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ESN-Fraktion, Europa der souveränen Nationen

Ausweitung des Einsatzgebietes

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Cato, Palmer, Exklusiv

Immerhin ein selbstgestecktes Ziel hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) erreicht. In Deutschland wird wieder über Grundlagen der Sicherheitspolitik und sogar deutsche Interessen auf diesem Planeten diskutiert. Grund ist Jungs Entwurf für ein neues Weißbuch der Bundeswehr, das das Buch aus dem Jahre 1994 ablösen soll. Rot-Grün hatte besonders wegen gegensätzlicher Auffassungen zur Wehrpflicht kein Weißbuch zustande gebracht. In diesem Punkt dürfte es Union und SPD noch am leichtesten fallen, zu einer gemeinsamen Linie zu kommen. Beide Fraktionen wollen an der Wehrpflicht festhalten. Aber bei mehreren anderen zentralen Punkten sehen viele Beobachter für das Weißbuch inzwischen schwarz. Insbesondere geht es um den Einsatz der Bundeswehr im Inland. Zwar will Jung die Bundeswehr nicht zu einer Art Hilfspolizei machen. „Es kann nicht Aufgabe der Bundeswehr sein, personelle und materielle Defizite in anderen Bereichen zu kompensieren“, heißt es dazu in dem Entwurf des Textes. Doch Jung will das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz, in dem der Einsatz militärischer Waffen im Inland zum Beispiel gegen ein von Terroristen entführtes Flugzeug verboten wird, umgehen, indem er für diesen Fall den Verteidigungsfall ausrufen will. „Infolge der neuartigen Qualität des internationalen Terrorismus sind heute Anschläge Realität geworden, die sich nach Art, Zielsetzung und Intensität mit dem herkömmlichen Begriff des Verteidigungsfalles gleichsetzen lassen“, heißt es im Entwurf des Weißbuches. Die Bundeswehr müsse immer dann eingesetzt werden können, „wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt, um den Schutz der Bevölkerung oder kritischer Infrastruktur zu gewährleisten. Maßnahmen der Streitkräfte kategorisch auszuschließen, würde der staatlichen Schutzpflicht zugunsten der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nicht gerecht“, heißt es in dem Text. Jungs Sorge ist berechtigt. Nach dem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz besteht in Deutschland tatsächlich eine Sicherheitslücke bei einigen Bedrohungen, die aus der Luft oder von See her kommen könnten. So wäre die Polizei nicht in der Lage, einen gekaperten Ozeanriesen, der als schwimmende Bombe gegen einen Hafen oder eine Küstenstadt eingesetzt werden soll, mit ihren kleinkalibrigen Waffen aufzuhalten. Die Bundeswehr darf aber nach dem Urteil in diesem Fall nicht eingesetzt werden. Kein anderes Land in Europa und vermutlich auch nicht auf anderen Kontinenten leistet sich eine derart strikte Trennung von Militär und Polizei. Massive Verschlechterung des Klimas in der Koalition Jungs Problem war, daß sein Weißbuch-Entwurf früh – aus Sicht des CDU-Politikers zu früh – das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Der SPD-Koalitionspartner reagierte sauer, weil das Buch noch nicht abgestimmt war. In den ersten Beratungen zwischen Union und SPD war eine massive Klimaverschlechterung festzustellen, wie sie auch in anderen Politikbereichen inzwischen zu spüren ist. Sehr ungewöhnlich für die Koalition ist, daß die SPD-Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik ihre Bedenken gegen den Entwurf von Jung gleich auf drei Seiten schriftlich präsentierte. „Mit uns in dieser Form nicht zu machen“, heißt es kurz und knapp zum Weißbuch. Besonders stört sich die SPD an der von Jung beabsichtigten Ausrufung des Verteidigungsfalls im Falle eines Terrorangriffs. Ein Terroranschlag könne nicht mit dem Kriegsfall gleichgesetzt werden. Dafür gebe es die Notstandsgesetzgebung. Wenn ein Terrorangriff den Verteidigungsfall auslöse, dann bedeute dies, „auch en terroristischer Anschlag wie auf die Londoner U-Bahn ist ein kriegerischer Akt“. Auch Jungs Versuch, Einsätze der Bundeswehr im Ausland stärker auf deutsche Interessen auszurichten und diese auch zu definieren, stößt auf Mißfallen in der SPD. Der Minister will die Bundeswehr auch zur Sicherung der Rohstoffversorgung Deutschlands einsetzen. „Verwerfungen im internationalen Beziehungsgefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme beispielsweise durch zunehmende Piraterie und Unterbrechungen der weltweiten Kommunikation bleiben in einer interdependenten Welt nicht ohne Auswirkungen auf nationale Wirtschaftsstrukturen, Wohlstand und sozialer Frieden im Lande und damit auf unsere Sicherheit“, heißt es in dem Buch dazu. Die Sozialdemokraten sind davon nicht begeistert. Daß Jung sich mit seiner Bundeswehr um Rohstoffe, Energieversorgung, aber auch um Seuchenbekämpfung kümmern soll, geht ihnen zu weit. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß die SPD-Verteidigungspolitiker betonen, unbedingt an den Grundsätzen der rot-grünen Sicherheitspolitik festhalten zu wollen. Wichtiger seien deshalb gewaltfreie politische Maßnahmen zur Erhaltung des Friedens, heißt es in dem SPD-Papier. Weitere Akzente neben der Definition der Interessen und der Neudefinition des Verteidigungsfalles hat Jung übrigens nicht gesetzt. Das Weißbuch wurde über lange Strecken mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien von Jungs Vorgänger Peter Struck (SPD) gefüllt. Nach Ansicht vieler Beobachter und auch Soldaten hat der Minister damit eine Chance vertan.

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