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Belehrungen aus Berlin unerwünscht

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Die „mythische Weltsicht steht nicht in Konkurrenz zur wissenschaftlichen, sondern bildet ein eigenes System, das seine eigene Berechtigung hat. Daher ist sie wissenschaftlich im Grunde auch nicht widerlegbar, wenngleich natürlich stets einzelne Mythen daraufhin überprüft werden können, ob sie dem historischen Tatbestand standhalten oder nicht“, konstatierte der Grazer Historiker und Verleger Wolfgang Dvorak-Stocker in der Zeitschrift Neue Ordnung. FU-Historiker wollten den „Mythos Batak“ entzaubern Dennoch gehört die „Entzauberung“ nationaler Mythen zu den Lieblingsbeschäftigungen zeitgeistiger bundesdeutscher Historiker. In der Regel geht es dabei nicht um die historische Richtigstellung im Detail, sondern um großangelegte ideologisch begründete „Widerlegungen mythischer Konstrukte“. Nach Hermann dem Cherusker, Friedrich dem Großen oder Bismarck sind nun auch die nationalen Mythen anderer Völker dran. Doch bei ihrer „Aufklärungsarbeit“ stoßen sie im Ausland auf ungewohnten Widerstand – sie werden von einer empörten Öffentlichkeit regelrecht angefeindet. Ein bezeichnendes Beispiel hierfür ereignete sich jüngst in Bulgarien. Historiker des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin (FU) wollten im Rahmen ihres Projekts „Feindbild Islam – Geschichte und Gegenwart antiislamischer Stereotype in Bulgarien am Beispiel des Mythos vom Massaker in Batak“ im Nationalen Ethnographischen Institut der Hauptstadt Sofia eine einmonatige Ausstellung plazieren. Zur Eröffnung am 17. Mai plante das FU-Institut – unter anderem mit Unterstützung des Goethe-Instituts, der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, der Bosch-Stiftung – eine Konferenz mit dem Titel „Vom regionalen historischen Ereignis zum nationalen Erinnerungsort: Batak und historische Konstruktionen in Bulgarien“. Bei dem osmanischem Gemetzel während eines bulgarischen Aufstandes im Jahr 1876 kamen in der Ortschaft Batak in den Rhodopen schätzungsweise 30.000 Menschen ums Leben. Das Massaker stand in der Folgezeit als Synonym für viele vergleichbare Grausamkeiten der türkischen Besatzer im kollektiven Gedächtnis der Bulgaren. Speziell das Gemälde „Das Massaker von Batak“ des polnischen Malers Antoni Piotrowski (1853-1924) präge bis heute die visuelle Vorstellung vom Massaker und der Brutalität der Türken, monierten jedoch die FU-Historiker. Batak ist eine Art nationales Heiligtum – Kritik an diesem Mythos wird als Angriff auf das bulgarische Volk gewertet. Bulgarische Zeitungen titelten anläßlich der geplanten Konferenz mit Schlagzeilen wie „Fälschung der Geschichte“ oder „Deutsche Wissenschaftler bestreiten das Massaker in Batak“. „Ich werde Sie vor ein Gericht stellen wegen Verleumdung des bulgarischen Holocaust“, empörte sich der Leiter des Nationalhistorischen Museums in Sofia, Bojidar Dimitrow, in der Boulevardpresse. Die radikal-patriotische Oppositionspartei Ataka forderte einen neuen Paragraphen im Strafgesetz gegen derartige Revisionsversuche der bulgarischen Geschichte. Gemäßigtere Abgeordneten forderten ein neues Gesetz zur öffentlichen Darstellung des „osmanischen Genozids“ am bulgarischen Volk. Selbst der postkommunistische Staatspräsident Georgi Parwanow – ein promovierter Historiker – sah in der FU-Tagung „eine scharfe Provokation gegen die Nationalgeschichte und das Nationalgedächtnis“. Die Bulgarisch-orthodoxe Kirche kündigte an, sie werde die Opfer von Batak kanonisieren. Urängste vor dem islamisch-türkischen Erbfeind „Sie glauben, wir würden das Massaker in Batak leugnen. Aber darum geht es uns nicht. Wir leugnen die historischen Fakten nicht, sondern wir beschäftigen uns mit der Darstellung der historischen Fakten“, rechtfertigte Ulf Brunnbauer von der FU Berlin zunächst die Themendarstellung in einem Radiointerview. Doch schließlich entschieden sich die Veranstalter dafür, die Konferenz zu vertagen. Einiges spricht dafür, daß sie erst am Sankt-Nimmerleins-Tag nachgeholt werden kann. Denn das Verhältnis Bulgariens zum großen türkischen Nachbarn, mit dem es seit der Unterwerfung von 1393 bis zum russisch-türkischen Krieg von 1877/78 als unfreie osmanische Provinz zwangsvereint war (die volle Unabhängigkeit konnte erst 1909 errungen werden), ist nicht nur historisch schwer belastet. Diese schlechten Erfahrungen prägen bis heute die zwischenstaatlichen Beziehungen sowie die innenpolitische Diskussion über die Haltung der Titularnation gegenüber den mittlerweile fast 900.000 Angehörigen der türkischen Minderheit (JF 18/06). Das demographische Wachstum der türkischen Minderheit bei gleichzeitigem Rückgang der bulgarischen Bevölkerung und die weltumspannenden aggressiven Tendenzen des Islam nähren die Ängste vieler Bulgaren vor dem „Erbfeind“. Vor diesem Hintergrund scheint es nur eine Frage der Zeit, wann die unterschwellige Gegnerschaft auch wieder zu ethnischen Unruhen führen wird. Wie angespannt die Stimmung ist, zeigt auch das Ergebnis der ersten bulgarischen Europawahl vom 20. Mai (JF 22/07). Die türkische „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (HÖH/DPS) wurde – dank niedriger Wahlbeteiligung der Bulgaren – mit 20,2 Prozent drittstärkste Partei. „Das ist eine Sternstunde der HÖH“, freute sich Parteichef Ahmed Demir Doğan am Wahlabend. Allerdings sei die HÖH noch nicht bereit, „die erste politische Kraft im Land zu sein“. Ataka-Chef Wolen Siderow kommentierte den HÖH-Erfolg mit Sarkasmus: „Sei willkommen in Europa, Bulgaristan.“ Ankara werde nun mit fünf Abgeordneten in Straßburg und Brüssel vertreten sein.

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