegen Vertreibungen.
Letzteres taucht wiederholt in den Reden zum 60. Sudetendeutschen Tag auf. So sagt die ehemalige CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer in bezug auf den „leeren Stuhl“ von Erika Steinbach, daß dieses „beschämend“ sei und Deutschland „keine politische Bevormundung“ brauche. Dann allerdings fordert sie nicht, sondern – und das ist paradigmatisch für die Rolle der deutschen Politik – „wünscht“ lediglich, daß die Sudetendeutschen als „unlösbarer Teil der Identität Böhmens und Mährens“ auch „von tschechischer Seite anerkannt“ werden. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) forderte, daß die Erinnerung an die Wunden, die „bis heute nicht verheilt sind“, „wach“ gehalten werden müßten. Leid und Unrecht seien besser erträglich, „wenn sie als solche benannt werden“.
In gleiche Richtung gehen auch die Ausführungen des bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, der erstmals als Schirmherr der Sudetendeutschen auftritt. Mit Blick auf die BdV-Beteiligung im Stiftungsrat „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ sagte er: „Weder Polen“ noch die Parteien hätten sich hier einzumischen. Weiter fordert er, daß das Gesetz von 1946, welches die Verbrechen an Deutschen straffrei stellte, und die Beneš-Dekrete zur kollektiven Vertreibung der Deutschen nicht bestehen bleiben dürften, weil hierdurch „nicht nur Sie als die Betroffenen“, sondern auch die „Wertegemeinschaft Europa“ „beschädigt“ werde.
Ob dies seinem beabsichtigten Besuch 2010 in Prag, zu dem ihn Repräsentanten der Sudetendeutschen begleiten sollen, förderlich ist, dürfte angesichts des tschechischen Präsidenten mit seinen Ausfällen gegen die Sudetendeutschen in den Sternen stehen. Gleichwohl glaubt Europaparlamentarier Bernd Posselt (CSU), der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, daß die EU-Politik perspektivisch für das Ansinnen der Sudetendeutschen arbeite. Unverrückbares Ziel bleibe es, die „Geschichte wahrheitsgemäß zu dokumentieren, damit wir nicht auch noch aus der Geschichte vertrieben werden“. Ein Schritt auf diesem Weg sei das geplante Zentrum gegen Vertreibungen – aber nur, wenn Steinbach dabei mitwirken dürfe: „Sonst bauen wir ein eigenes Zentrum!“ Der Applaus ist ihm jetzt sicher, die Stimmen zu Europawahl auch.
Foto: Eine Frau mit „Nemce“ Armbinde, mit der Sudetendeutsche 1945 als Deutsche gekennzeichnet wurden: „Keine Flüchtlinge“